VwGH 2011/05/0078

VwGH2011/05/00788.4.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Beschwerde der CH in S, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Rathausplatz 3-4, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt St. Pölten vom 15. April 2011, Zl. 00/03/4- 86/2011/Mag.Riegler/SH, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. KL, 2. TL, beide in S), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt St. Pölten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 23. November 2010 beantragten die mitbeteiligten Parteien die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf der in ihrem Eigentum stehenden Parzelle Nr. 153/15, KG O, S H Straße 33, in St. Pölten.

Das geplante Einfamilienhaus sollte unmittelbar an den an der südlichen Grundstücksgrenze liegenden Bestand angebaut werden, und zwar sowohl an dessen westliche wie auch zum Teil an die nördliche Gebäudefront, und sich Richtung Norden fast bis zur Baufluchtlinie erstrecken. Darüber hinaus waren an der Verkehrsfläche ein Carport für zwei Autos und eine Einfriedung geplant.

Der maßgebliche, am 11. März 1994 in Kraft getretene Bebauungsplan sieht für den verfahrensgegenständlichen Straßenzug die offene oder gekuppelte Bebauungsweise vor.

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der unmittelbar südlich angrenzenden Liegenschaft mit der Adresse S H Straße 35. Auf ihrem Grundstück findet sich an dessen nördlicher Grenze zum Baugrundstück hin in etwa spiegelgleich zum Bestand am Baugrundstück ebenfalls Gebäudebestand sowie darüber hinaus ein Wohngebäude, das mit Abstand zu den seitlichen Grundstücksgrenzen errichtet wurde.

Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2010 erhob die Beschwerdeführerin Einwendungen gegen das geplante Vorhaben dahingehend, dass die gesetzlich vorgegebenen Fristen hinsichtlich der Zustellung der Ladung und des Termins der Bauverhandlung nicht eingehalten worden seien, dass ihr als betroffene Anrainerin im gesamten Verfahren Parteistellung zu gewähren sei, sowie dass eine gekuppelte Bebauungsweise betreffend die Grundstücke Nrn. 153/15 und 153/14 nicht anwendbar sei, da, obzwar der Bebauungsplan offene und gekuppelte Bebauungsweise wahlweise anführe, die betroffenen Grundstücke früher als Einheit im Familienbesitz gewesen und später geteilt worden seien, wobei die nachfolgende Bebauung an der gemeinsamen Grundgrenze als Nebengebäude bewilligt worden sei, aus Nebengebäuden aber keine gekuppelte Bebauungsweise ableitbar sei. Der beantragte Neubau sei daher in offener Bebauungsweise zu errichten. Weiters seien Verschlechterungen der vorherrschenden Emissionen und Immissionen zu unterbinden und die unzureichende Feuermauer von den Bauwerbern zu sanieren.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. Dezember 2010 erteilte der Magistrat der Stadt St. Pölten mit Bescheid vom 28. Dezember 2010 den mitbeteiligten Parteien die Bewilligung für den Abbruch von Gebäudeteilen sowie für die Errichtung eines Zubaus (Einfamilienhaus) mit Carport und straßenseitiger Einfriedung beim Haus K Nr. 173 auf dem Grundstück Nr. 153/15 der KG O in St. Pölten, S H Straße 33, unter näherer Beschreibung des Projektes und Vorschreibung von Auflagen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden abgewiesen.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 2011 abgewiesen. In der Begründung setzte sich die belangte Behörde mit den einzelnen Berufungsausführungen zur behaupteten Nichteinhaltung der gesetzlich vorgesehenen Fristen und der vorgesehenen Bebauungsweise, zu der von der Lüftungsanlage ausgehenden Lärmbelästigung und der nicht entsprechend brandschutztechnisch ausgeführten Feuermauer sowie der Unzulässigkeit des Carports im vorderen Bauwich auseinander.

Hinsichtlich der nicht eingehaltenen Bebauungsweise vertritt die belangte Behörde die Ansicht, dass der Beschwerdeführerin diesbezüglich kein subjektiv-öffentliches Recht zukomme, da die Beschwerdeführerin eine Beeinträchtigung einer ausreichenden Belichtung nicht einmal behauptet habe. Abgesehen davon sei für den Grundstücksbereich laut dem geltenden Bebauungsplan wahlweise offene oder gekuppelte Bebauungsweise normiert. Das Wahlrecht sei gemäß § 70 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BauO) nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude auszuüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht sei. Auf dem Baugrundstück Nr. 153/15 der KG O befinde sich direkt an der südlichen Grundgrenze ein Gebäude im Ausmaß von ca. 9,6 m x 4,1 m. Dieses weise im Inneren unter anderem bewilligte Aufenthaltsräume auf. Die bewilligte Gebäudehöhe des Gebäudes mit Pultdach betrage an der Grundgrenze ca. 5,65 m, an der Traufenseite ca. 3,80 m. In Übereinstimmung mit § 51 BauO könne dieses Gebäude nicht als Nebengebäude gewertet werden, da dessen Gebäudehöhe allseitig mehr als 3 m betrage und somit bei Vorhandensein einer offenen Bebauungsweise dieses Gebäude im seitlichen Bauwich nicht zulässig wäre. Am Grundstück Nr. 153/14 der Beschwerdeführerin bestehe ebenfalls ein solches Gebäude, welches in seiner Außenkubatur etwa gespiegelt zu dem vorher beschriebenen Gebäude errichtet worden sei. Durch diese bestehenden bewilligten Baulichkeiten sei das Wahlrecht der offenen oder gekuppelten Bebauungsweise nicht mehr gegeben, da die vorhandene Bebauungsstruktur die gekuppelte Bebauungsweise auf den Grundstücken Nr. 153/14 und Nr. 153/15 der KG O vorgebe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Recht auf Nichterteilung der Baubewilligung für das eingereichte Projekt verletzt. Die bewilligte Bebauungsweise sei nicht ortsüblich und widerspreche den gesetzlichen Bestimmungen. In den bestehenden Gebäuden im seitlichen Bauwich habe es nie eine Aufenthaltsraumnutzung gegeben. Der Dokumentation der Stadt St. Pölten sei zu entnehmen, dass im Bereich der Parzelle Nr. 153/14 (jener der Beschwerdeführerin) ein sogenanntes Hauptgebäude in offener Bebauungsweise errichtet worden sei. Laut Plandarstellung im Hausakt sei eine solche Lösung auch für das Grundstück Nr. 153/15 (das Baugrundstück) vorgesehen, aber nicht realisiert worden. Bei den an der Grundgrenze befindlichen Gebäudeteilen handle es sich um Nebengebäude, die laut Bauordnung erlaubt seien. Daraus könne keine gekuppelte Bebauungsweise abgeleitet werden. Der geplante Neubau sei daher in offener Bebauungsweise zu errichten; die beantragte Baubewilligung hätte nicht erteilt werden dürfen.

Die Beschwerdeführerin wiederholte weiters ihr Vorbringen zur Nichteinhaltung der gesetzlich vorgesehenen Fristen hinsichtlich der Verhandlungsanberaumung, hinsichtlich der Lärmbelästigung in Bezug auf die vorgesehene Lüftungsanlage und hinsichtlich der den brandschutztechnischen Vorgaben nicht entsprechenden Feuermauer.

Der Carport sei laut planlicher Darstellung als Gebäude ersichtlich und daher im vorderen Bauwich unzulässig. Überdies wäre ein derartiges Gebäude in die Berechnung der Bebauungsdichte einzubeziehen, sodass eine Überschreitung der Maximalvorgabe erfolgt sei.

Auf das gegenständliche Beschwerdeverfahren, das mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig war, sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall sind die Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1996 in der Fassung LGBl. 8200-16 maßgeblich.

§ 6 BauO lautet auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

(...)

3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und

(...)

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.

Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

(...)"

Die Beschwerdeführerin ist Nachbarin im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 3 leg. cit. Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektivöffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat. Daraus folgt, dass die Prüfungsbefugnisse der Berufungsbehörde sowie der Aufsichtsbehörde und auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf Nachbarn im Baubewilligungsverfahren zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich derer dieses Mitspracherecht als subjektiv-öffentliches Recht besteht, und soweit rechtzeitig im Verfahren derartige Einwendungen erhoben wurden. Ein Beschwerdeführer kann durch die erteilte Baubewilligung nur dann in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt sein, wenn seine öffentlich-rechtlichen Einwendungen von den Baubehörden in rechtswidriger Weise nicht berücksichtigt worden sind (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 16. März 2012, Zl. 2009/05/0136, mwN).

Die §§ 4 und 70 BauO lauten auszugsweise:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Gesetzes gelten als

...

7. Gebäude: ein oberirdisches Bauwerk mit einem Dach und wenigstens zwei Wänden, welches von Menschen betreten werden kann und dazu bestimmt ist, Menschen, Tiere oder Sachen zu schützen;

Nebengebäude: ein Gebäude mit einer Grundrißfläche bis zu

100 m2, das

o oberirdisch nur ein Geschoß aufweist,

o keinen Aufenthaltsraum enthält und

o seiner Art nach dem Verwendungszweck eines

Hauptgebäudes untergeordnet ist, unabhängig davon, ob ein solches tatsächlich besteht (z.B. Kleingarage, Werkzeughütte); es kann auch an das Hauptgebäude angebaut sein;

...

Wohngebäude: Gebäude, die ganz oder überwiegend zum Wohnen

genutzt werden.

§ 70

Regelung der Bebauung

Die Bebauungsweise regelt die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück. Sie kann unter anderem auf eine der folgenden Arten

festgelegt werden:

(...)

2. gekuppelte Bebauungsweise

die Gebäude auf zwei Bauplätzen sind an der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze aneinander anzubauen und an den anderen seitlichen Grundstücksgrenzen ist ein Bauwich einzuhalten;

(...)

(...)

4. offene Bebauungsweise

an beiden Seiten ist ein Bauwich einzuhalten; (...)

(...)

Die Bebauungsweise darf wahlweise als offene oder gekuppelte festgelegt werden. Der Bauwerber darf ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist.

(...)"

Wie sich aus § 6 Abs. 2 Z 3 BauO ergibt, besteht ein subjektiv-öffentliches Recht des Nachbarn auf Einhaltung der Bestimmungen über die Bebauungsweise nur in dem Umfang, als diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z 9 leg. cit.) der zulässigen (bestehenden bewilligten und zukünftig bewilligungsfähigen) Gebäude der Nachbarn dienen. Anders als bei der Festlegung der gekuppelten Bebauungsweise im Bebauungsplan, die einen Anbau an die seitliche Grundgrenze und damit die Beeinträchtigung des Lichteinfalls auf ein allfälliges Hauptfenster eines Gebäudes am Nachbargrundstück ermöglicht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2013, Zl. 2011/05/0049), dient die Festlegung der offenen Bebauungsweise, bei der an beiden Seiten ein Bauwich einzuhalten ist, der Erzielung einer ausreichenden Belichtung von Hauptfenstern des Nachbargebäudes im Sinn des § 6 Abs. 2 Z 3 BauO, und es kommt dem Nachbarn insofern ein subjektiv-öffentliches Recht zu (siehe das hg. Erkenntnis vom 6. November 2013, Zl. 2010/05/0196; zur insofern vergleichbaren Rechtslage der NÖ BauO 1976 vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1997, Zl. 94/05/0201, im Zusammenhang mit der Festlegung einer wahlweise offenen oder gekuppelten Bauweise).

Für das Baugrundstück ist nach dem maßgeblichen Bebauungsplan ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise festgelegt. Zu klären ist verfahrensgegenständlich, ob dieses Wahlrecht - wie die belangte Behörde vermeint - im Hinblick auf den an der südlichen Grundgrenze gegebenen Altbestand auf dem Baugrundstück bereits im Sinne einer gekuppelten Bebauungsweise verbraucht ist. Das Wahlrecht kann nämlich auch durch ein früheres Bauvorhaben verbraucht sein, das bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes, der erstmals die Wahlmöglichkeit einräumte, realisiert wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2000, Zl. 96/05/0195, zur vergleichbaren Rechtslage der NÖ BauO 1976).

Die Beschwerdeführerin geht zu Recht davon aus, dass die Bebauungsweise anhand der bestehenden Hauptgebäude, nicht aber anhand bestehender Nebengebäude, zu beurteilen ist. Die Festlegung der Bebauungsweise soll (neben der Bebauungshöhe) "den für die Wohnhygiene notwendigen Lichteinfall auf Hauptfenster von Aufenthaltsräumen und die für eine rentable Nutzung der Sonnenenergie notwendige Besonnung dauerhaft sichern" (vgl. den Motivenbericht zu § 69 der Stammfassung der BauO 1996, LGBl 8200- 0). Aufenthaltsräume sind gemäß § 4 Z 1 BauO Räume, welche zum ständigen oder längeren Aufenthalt von Personen bestimmt sind, ausgenommen Wirtschaftsräume. Nebengebäude dürfen nach der Definition des § 1 Z 7 BauO keinen Aufenthaltsraum enthalten. Die Festlegung der Bebauungsweise hat daher regelmäßig die Lage von Wohngebäuden vor Augen, nicht aber jene von Nebengebäuden oder baulichen Anlagen, die keine Aufenthaltsräume aufweisen (vgl. im Ergebnis zur Frage, ob es auf die Anordnung der (Haupt‑)Gebäude oder der Garagen ankommt, zu § 87 Abs. 2 NÖ BauO 1976 das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 1993, Zl. 91/05/0021).

Davon ausgehend ist die zentrale Frage, ob die belangte Behörde zu Recht annehmen durfte, dass es sich beim Altbestand auf dem Baugrundstück nicht um ein Nebengebäude handle, sodass das Wahlrecht zwischen der offenen und gekuppelten Bebauungsweise schon verbraucht sei. Dies ist aus folgenden Gründen zu verneinen:

Die belangte Behörde begründete das Vorliegen eines Hauptgebäudes an der südlichen Grundgrenze mit dem Vorhandensein bewilligter Aufenthaltsräume sowie mit einer bewilligten Gebäudehöhe von ca. 5,65 m an der Grundgrenze und ca. 3,80 m an der Traufenseite, somit mit einer allseitigen Gebäudehöhe von mehr als 3 m, die im Lichte des § 51 BauO ein Nebengebäude im Bauwich unzulässig machte.

Diese Beurteilung der belangten Behörde stützt sich offenkundig auf den im Akt aufliegenden "Änderungsplan zu einem Nebengebäude auf Parzelle Nr. 153/15" vom 6. April 1930. Die Vorlage dieses Änderungsplans war der damaligen Bauwerberin anlässlich der Kollaudierung des Gebäudes aufgetragen worden und dieser trägt auch den Vermerk, dass sich darauf der Bescheid vom 25. März 1930, somit der Kollaudierungsbescheid, beziehe.

Dem genannten Kollaudierungsbescheid ist zu entnehmen, dass anlässlich des Lokalaugenscheins festgestellt worden sei, dass im fertiggestellten (Anmerkung: hier zu beurteilenden) Nebengebäude anstelle des im Baubewilligungsbescheid vom 23. August 1927 genehmigten Stallraumes und der Waschküche eine Wohnung mit Zimmer und Küche eingebaut worden sei. Die lichten Raumhöhen würden 2,30 m (Anmerkung: gegenüber 2,10 m laut Baubewilligung) betragen. Wegen der geringen Raumhöhe von 2,30 m sowie der geringen Stärke der Außenmauern seien die Räume als Wohnräume nicht geeignet. Im Spruch wurde der Bauwerberin die Benützungs- und Wohnbewilligung für das Nebenobjekt nur provisorisch auf die Dauer von zwei Jahren erteilt; danach müsse das Objekt der ursprünglich geplanten Verwendung zugeführt werden. Weiters wurde die Beibringung eines Auswechslungsplans entsprechend der tatsächlichen Ausführung vorgeschrieben.

In ständiger Rechtsprechung geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass aus einer Benützungsbewilligung kein Recht auf Belassung eines der Bauordnung oder der Baubewilligung widersprechenden Zustandes abgeleitet werden kann (vgl. diesbezüglich schon zur NÖ BauO 1883 Krzizek, Die Bauordnung für Niederösterreich, Anmerkung 1 und die Judikaturzitate zu § 111). Normativer Inhalt der Benützungsbewilligung ist die Erteilung der Benützungsbewilligung, wobei als Grundsatz gilt, dass die Benützungsbewilligung einen erforderlichen Baukonsens nicht zu ersetzen vermag. Lässt aber eine Benützungsbewilligung erkennen, dass damit bewilligungspflichtige Projektsänderungen bewilligt wurden, dann ist davon auszugehen, dass in Wahrheit zugleich auch eine Baubewilligung erteilt wurde (vgl. zur NÖ BauO 1976 z.B. die hg. Erkenntnisse vom 15. Juni 2004, Zl. 2003/05/0248, und vom 18. Dezember 2006, Zl. 2005/05/0284). Im Beschwerdefall ist jedenfalls nicht zu erkennen, dass mit dem Benützungsbewilligungsbescheid auch die Abweichungen zur erteilten Baubewilligung bewilligt worden wäre, zumal der Spruch des Benützungsbewilligungsbescheides ausdrücklich nur eine provisorische Benützung als Wohnräume einräumt und nach Ablauf der Frist die ursprünglich geplante Verwendung (Stallraum, Waschküche, Requisitenraum) anordnet.

Den Bauakten kann auch außerhalb des Benützungsbewilligungsbescheides keine nachträgliche Baubewilligung hinsichtlich der in Rede stehenden Aufenthaltsräume entnommen werden.

In Ermangelung bewilligter Aufenthaltsräume liegt auch - wie die Beschwerdeführerin zutreffend einwandte - kein (bewilligtes) Hauptgebäude am Baugrundstück vor, sodass entgegen der Ansicht der belangten Behörde das Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise durch den Altbestand nicht verbraucht wurde.

Ausgehend von der unzutreffenden Annahme des Verbrauchs des Wahlrechtes durch den Altbestand am Baugrundstück unterließ die belangte Behörde weitere Ermittlungen zu den bestehenden und bewilligten Gebäuden auf den Nachbargrundstücken, die im Sinne des § 70 Abs. 1 letzter Absatz BauO eine Beurteilung der von den mitbeteiligten Parteien zu wählenden Bebauungsweise zuließen. Infolgedessen blieb die relevante Frage des Einflusses auf den Lichteinfall ungeprüft.

Dadurch belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass dieser ohne Auseinandersetzung mit dem weiteren Beschwerdevorbringen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG aF in Verbindung mit § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 8. April 2014

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