Normen
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste laut eigenen Angaben im September 2002 im Alter von 20 Jahren nach Österreich ein. Am 7. November 2002 heiratete er die österreichische Staatsbürgerin M. Demzufolge wurde dem Beschwerdeführer im Februar 2003 eine bis zum 14. Februar 2004 gültige Erstniederlassungsbewilligung "begünstigter DrittSta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" erteilt, die danach mehrfach - zuletzt als Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gültig bis zum 16. August 2007 - verlängert wurde.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Juli 2003 wurde der Beschwerdeführer wegen des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 des Suchtmittelgesetzes (SMG), §§ 15, 12 dritter Fall StGB zu einer auf drei Jahre bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer dadurch, dass er am 19., 20. und 21. Jänner 2003 Aufpasserdienste geleistet habe, dazu beigetragen, dass D. Suchtgift Dritten gewerbsmäßig überlassen bzw. zu überlassen versucht habe, wodurch zumindest 45 g Cannabis in Verkehr gesetzt worden seien.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Meidling vom 1. März 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil der Strafe im Ausmaß von 50 Tagessätzen bedingt nachgesehen wurde. Unter einem wurde die im Ersturteil festgesetzte Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am 2. Juli 2004 seine Ehefrau leicht am Körper verletzt.
Im Hinblick auf diese Verurteilung wurde der Beschwerdeführer am 30. August 2005 von der Bundespolizeidirektion Wien schriftlich ermahnt und darauf aufmerksam gemacht, dass er im Fall eines weiteren Fehlverhaltens damit zu rechnen habe, dass gegen ihn ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung geführt werde.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Mai 2007 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt. Unter einem wurde die im Zweiturteil ausgesprochene bedingte Strafnachsicht widerrufen. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am 14. April 2007 seine Ehefrau am Körper verletzt.
Im Hinblick auf diese Verurteilungen und die zu Grunde liegenden Straftaten erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 87 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Dezember 2007 gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z 1 und 2 FPG stütze.
Einleitend stellte die belangte Behörde im Rahmen ihrer Erwägungen fest, dass der Beschwerdeführer als Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG sei und daher gemäß § 87 FPG für ihn § 86 FPG gelten würde. Auf Grund der vorliegenden Verurteilungen, von denen zwei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen würden, erachtete die belangte Behörde den als "Orientierungsmaßstab" dienenden Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als erfüllt. Gestützt auf drei rechtskräftige Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Übertretungen des § 1 Abs. 3 in Verbindung mit § 37 des Führerscheingesetzes (FSG), somit wegen mehrmaligen Lenkens eines Kfz ohne Lenkberechtigung, erachtete die belangte Behörde auch den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG als erfüllt und ging weiters davon aus, dass das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maße gefährde.
In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, auf seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er einen Sohn habe, und auf den Umstand, dass seine Mutter sowie weitere Verwandte im Bundesgebiet leben würden. Laut Versicherungsdatenauszug sei der Beschwerdeführer seit 1. Jänner 2004 lediglich knapp 12 Monate einer Beschäftigung nachgegangen, auch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung sei er ohne Beschäftigung. Im Hinblick darauf ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen, durchaus erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus.
Dessen ungeachtet sei dieser Eingriff - so die belangte Behörde weiter - zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit Dritter als dringend geboten zu erachten. So habe sich der Beschwerdeführer auch von der ersten Verurteilung wegen Körperverletzung nicht davon abhalten lassen, erneut massiv gewalttätig gegen seine Frau vorzugehen, und die Intensität seiner Gewaltanwendung habe noch eine Steigerung erfahren. Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers sei auch das seiner Verurteilung nach dem SMG zu Grunde liegende Fehlverhalten zu berücksichtigen, wobei die belangte Behörde diesbezüglich auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität hinwies. Darüber hinaus verwies die belangte Behörde noch auf eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer vom 10. August 2007 wegen des Verdachts des schweren Diebstahls und der schweren Sachbeschädigung.
Im Ergebnis - so die belangte Behörde abschließend - würden die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fernbleibe. Mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Auswirkungen auf sein Privat- und Familienleben seien demnach im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Die belangte Behörde sah sich schließlich auch nicht in der Lage, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Dezember 2007 geltende Fassung.
Der Beschwerdeführer ist als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG. Die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist daher gemäß § 87 FPG am Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG zu prüfen. Demnach kann ein Aufenthaltsverbot nur erlassen werden, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist; das persönliche Verhalten muss dabei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 86 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. dazu das Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0131, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt festgehalten, dass das FPG ein System abgestufter Gefährdungsprognosen enthält (vgl. grundlegend das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603), wobei § 86 Abs. 1 FPG gegenüber dem - bei Aufenthaltsverboten im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden - § 56 Abs. 1 FPG und mehr noch gegenüber § 60 Abs. 1 FPG ein höheres Maß an Gefährdung, die vom Fremden ausgehen muss, verlangt.
Während die Bundespolizeidirektion Wien im vorliegenden Fall das Aufenthaltsverbot in ihrem Bescheid vom 11. Oktober 2007 auf § 87 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 FPG gestützt hatte, wurde dieser Bescheid von der belangten Behörde im Hinblick auf den Status des Beschwerdeführers als Ehemann einer Österreicherin unzutreffend mit der Maßgabe bestätigt, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und 2 FPG stütze. Zwar stellte die belangte Behörde in ihrer Begründung grundsätzlich fest, dass gemäß § 87 FPG für den Beschwerdeführer § 86 Abs. 1 FPG gelte, führte in weiterer Folge aber lediglich aus, dass das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit "in hohem Maße" gefährde, "sodass sich (auch) die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt" erweise. Eine nähere Auseinandersetzung damit, im Hinblick auf welche Umstände vom Beschwerdeführer eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG ausgeht, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.
Bei einer solchen Beurteilung hätte die belangte Behörde aber zu beachten gehabt, dass die Verurteilung vom 11. Juli 2003 wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwar formell den Tatbestand gemäß § 56 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt, sie jedoch keine bestimmte Tatsache gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG darstellt, die eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG hätte indizieren können. Darüber hinaus wäre für diese Verurteilung nach dem SMG zu beachten gewesen, dass sich das zugrunde liegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers auf Aufpasserdienste beschränkt hatte und dass es bereits fast fünf Jahre zurücklag. Die zweimalige Verurteilung wegen Körperverletzung, zuletzt zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten, erfüllt zwar die vierte Variante des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG, vermag jedoch nicht einmal eine schwere Gefahr im Sinn des § 56 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG zu indizieren. Gleiches gilt für die von der belangten Behörde für ihre Gefährdungsprognose herangezogenen Verwaltungsübertretungen.
Angesichts dessen hätte sich somit nicht - und zwar auch nicht bei einer Gesamtschau - eine Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG rechtfertigen lassen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 24. April 2012
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