VwGH 2011/23/0267

VwGH2011/23/026729.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des C, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 10. März 2008, Zl. E1/2912/2008, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §65 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Montenegro, war am 9. Jänner 1992 mit seiner Ehefrau und einem gemeinsamen Kind illegal nach Österreich eingereist, wo er einen Asylantrag stellte, der in weiterer Folge rechtskräftig abgewiesen wurde. Ab 1. Februar 1993 war der Beschwerdeführer durchgehend im Besitz von Aufenthaltsberechtigungen und Berechtigungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. Februar 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Diesem lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 7. Juni 2001 wegen des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten absichtlichen schweren Körperverletzung nach den §§ 87 Abs. 1 und 15 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden war, weil er mit seinem Bruder R. am 2. Dezember 2000 dem türkischen Nachbarn seines Bruders, an dem sich dieser rächen wollte, mit einem Messer eine schwere Stichverletzung am Rücken mit "Luftbrusteröffnung" sowie einer weiteren Person einen Stich in die Brust, ebenfalls mit Eröffnung des Brustraums und Lufteintritt zwischen Lunge und Brustkorb, zugefügt hatte. Dabei handelte es sich jeweils um lebensgefährliche Verletzungen, die im Krankenhaus nach einer Notoperation stationär versorgt werden mussten. Davor war der Beschwerdeführer bereits am 29. März 1994 vom Bezirksgericht Grein (unter anderem) wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und vom Bezirksgericht Amstetten am 21. Oktober 1996 wegen desselben Delikts jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Diesen Urteilen lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 22. August 1993 gemeinsam mit seinen Brüdern R. und H. Personen durch Steinwürfe am Körper verletzt und am 19. September 1996 einer Person durch Schläge gegen ihren Kopf eine Kieferprellung zugefügt hatte.

Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2002, Zl. 2002/21/0051, gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen. Für die näheren Umstände der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten wird auf dieses Erkenntnis verwiesen.

Am 2. August 2001 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen und aus dem Bundesgebiet abgeschoben.

Am 4. April 2007 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des Aufenthaltsverbots und verwies zur Begründung insbesondere auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an seine Ehefrau und seine Kinder sowie die seit seinen Straftaten vergangene Zeit.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. März 2008 wies die belangte Behörde den Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 87 FPG Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG, nicht jedoch begünstigter Drittstaatsangehöriger nach § 2 Abs. 4 Z 11 FPG sei, weil seine österreichische Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe. Für ihn gelte daher § 86 FPG.

Das Verhalten des Beschwerdeführers - so führte die belangte Behörde weiter aus - stelle eine beträchtliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Sein Fehlverhalten sei außerordentlich gravierend und gefährde massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Auf Grund seines persönlichen Verhaltens seien somit die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG erfüllt. Die Zeit des Wohlverhaltens während seiner Strafhaft sei nicht dazu geeignet, eine günstige bzw. positive Zukunftsprognose zu bewirken. Ein Wohlverhalten nach der bedingten Entlassung aus Haftstrafe liege nicht vor. So sei er zweimal, im November 2003 und im Februar 2007 trotz rechtskräftigen Aufenthaltsverbots illegal in das Bundesgebiet eingereist. Selbst wenn diese illegalen Einreisen unberücksichtigt blieben, wäre das Wohlverhalten ab seiner Haftentlassung im Juli 2001 (richtig: Anfang August 2001) wegen seiner Wiederholungstäterschaft und seinem menschenverachtenden Vorgehen bei der letzten Straftat entschieden zu kurz. Durch diesen Zeitablauf von etwa sechseinhalb Jahren könne die ursprünglich von der Behörde erstellte negative Zukunftsprognose noch nicht entscheidend beeinflusst werden. Auch das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes, einer Wohnmöglichkeit sowie die Gegenwart seiner Familie hätten ihn bisher nicht von Straftaten abgehalten. Aus fremdenbehördlicher Sicht könne es somit keinesfalls als erwiesen betrachtet werden, dass der Beschwerdeführer keine Straftaten gegen Leib und Leben mehr begehen werde.

Im Hinblick auf § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde, dass sich die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt in Österreich durch den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch seine Kinder und seine Ehefrau "verdichtet" hätten. Wegen seiner gehäuften Delinquenz und dem hohen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Gewaltkriminalität in Verbindung mit dem Fehlen von ausreichendem Wohlverhalten in Freiheit, müsse er aber die Trennung von seiner Familie nach wie vor in Kauf nehmen. Auf Grund des den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Verhaltens sei somit davon auszugehen, dass durch seine Anwesenheit im Bundesgebiet eine schwere Gefährdung der "öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" bestehe, weshalb die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG erfüllt seien.

Die belangte Behörde führte abschließend aus, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots daher im öffentlichen Interesse liege. Da die Gründe für seine Erlassung nicht weggefallen und keine maßgebliche Änderung im Sinn des § 66 FPG eingetreten seien, sei das Aufenthaltsverbot auch unter Berücksichtigung von § 86 Abs. 1 FPG nach § 65 FPG nicht aufzuheben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (März 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbots - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) eines Österreichers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist (vgl. das Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0032, mwN).

Da bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbots die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden kann, ist für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über den Aufhebungsantrag lediglich zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbots wegen einer Änderung der Umstände zu Gunsten des Fremden weggefallen sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2006/21/0134, mwN).

Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Annahme der belangten Behörde, dass das Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr iSd § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG darstelle. Die belangte Behörde habe sich lediglich auf die Verurteilung des Beschwerdeführers gestützt, ohne dessen Gesamtverhalten und das daraus ableitbare Persönlichkeitsbild zu prüfen. Er sei seit 1992 bis zu seiner letzten Abschiebung im Jahr 2007 beinahe 16 Jahre dauerhaft in Österreich niedergelassen gewesen. Seit der letzten Straftat seien bereits acht Jahre verstrichen; auch in seinem Heimatland läge keine Verurteilung gegen ihn vor.

Diesem Vorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht nur auf den Umstand der strafgerichtlichen Verurteilungen stützte, sondern auch die diesen zu Grunde liegenden Straftaten darstellte und daraus eine Gefährdungsprognose ableitete. Wenn sie dabei aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zwei Personen durch Messerstiche in Brust bzw. Rücken in verabredeter Verbindung mit seinem Bruder lebensgefährliche Verletzungen zufügte, zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG gelangte, vermag die Beschwerde insoweit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen. Überdies wurde der Beschwerdeführer insgesamt bereits dreimal wegen Gewaltdelikten verurteilt, wobei sich deren Intensität von Mal zu Mal steigerte.

Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzugestehen, dass die von ihm begangenen strafbaren Handlungen bereits einige Zeit zurückliegen; zutreffend hat die belangte Behörde aber ausgeführt, dass bei der Prüfung eines allfälligen Gesinnungswandels in erster Linie auf das in Freiheit gezeigte Wohlverhalten abzustellen ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 10. Mai 2011, Zl. 2007/18/0272, mwN). Wenn die belangte Behörde dazu ausführt, dass die nach dem Ende der Strafhaft bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeit von etwa sechseinhalb Jahren noch nicht so lang sei, dass auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr hätte geschlossen werden müssen, dann kann diese Beurteilung jedenfalls nicht als rechtwidrig erkannt werden. Zudem durfte die belangte Behörde auch das festgestellte - in der Beschwerde unbestritten gebliebene - Fehlverhalten des Beschwerdeführers, wonach er nach seiner Abschiebung am 2. August 2001 trotz des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbots wiederholt unrechtmäßig nach Österreich zurückkehrte und deshalb am 13. November 2003 und im Mai 2007 neuerlich abgeschoben wurde, miteinbeziehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/18/0121, mwN).

Mit dem Vorbringen, dass der Beschwerdeführer vor seiner letzten Abschiebung im Jahr 2007 über einen Zeitraum von beinahe 16 Jahren in Österreich dauerhaft niedergelassen gewesen wäre, zielt die Beschwerde auf § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG ab. Diese Bestimmung ist jedoch schon deshalb auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar, weil er die Voraussetzungen eines zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht schon vor der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts - das ist der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, wobei im Fall eines auf strafbare Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbots das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten vom "maßgeblichen Sachverhalt" umfasst ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis Zl. 2008/21/0032) - erfüllt hatte. Wenn der Beschwerdeführer schließlich versucht, seine Tathandlungen dadurch zu relativieren, dass er sie als "unwissentlich begangen" oder als "durchaus nachvollziehbar" zu verharmlosen sucht, oder meint, er sei durch seinen Bruder R. in eine "unvermeidliche Situation" gebracht worden, spricht dies nicht für den von der Beschwerde behaupteten Gesinnungswandel und vermag jedenfalls eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen.

Der Beschwerde gelingt es auch nicht, eine Fehlerhaftigkeit der im angefochtenen Bescheid unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung aufzuzeigen. So ist die belangte Behörde ohnedies von "verdichteten" privaten Interessen an einem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich durch den Umstand, dass seine Kinder und seine Gattin mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, ausgegangen. Es trifft auch durchaus zu, dass der lange Aufenthalt des Beschwerdeführers, soweit er rechtmäßig war, und seine familiäre Verankerung in Österreich stark zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen. Jedoch kommt dem aus den konkreten Umständen seiner Straftaten von der belangten Behörde zu Recht abgeleiteten ungünstigen Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers aus Gesichtspunkten der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein sehr hoher Stellenwert zu. Es kann daher der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Ansicht gelangte, dass das massive Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine ungünstige Prognose iSd § 86 Abs. 1 FPG rechtfertige, welche die Aufrechterhaltung der gegenständlichen Maßnahme als dringend geboten erscheinen lasse; die sich daraus ergebenden nachteiligen Auswirkungen haben der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen daher weiterhin in Kauf zu nehmen.

Auch aus den vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes ist für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, sind diese doch entweder nicht einschlägig, weil ihnen kein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag, oder lässt sich daraus das vom Beschwerdeführer gewünschte Ergebnis nicht ableiten.

Die Beschwerde vermag schließlich auch keine konkreten Aspekte aufzuzeigen, welche die belangte Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einer Aufhebung des Aufenthaltsverbots hätten veranlassen müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. März 2012

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