VwGH 2011/08/0356

VwGH2011/08/035615.5.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der A B in W, vertreten durch Mag. Stephan Zinterhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rudolfsplatz 3/8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 9. September 2011, Zl. 2011-0566-9-002455, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 10 in Verbindung mit § 38 AlVG der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 25. August 2011 ausgesprochen.

Die belangte Behörde führte aus, die Beschwerdeführerin beziehe seit dem Jahr 2004 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Form von Notstandshilfe und sei seit dem Jahr 1999 nicht mehr in Beschäftigung gestanden.

Der Beschwerdeführerin sei am 27 Juni 2011 vom Arbeitsmarktservice eine Beschäftigung als Stubenmädchen bei einen näher bezeichneten Hotel mit einer Entlohnung in der Höhe von EUR 1.205 brutto zuzüglich Verpflegung zugewiesen worden. Möglicher Arbeitsantritt sei der 1. Juli 2011 gewesen.

Die Beschwerdeführerin habe sich nicht beworben. In der mit ihr vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aufgenommenen Niederschrift habe sie (unter anderem) angegeben, dass sie sich nicht beworben habe, weil ihr letztes Gehalt über EUR 2.000 betragen habe. Man wolle nicht in Österreich geborene Menschen durch diese Arbeiten diskriminieren. Es gäbe genug AMS Kunden, die solche Jobs machen könnten. Die Beschwerdeführerin habe auch angegeben, dass ihre Wirbelsäule "kaputt" und auch ihre "linke Herzseite vergrößert" sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Angaben betreffend ihren gesundheitlichen Zustand bereits anlässlich eines früheren Verfahrens zum Arbeitsmedizinischen Dienst zugewiesen worden sei, um abzuklären, ob gesundheitliche Einschränkungen vorlägen. Am 4. November 2010 sei mit der Beschwerdeführerin eine Niederschrift aufgenommen worden; dabei sie sie auf die Rechtsfolgen einer Versäumnis des für den 8. November 2010 angesetzten Termins beim arbeitsmedizinischen Dienst hingewiesen worden. Die Beschwerdeführerin habe diese Niederschrift unterzeichnet und handschriftlich einen Zusatz hinzugefügt, in dem sie angemerkt habe, "gegenüber dem BBRZ (arbeitsmedizinischer Dienst) skeptisch zu sein"; sie besuche auf eigene Kosten einen privaten Englisch- und Französisch-Kurs und wollen diesen am 8. November 2010 nicht nochmals versäumen, da sie bereits einmal wegen eines AMS-Termins ihren Sprachkurs versäumt habe.

Die Beschwerdeführerin habe den Termin beim arbeitsmedizinischen Dienst nicht wahrgenommen, da sie ihn für unsinnig halte und sie den privat bezahlten Sprachkurs nicht habe ausfallen lassen wollen. Die Beschwerdeführerin habe sich bereits mehrfach in davor anhängigen Berufungsverfahren geweigert, einen arbeitsmedizinischen Termin wahrzunehmen und habe dem Arbeitsmarktservice so eine medizinische Abklärung zu den von ihr vorgebrachten gesundheitlichen Einwendungen unmöglich gemacht.

Die Beschwerdeführerin habe dem Arbeitsmarktservice im Februar 2011 mehrere Schreiben eines Diagnosezentrums vorgelegt, aus denen seitens des Arbeitsmarktservice aber nicht darauf geschlossen werden könne, welche Tätigkeiten ihr gesundheitlich zumutbar seien. Sie sei daher am 21. März 2011 neuerlich "zum BBRZ" zugewiesen worden. Laut Rückmeldung des BBRZ habe sich dort angegeben, "keine Begutachtung zu wollen, da beim BBRZ nur Alkoholiker und Drogensüchtige wären". Aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen habe kein Gutachten erstellt werden können. Am 27. Juni 2011 habe die Beschwerdeführerin angegeben, "nicht zu gedenken das BBRZ nochmals aufzusuchen."

Das Verhalten der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrem Berufungsvorbringen führe zum Ergebnis, dass sie dem Arbeitsmarktservice jede Möglichkeit verweigere, ihre angegebenen gesundheitlichen Beschwerden ärztlich überprüfen zu lassen. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass ihr die Stelle gesundheitlich zumutbar gewesen sei und es sich bei den von ihr vorgebrachten Beschwerden um Schutzbehauptungen gehandelt habe.

Die Beschwerdeführerin habe das Zustandekommen der angebotenen Beschäftigung vereitelt. Da über sie bereits mit 18. Dezember 2008 eine Sperre gemäß § 10 AlVG verhängt worden sei, sei eine Sperre für acht Wochen zu verhängen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. § 10 Abs 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 104/2007 lautet:

"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."

Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl zB das hg Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl 2006/08/0157, mwN).

2. Im Beschwerdefall stützte die belangte Behörde den Verlust des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe darauf, dass diese eine ihr zumutbare Beschäftigung nicht angenommen habe.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr die Beschäftigung aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen nicht zumutbar gewesen sei, was sie durch Vorlage von Attesten belegt habe. Selbst eine Weigerung, über die Vorlage ärztliche Atteste hinaus sich einer Überprüfung der behaupteten körperlichen Beschwerden zu unterziehen, könne keine Pflichtverletzung im Sinne des § 10 AlVG darstellen.

3. Wie die Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt, hatte die erstinstanzliche Behörde bereits in vorangegangenen Verfahren aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin Bedenken hinsichtlich ihrer Arbeitsfähigkeit, da sie eine Abklärung durch Arbeitsmediziner für erforderlich erachtete. Das sich wiederum auf gesundheitliche Einschränkungen stützende Vorbringen der Beschwerdeführerin im nunmehr gegenständlichen Verfahren wurde jedoch nicht zum Anlass genommen, die Arbeitsfähigkeit zu überprüfen, obgleich sich auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt, dass die zuständige Mitarbeiterin der regionalen Geschäftsstelle eine Abklärung der gesundheitlichen Hindernisse als erforderlich erachtete. Stattdessen wurden die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen wegen der Weigerung der Beschwerdeführerin, sich untersuchen zu lassen, beweiswürdigend als "Schutzbehauptungen" gewertet und auf dieser Grundlage die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung festgestellt.

Dieses Vorgehen steht mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Gemäß § 8 Abs 2 AlVG ist der Arbeitslose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld (bzw - in Verbindung mit § 38 AlVG - keine Notstandshilfe).

Da Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin bestanden, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, ihre Arbeitsfähigkeit von Amts wegen zu prüfen, wofür eine medizinische Untersuchung in Betracht kommt (vgl das hg Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl 2004/08/0247). Für den Fall der Verweigerung der Untersuchung sieht § 8 Abs 2 AlVG eine besondere Sanktion - Verlust des Leistungsanspruchs für die Dauer der Weigerung - vor.

Bestehen daher Zweifel an der Arbeitsfähigkeit, verweigert der Arbeitslose aber die ärztliche Untersuchung, so hat die Behörde nach § 8 Abs 2 AlVG vorzugehen, nicht aber - wie im vorliegenden Beschwerdefall - aufgrund der Verweigerung der Untersuchung die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung anzunehmen.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am 15. Mai 2013

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