VwGH 2011/18/0039

VwGH2011/18/003916.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des X X in W, geboren am 13. Juli 1995, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Dezember 2010, Zl. E1/71.119/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §54 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §30 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §30 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den 1995 geborenen Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, gegen den Vater des Beschwerdeführers sei im Jahr 2002 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit und im November 2009 ein solches für die Dauer von zehn Jahren wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe erlassen worden.

Der Beschwerdeführer sei mit einem Visum D, ausgestellt von der Österreichischen Botschaft Belgrad mit Gültigkeit von 3. Februar bis 22. August 2006, zu seinem Vater in das Bundesgebiet eingereist. Er habe - wie auch sein Vater - eine Erstniederlassungsbewilligung als Familienangehöriger mit Gültigkeit vom 3. August 2006 bis 3. August 2007 erhalten, die auf die Ehe seines Vaters mit einer österreichischen Staatsbürgerin gestützt gewesen sei. Im Zuge eines am 16. Juli 2007 eingebrachten Verlängerungsantrages sei dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden, dass gemäß § 25 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) beabsichtigt sei, ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung einzuleiten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Vater des Beschwerdeführers sei eine Aufenthaltsehe eingegangen, um für sich selbst und den Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu erwirken. Die Erlassung einer Ausweisung auf Grund einer Aufenthaltsehe sei auch dann zulässig, wenn das Bestehen einer Aufenthaltsehe erst nach Erteilung eines Aufenthaltstitels - somit während rechtmäßigen Aufenthaltes - bekannt werde. Gleiches gelte für den Fall, dass sich ein Fremder für die Verlängerung eines bereits ausgestellten Aufenthaltstitels oder das Weiterbestehen eines Niederlassungsrechts rechtsmissbräuchlich auf ein angeblich noch immer bestehendes Familienleben berufe, obwohl tatsächlich ein solches nicht geführt werde und auf diese Weise unter Täuschung der Behörde eine für ihn weitergehende fremdenrechtliche Berechtigung zu erlangen suche, als sie ihm sonst gewährt werden könnte. Ein solches Verhalten sei grundsätzlich geeignet, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung hervorzurufen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei nur dadurch ermöglicht worden, dass sein Vater eine Aufenthaltsehe eingegangen sei und nicht nur für sich, sondern auch für den Beschwerdeführer aus dieser Aufenthaltsehe Aufenthaltstitel abgeleitet habe.

In weiterer Folge vertrat die belangte Behörde unter dem Blickwinkel des § 66 FPG die Auffassung, dass keine überwiegende Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers vorliege. Die Aufenthaltsehe seines Vaters, von der auch er seinen Aufenthaltstitel abgeleitet habe, sei nachgewiesen und gegen seinen Vater aus diesem Grund ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen worden. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers widerstreite öffentlichen Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG, weil er auch im Sinn des § 11 Abs. 4 Z 1 leg. cit. die öffentliche Ordnung gefährde. Auf ein Verschulden des Beschwerdeführers hinsichtlich des Versagungsgrundes komme es nicht an. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei daher auch im Hinblick auf die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG zulässig.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahren im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (Z 1) nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre, oder (Z 2) der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

Eine "Aufenthaltsehe" im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG liegt dann vor, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten im Sinn des Art. 8 EMRK führt.

Gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn (unter anderem) eine Aufenthaltsehe vorliegt. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die belangte Behörde begründet die Ausweisung des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit, dass sein Aufenthaltstitel auf die Ehe seines Vaters, die sich als Aufenthaltsehe herausgestellt hat, gestützt worden sei, sein weiterer Aufenthalt daher eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG darstellte und die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers die öffentlichen Interessen im Sinn des § 66 FPG nicht überwögen.

Dem hält die Beschwerde zutreffend entgegen, dass dem Beschwerdeführer die von seinem Vater eingegangene Aufenthaltsehe nicht angelastet werden könne.

Im Hinblick auf einen Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels für eine Minderjährige, gegen deren Vater ein Aufenthaltsverbot wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe erlassen worden war, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2009/22/0325, ausgeführt, dass die Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (§ 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG) nicht im Wege einer "Sippenhaftung", sondern fallbezogen in Form einer Prognose ausgehend vom Gesamtverhalten für jede Person eigenständig zu prüfen ist. Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes der "Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinn des § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten, die alle den Fremden betreffenden relevanten Umstände berücksichtigt und diese einer auf den Fremden bezogenen Bewertung unterzieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2009, Zl. 2008/22/0899, mwN).

Dies hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall unterlassen. Hinsichtlich der von seinem Vater eingegangenen Aufenthaltsehe kann dem Beschwerdeführer kein Fehlverhalten vorgeworfen werden. Wenn die belangte Behörde davon ausgeht, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde wegen der Aufenthaltsehe seines Vater die öffentliche Ordnung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG, verkennt sie damit die Rechtslage. Dass dem im Zeitpunkt der Erteilung des ersten Aufenthaltstitels im August 2006 elfjährigen bzw. bei Einbringen des Verlängerungsantrages zwölfjährigen Beschwerdeführer, der von seinem Vater vertreten wurde, ein anderes Fehlverhalten vorzuhalten wäre, wurde von der belangten Behörde nicht festgestellt. Auf einen anderen Rechtsgrund wurde die Ausweisung nicht gestützt.

Wegen des aufgezeigten Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Pauschalbetrag gemäß § 1 Z 1 lit. a dieser Verordnung die Umsatzsteuer bereits abdeckt.

Wien, am 16. Februar 2012

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