Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §24 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §24 Abs4;
NAG 2005 §72 impl;
NAG 2005 §8 Abs1 Z5 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §8 Abs1 Z5;
NAG 2005 §8 Abs5 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §8 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §24 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §24 Abs4;
NAG 2005 §72 impl;
NAG 2005 §8 Abs1 Z5 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §8 Abs1 Z5;
NAG 2005 §8 Abs5 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §8 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 7. November 1999 mit einem bis 5. März 2000 gültigen Visum nach Österreich ein und erhielt auf Grund seines bereits zuvor in seiner Heimat gestellten Antrages eine vom 15. Februar 2000 bis 31. Oktober 2000 gültige, später mehrfach verlängerte Aufenthaltserlaubnis als Student. Zuletzt wurde ihm eine vom 27. März 2006 bis 27. März 2007 gültige Aufenthaltsbewilligung für Studierende erteilt.
Am 23. Februar 2007 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus "humanitären Gründen", das offenbar als Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) weitergeführt wurde. Begründet wurde dieser Antrag mit dem Vorbringen, er habe die Pflege seiner in Österreich lebenden und an einer chronisch entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems leidenden Schwester übernommen, die Hilfe beim An- und Auskleiden sowie bei der Körperpflege benötige. Weder deren (im Mai 1992 geborene) Tochter noch die gemeinsamen Eltern seien in der Lage, seiner Schwester in gleicher Weise zu helfen. Eine Entscheidung über diesen Antrag wurde der Aktenlage zufolge noch nicht getroffen.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (belangte Behörde) vom 1. Dezember 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer halte sich seit dem Ablauf seines ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, sohin seit 28. März 2007, unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG erfüllt seien.
Im Rahmen der nach § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung hielt die belangte Behörde im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen eine Pension beziehenden Eltern in Wien lebe. Seiner Mutter sei bereits die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Auch seine Schwester, deren Tochter sowie ein Onkel und eine Tante mit weiteren Familienangehörigen lebten in Wien. Der Beschwerdeführer könne auf einen "bereits neunjährigen" Aufenthalt verweisen, der jedoch seit über zweieinhalb Jahre unrechtmäßig sei. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das "Privat-, Familien- sowie Berufsleben" des Beschwerdeführers erweise sich zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und Arbeitsmarktes - als dringend geboten.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers von 2000 bis März 2007 habe nämlich dem alleinigen Zweck gedient, sein Studium zu absolvieren. Während dieses Zeitraumes habe er jedoch keine einzige im Rahmen seines Studiums erforderliche Prüfung abgelegt. Vielmehr habe er (in den im angefochtenen Bescheid im Einzelnen dargestellten Zeiträumen) eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, obwohl er zu keiner Zeit im Besitz eines aus arbeitsmarktrechtlicher Sicht erforderlichen Befreiungsscheines gewesen sei. Er sei mit (seit 22. Februar 2008) rechtskräftiger Strafverfügung wegen des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet bestraft worden und habe beharrlich die maßgeblichen fremden- und arbeitsmarktrechtlichen Bestimmungen ignoriert.
Im Zusammenhang mit seinem Vorbringen, seiner pflegebedürftigen Schwester Hilfestellung bieten zu müssen, sei der Beschwerdeführer jegliche Erklärung schuldig geblieben, weshalb nicht die (wenngleich bereits im fortgeschrittenen Alter befindlichen) Eltern bzw. seine im 18. Lebensjahr stehende, an der Adresse ihrer Mutter wohnende Nichte oder andere Personen (wie etwa auch die anderen Verwandten oder professionelle Pfleger) ausreichende Hilfestellung für die Absolvierung der Dinge des täglichen Bedarfes bieten könnten.
Es sei auch kein Grund geltend gemacht worden, der die Familienangehörigen daran hindern könnte, den Beschwerdeführer "in das Ausland" zu begleiten oder dort zumindest zu besuchen. Der Beschwerdeführer habe ferner nicht konkret ausgeführt bzw. entsprechend belegt, dass er in seinem Heimatland keine sozialen Bindungen mehr aufweise, lebten doch in Serbien zwei erwachsene Kinder des Beschwerdeführers aus einer geschiedenen Ehe sowie eine Cousine und deren Ehemann. Trotz seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit und seiner sehr guten Kenntnisse der deutschen Sprache müsse die durchgeführte Interessenabwägung zu seinen Ungunsten ausfallen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - sofern nicht ausdrücklich auf eine andere Rechtslage verwiesen wird - um die im Dezember 2009 geltende Fassung.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnete § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
Offenbar unter Bezugnahme auf die Feststellung der belangten Behörde, wonach gegenwärtig beim Landeshauptmann von Wien ein Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 NAG anhängig sei, bringt der Beschwerdeführer vor, dass es sich bei dem von ihm am 23. Februar 2007, somit vor Ablauf der ihm erteilten Aufenthaltsbewilligung als Studierender, gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen "humanitärer Gründe" um einen "Verlängerungsantrag" handle. Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung daher zu Unrecht auf § 53 Abs. 1 FPG gestützt statt eine Beurteilung nach § 54 Abs. 1 FPG vorzunehmen.
Die Beschwerde vertritt somit die Ansicht, der am 23. Februar 2007 gestellte Antrag stelle einen mit der Änderung des Aufenthaltszweckes des bisher inne gehabten Aufenthaltstitels verbundenen Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG dar.
Dies trifft jedoch nicht zu.
Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt eine bis 27. März 2007 gültige Aufenthaltsbewilligung (vgl. dazu § 8 Abs. 1 Z 5 NAG in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) - hier: für den Aufenthaltszweck "Studierender" - erteilt. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits klargestellt, dass nach der Rechtslage vor der am 1. April 2009 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 ein "Umstieg" von einer für den Zweck eines Studiums erteilten Aufenthaltsbewilligung auf einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nicht vorgesehen war. Somit lag diesfalls kein - die Perpetuierung des bisherigen rechtmäßigen Aufenthaltes bewirkender - Verlängerungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 4 NAG vor. Vielmehr war ein solcher Antrag als Antrag iSd § 8 Abs. 5 NAG zu qualifizieren (vgl. das Erkenntnis vom 9. Juli 2009, Zl. 2009/22/0111; zum Verhältnis des § 24 Abs. 4 NAG und des § 8 Abs. 5 NAG vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zlen. 2007/21/0184-0187), der bis zur Zustellung der Entscheidung der Behörde erster Instanz ein über die Geltungsdauer der ursprünglichen Aufenthaltsbewilligung hinausgehendes (bloßes) Bleiberecht schuf. Ein die Anwendung des § 53 Abs. 1 FPG ausschließender rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet wurde dadurch jedoch nicht vermittelt.
Nichts anderes galt aber im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 2. Dezember 2009, blieben mit dem Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 am 1. April 2009 doch die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der §§ 8 Abs. 5 und 24 Abs. 4 NAG (bis zum Ablauf des 31. Dezember 2009) unverändert und sah das NAG auch nach dem 1. April 2009 eine "Anschlussfähigkeit" für einen Aufenthaltstitel "humanitäre Gründe" nach einer Aufenthaltsbewilligung "Studierende" nicht vor. Der am 23. Februar 2007 vom Beschwerdeführer gestellte Antrag war daher nicht als Verlängerungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 4 NAG zu beurteilen.
Zwar hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unrichtig angenommen, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen erst am 20. Dezember 2007, somit nach Ablauf des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gestellt habe. Dadurch ist der Beschwerdeführer aber nicht in Rechten verletzt. Aus den bereits dargestellten Gründen hat sie nämlich - mangels Vorliegens eines Verlängerungsantrages iSd § 24 Abs. 4 NAG - für ihre Ausweisungsentscheidung im Ergebnis zu Recht die Bestimmung des § 53 Abs. 1 FPG herangezogen. Ebenso zutreffend hat sie - auf Grund des seit 28. März 2007 nicht mehr rechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich - den entsprechenden Tatbestand als verwirklicht angesehen.
Dennoch hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet:
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2012, Zl. 2011/23/0471, mwN).
Unter diesen Gesichtspunkten verweist die Beschwerde auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, auf seine bereits dargestellten familiären Bindungen im Bundesgebiet und seine Kenntnisse der deutschen Sprache. Die von ihm geleistete Pflege seiner Schwester könne von den Eltern und der Nichte nicht übernommen werden, weil diese dazu nicht in der Lage seien bzw. die Nichte noch die Schule besuche. Eine fremde Pflegeperson könnte sich die Schwester nicht leisten. Ferner habe der Beschwerdeführer in seinem Heimatland bereits das Studium "Maschinenbau" abgeschlossen. In Österreich seien lediglich ergänzende Prüfungen zu absolvieren, um die Nostrifizierung des Studiums zu erreichen. Hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit bringt der Beschwerdeführer vor, dass Studenten mit einem Aufenthaltstitel grundsätzlich zur geringfügigen Beschäftigung zugelassen seien.
Nach den auf die Angaben des Beschwerdeführers gestützten Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. April 2008 - gegenteilige Feststellungen wurden von der belangten Behörde nicht getroffen - reiste der Beschwerdeführer bereits am 7. November 1999 mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet ein. Neben dieser besonders langen Aufenthaltsdauer fällt zu Gunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht, dass er bereits am 21. Februar 2001 eine Ergänzungsprüfung aus Deutsch als Voraussetzung für die Zulassung als ordentlicher Hörer an der Technischen Universität Wien mit der Note "sehr gut" absolviert hat und - wie die belangte Behörde selbst feststellte - sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache aufweist. Im Übrigen war er offenbar auch bemüht, beruflich Fuß zu fassen.
Vor allem ist der vorliegende Fall aber dadurch gekennzeichnet, dass der Beschwerdeführer, der im Bundesgebiet auch familiäre Bindungen zu seinen Eltern und zu seiner Nichte aufweist, seine pflegebedürftige Schwester betreut. Er lebt mit dieser zwar nicht im gemeinsamen Haushalt, nach seinen im Verwaltungsverfahren getätigten Angaben leiste er ihr aber mehrere Stunden täglich Hilfestellung. Die Argumentation der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, weshalb seine Schwester gerade auf die Pflege durch ihn angewiesen sei, vernachlässigt zum einen die Ausführungen in der ärztlichen Bestätigung vom 11. September 2007, wonach die Schwester des Beschwerdeführers ohne dessen Pflege in einem Pflegeheim untergebracht werden müsste. Zum anderen erweisen sich die Darlegungen der belangten Behörde als unzureichend, um das Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Eltern seien altersbedingt und seine Nichte sei als Schülerin nicht in der Lage, die erforderliche Pflege für seine Schwester zu leisten, zu entkräften.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung des - auch strafgerichtlich unbescholtenen - Beschwerdeführers als nicht ausreichend begründet.
Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 21. Februar 2013
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