VwGH 2011/23/0128

VwGH2011/23/012812.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. November 2007, Zl. SD 1915/05, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 1. September 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte am 30. September 2003 einen Asylantrag. Der diesen Antrag abweisende Bescheid des Bundesasylamtes erwuchs am 6. März 2004 in Rechtskraft.

Im Hinblick auf seine am 5. März 2004 geschlossene Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin D erhielt der Beschwerdeführer in der Folge eine bis zum 18. Mai 2005 gültige Niederlassungsbewilligung, deren Verlängerung er rechtzeitig beantragte.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2005 wies die Bundespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 aus dem Bundesgebiet aus, weil sich der Beschwerdeführer für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf seine Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. November 2007 gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich die Ausweisung auf § 54 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) stütze.

In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde - unter Einbeziehung der Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid - auf die durchgeführten Erhebungen betreffend den Verdacht einer Scheinehe und auf die Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau am 18. Juli 2005. In diesen Einvernahmen hätten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau widersprüchliche Angaben (u.a. zur Wohn- bzw. Arbeitssituation der Ehefrau sowie zum Ablauf des Tages vor der Einvernahme) gemacht. Der Beschwerdeführer habe auch keine Kenntnisse über das private und familiäre Lebensumfeld seiner Ehefrau gehabt und keine Beweismittel zur Glaubhaftmachung eines aufrechten Ehe- bzw. Familienlebens vorgebracht. Der Beschwerdeführer sei - so die belangte Behörde weiter - eine Scheinehe eingegangen, um einen "Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu erwirken". Dadurch habe er das hohe öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens in erheblicher Weise gefährdet. Damit seien der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) verwirklicht und die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 55 und 66 FPG - im Grunde des § 54 Abs. 1 FPG gegeben.

Im Zuge der Interessenabwägung nach § 66 FPG stellte die belangte Behörde fest, dass sonstige (über die - als Scheinehe qualifizierte - Ehe hinausgehende) familiäre Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht aktenkundig seien. Zwar sei mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden, allerdings sei dieser Eingriff zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Scheinehen) dringend geboten. Die aus der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich ableitbare Integration wiege nicht schwer, weil sich dieser Aufenthalt zunächst auf einen (letztlich) unberechtigten Asylantrag und in der Folge auf seine Scheinehe gestützt habe. Mangels sonstiger familiärer Bindungen sei das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet insgesamt kaum ausgeprägt. Die Auswirkungen der Ausweisung auf seine Lebenssituation würden somit nicht schwerer wiegen als das hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG bzw. des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Dezember 2007 geltende Fassung.

Die Beschwerde rügt unter anderem, dass die belangte Behörde - im Hinblick darauf, dass seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides mehr als zwei Jahre vergangen seien - die aktuelle Situation des Beschwerdeführers nicht erhoben und somit kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich darauf, dass seine Ehe mittlerweile (mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 16. Juli 2007) einvernehmlich geschieden worden sei und dass mit einer in Österreich geborenen Frau, die demnächst die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten werde, eine Lebensgemeinschaft bestehe.

Damit zeigt er einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die belangte Behörde legte ihrer Interessenabwägung zugrunde, dass der Beschwerdeführer (über die von ihr als Scheinehe qualifizierte Ehe hinaus) keine sonstigen familiären Bindungen in Österreich habe und sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet deshalb kaum ausgeprägt sei. Demgegenüber bringt der Beschwerdeführer vor, dass eine Lebensgemeinschaft bestehe. Dieses - in der Beschwerde erstmals erstattete - Vorbringen ist dem Beschwerdeführer auch nicht verwehrt. Angesichts der Dauer des Berufungsverfahrens von etwas mehr als zwei Jahren hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nämlich vor ihrer Entscheidung Gelegenheit geben müssen, maßgebliche Änderungen in seinem Privat- und Familienleben vorzutragen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2007/18/0917, und das Erkenntnis vom 21. Juni 2012, Zl. 2011/23/0669). Es ist aber nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der vorgebrachten Änderung in seinen Lebensumständen (nämlich des Bestehens einer Lebensgemeinschaft mit einer im Bundesgebiet niedergelassenen Fremden) zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung gekommen wäre.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. September 2012

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