VwGH 2011/23/0301

VwGH2011/23/030118.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 12. Dezember 2008, Zl. E1/21.000/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 12. Dezember 2008 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, ein auf § 86 iVm § 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren.

Sie begründete dies im Wesentlichen mit einer Verurteilung des Beschwerdeführers am 11. Mai 2007 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen - teilweise nur versuchten - schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls (von Altmetall) sowie der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung und der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, wovon ein Teil von 16 Monaten bedingt nachgesehen worden sei, und stellte die der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten näher dar. Bereits zuvor sei eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts des versuchten Kaufhausdiebstahls am 25. August 2004 von der Staatsanwaltschaft Wien wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat zurückgelegt worden. Eine weitere Diebstahlsanzeige sei am 10. November 2005 vom Bezirksgericht Fünfhaus mit Diversion gemäß § 90d StPO erledigt worden.

Weiters führte die belangte Behörde - zusammengefasst - aus, dass dem Beschwerdeführer, der seit 1993 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratetet sei, über seinen Antrag vom 30. Jänner 2004 eine Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" erteilt und in weiterer Folge verlängert worden sei.

Die belangte Behörde gab die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Erstbehörde am 26. März 2007 sowie sein Vorbringen in seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2007 und in der Berufung vom 3. Jänner 2008 wieder und stellte anschließend fest, dass der Beschwerdeführer am 10. Februar 2004 gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 107 Abs. 1 Z 4 Fremdengesetz 1997 zu einer Geldstrafe von EUR 218,-- rechtskräftig bestraft worden sei.

Nach Zitierung der maßgeblichen Bestimmungen des FPG führte die belangte Behörde in ihren rechtlichen Erwägungen aus, dass auf den Beschwerdeführer als Ehegatten einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, gemäß § 87 FPG die §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG anzuwenden seien. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG sei der Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Angesichts des der Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers lägen (auch) die Voraussetzungen "des § 60 Abs. 1 FPG" vor.

Nach (der Gegenschrift zufolge: irrtümlich aufgenommenen) fallfremden Sachverhaltsfeststellungen führte die belangte Behörde weiter aus, dass auf Grund des bisherigen inländischen Aufenthalts und der familiären Bindungen von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privatleben" des Beschwerdeführers auszugehen sei. Dessen ungeachtet sei diese Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig und die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers zeige nämlich, dass er nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Dass der Beschwerdeführer darüber hinaus auch wegen zahlreicher Verwaltungsübertretungen habe bestraft werden müssen, verstärke zusätzlich die Annahme, dass er offenbar nicht in der Lage oder willens sei, sich rechtskonform zu verhalten. Eine Zukunftsprognose für ihn könne daher keinesfalls positiv ausfallen.

Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung - so führte die belangte Behörde weiter aus - sei zu berücksichtigen, dass einer "allfälligen" aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.

Die belangte Behörde verneinte die Möglichkeit, im Rahmen des Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können und begründete die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbots näher.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2008) geltende Fassung.

Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei einer ununterbrochenen Aufenthaltsdauer von zehn Jahren vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots (nur dann) zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

In diesem Zusammenhang hätte die belangte Behörde im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er befinde sich seit 1993 ununterbrochen in Österreich, konkrete Feststellungen zur Dauer des tatsächlichen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland zu treffen gehabt. Dies wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil danach nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des fünften Satzes des § 86 Abs. 1 FPG erfüllt sein könnten (vgl. zum System der abgestuften Gefährdungsprognosen im FPG grundlegend das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603).

Überdies hat sich die belangte Behörde aber vor allem im Rahmen der Interessenabwägung nicht im erforderlichen Ausmaß mit dem Familienleben des Beschwerdeführers auseinander gesetzt.

Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn dessen Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

Der Beschwerdeführer brachte - wie die belangte Behörde selbst ausführte - bereits im Verwaltungsverfahren vor, dass er mit einer Österreicherin verheiratet sei, mit der er vier minderjährige Kinder habe, die ebenfalls österreichische Staatsbürger seien. Dennoch ging die belangte Behörde trotz dieser familiären Bindungen des Beschwerdeführers lediglich von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen "Eingriff in sein Privatleben" aus. Im Rahmen der Interessenabwägung stellte sie lediglich darauf ab, dass die für eine Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Dies greift jedoch zu kurz. Schon im Hinblick darauf, dass sowohl die Ehefrau des Beschwerdeführers als auch seine vier - auch nach der Aktenlage minderjährigen - Kinder, auf die im angefochtenen Bescheid bei der Interessenabwägung nicht mehr ausdrücklich Bedacht genommen wurde, österreichische Staatsbürger sind, hätte sich die belangte Behörde konkret mit den Auswirkungen des gegenständlichen Aufenthaltsverbots auf die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Familie beschäftigen müssen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12. September 2012, Zl. 2011/23/0307, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Oktober 2012

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