Normen
AVG §66 Abs4;
BArbSchV 1994 §82 Abs1;
VStG §24;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs4;
BArbSchV 1994 §82 Abs1;
VStG §24;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §51 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz (BH) richtete mit Schreiben vom 3. September 2010 an die mitbeteiligte Partei eine "Aufforderung zur Rechtfertigung", in der sie dieser folgende Verwaltungsüberübertretung zur Last legte:
"Sie haben als Bevollmächtigter des Arbeitgebers der Firma ARGE… und damit zur Vertretung nach außen hin berufenes Organ und strafrechtlich Verantwortlicher der genannten ARGE… nachstehende Verwaltungsübertretung begangen:
1. Übertretung
Der Arbeitsinspektor Ing. Karl G. hat bei der Erhebung des Arbeitsunfalles von Iran C., Stjepan V. und Christian P. am 20. Juli 2010 festgestellt, dass am 20. Juli 2010 auf der Baustelle: Messequartier Graz ein Lehrgerüst in Verwendung stand, das den auftretenden Belastungen im Zuge der Betonierarbeiten nicht standgehalten hat.
Dadurch wurde § 82 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung übertreten, wonach Schalungen und Lehrgerüste standfest und so hergestellt sein müssen, dass die auftretenden Belastungen und Beanspruchungen in allen Bauphasen sicher aufgenommen und direkt auf tragfähigen Boden oder auf sichere oder gesicherte Bauteile übertragen werden können."
Nach einer Einvernahme der mitbeteiligten Partei erließ die BH das Straferkenntnis vom 2. Februar 2011, in dem es im Spruch nach "1. Übertretung" gleich wie in der wiedergegebenen "Aufforderung zur Rechtfertigung" vom 3. September 2010 lautet.
Über die mitbeteiligte Partei wurde gemäß § 82 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 340/1994 (BauV) eine Geldstrafe in Höhe von EUR 3.000,-- verhängt.
Begründend führte die BH unter anderem aus, dass der strafbare Tatbestand durch die Anzeige des Arbeitsinspektorates Graz vom 20. Juli 2010 und durch das durchgeführte Ermittlungsverfahren "als erwiesen anzunehmen" sei.
Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Berufung an die belangte Behörde.
Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung gab die belangte Behörde dieser Berufung mit dem angefochtenen Bescheid Folge, behob das Straferkenntnis der BH vom 2. Februar 2011 und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 und 3 VStG ein.
Nach § 82 Abs. 1 BauV müssten Schalungen und Lehrgerüste - so führte die belangte Behörde in ihrer Begründung aus - so hergestellt sein, dass die auftretenden Belastungen und Beanspruchungen in allen Bauphasen sicher aufgenommen und direkt auf tragfähigem Boden oder auf sichere oder gesicherte Bauteile übertragen werden könnten. Die Abs. 2 ff enthielten Detailregelungen hinsichtlich einzelner Montageschritte, welche die geforderte Standsicherheit gewährleisten sollten. Da es jedoch nicht möglich sei, jedes konstruktionstechnische Detail einer kasuistischen Regelung zu unterziehen, fungiere Abs. 1 als eine Art "Auffangtatbestand" für jene Fälle, in denen ein Lehrgerüst umfalle oder in sich zusammenstürze, ohne dass der jeweils unfallkausale Montagefehler unter die Abs. 2 bis 7 des § 82 Abs. 1 BauV subsumiert werden könnte. Umso wichtiger sei es jedoch, dass - sollte dieser sehr unbestimmt formulierte Tatbestand als übertretene Verwaltungsvorschrift herangezogen werden - der Tatvorwurf im konkreten Fall zum Ausdruck bringe, durch welches Handeln oder Unterlassen diese Bestimmung verletzt worden sei. Im Anlassfall hätten sich jedoch sowohl der anzeigenlegende Arbeitsinspektor, als auch in weiterer Folge die BH mit der bloßen Wiedergabe des Gesetzestextes als "Tatvorwurf" begnügt. Es fehle jeglicher Hinweis auf eine mögliche Unfallursache und einen daran anknüpfenden Vorwurf eines konkreten Fehlverhaltens, welches zu diesem Unfall geführt habe. Die genaue Unfallursache hätte letztlich erst im Berufungsverfahren unter Verwertung des im Gerichtsverfahren erstatteten Gutachtens geklärt werden können. Selbst wenn man der BH einräume, dass ihr damals auf Grund der sofortigen Sperre der Baustelle durch den Gerichtssachverständigen eingehende Ermittlungen zur Unfallursache verwehrt gewesen seien, wäre sie doch gehalten gewesen, einen derart unbestimmten Tatvorwurf innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist zu konkretisieren, so etwa durch Beischaffung des Gerichtsaktes, in welchem bereits wenige Wochen nach dem Unfall das Sachverständigengutachten aufgelegen sei.
Bei derart allgemein gehaltenen gesetzlichen Verpflichtungen wie jener des § 82 Abs. 1 BauV, an welche sich eine immerhin nicht unbeträchtliche Strafsanktion knüpfe, sei es zwingend erforderlich, dass aus der Tatumschreibung hervorgehe, welches Handeln oder Unterlassen vom Arbeitsgeber unter Berufung auf diese Bestimmung gefordert wäre. Im vorliegenden Fall hätte der Bestrafte "de facto" bis zur Berufungsverhandlung nicht gewusst, welches konkrete Fehlverhalten ihm mit dem im Straferkenntnis enthaltenen "Tatvorwurf" überhaupt zur Last gelegt werde.
Beim Spruch des Straferkenntnisses der BH vom 2. Februar 2011 handle es sich um einen nicht berichtigungsfähigen Mangel im Sinne des § 44a VStG, da bei erstmaliger Formulierung eines Tatvorwurfes im Berufungsverfahren, welcher dieser Bestimmung und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Genüge tun würde, der Beschuldigte einer Instanz beraubt wäre. Da darüber hinaus auch bereits Verfolgungsverjährung eingetreten sei, sei das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 und 3 VStG einzustellen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende gemäß § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 erhobene Amtsbeschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 82 Abs. 1 BauV müssen Schalungen und Lehrgerüste standfest und so hergestellt sein, dass die auftretenden Belastungen und Beanspruchungen in allen Bauphasen sicher aufgenommen und direkt auf tragfähigen Boden oder auf sichere oder gesicherte Bauteile übertragen werden können.
Die belangte Behörde meint zunächst, dass innerhalb der sechsmonatigen Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 VStG keine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 VStG erfolgt sei.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt auch das Zurkenntnisbringen des Anzeigeninhaltes mit der Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme zur Rechtfertigung eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 VStG dar, wenn die Anzeige alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale enthält (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11.525/A, und das Erkenntnis vom 19. Dezember 2005, Zl. 2001/03/0162).
Beim Erfordernis einer genauen Tatumschreibung im Sinne des § 44a Z. 1 VStG kommt es darauf an, den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und ihn rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den erwähnten Rechtsschutzüberlegungen zu messendes Erfordernis sein (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. Nr. 11.894/A). Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 vorliegt oder nicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2004/15/0030). Das bedeutet, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat (lediglich) unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit dieser in die Lage versetzt wird, auf den Vorwurf zu reagieren und damit sein Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 2002/09/0005).
Am 20. Juli 2010 ereignete sich auf der Baustelle Messequartier Graz ein Arbeitsunfall, bei dem drei Arbeitnehmer verletzt wurden, als im Zuge von Betonierarbeiten einer Stahlbetondecke das Lehrgerüst versagte und die noch nicht fertig betonierte Decke mitsamt den drei Arbeitnehmern ca. 6,5 m in die Tiefe stürzte.
In der "Aufforderung zur Rechtfertigung" vom 3. September 2010 konkretisiert die dort dargelegte Sachverhaltsumschreibung die Tat in örtlicher und zeitlicher Hinsicht sowie bezüglich der konkreten Bauphase (nämlich "im Zuge der Betonierarbeiten"), in der das Lehrgerüst zusammenbrach und somit die Vorschrift des § 82 Abs. 1 BauV nicht eingehalten wurde.
Im vorliegenden Beschwerdefall ist nicht zu erkennen, dass die Verfolgungshandlung nicht ausreichend konkretisiert gewesen wäre, zumal von der mitbeteiligten Partei kein Vorbringen erstattet wurde, wie sie der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt oder an einer Wahrung ihrer Rechtsschutzinteressen behindert gewesen wäre.
Der exakte technische Mangel des Lehrgerüstes bzw. die genaue Ursache seines Einsturzes gehören - wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt - nicht zum relevanten Sachverhalt, welcher der mitbeteiligten Partei innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist hätte vorgehalten werden müssen. Bei den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen, nämlich einem zusammengebrochenen und damit unbestrittenermaßen nicht standfesten sowie den auftretenden Belastungen nicht standhaltenden Lehrgerüst war es nicht erforderlich, in der Verfolgungshandlung den Tatvorwurf durch Beschreibung der exakten technischen Mängel des Lehrgerüstes zu konkretisieren.
Es wurde somit rechtzeitig innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine alle der Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung gesetzt. Die behauptete Verfolgungsverjährung liegt somit nicht vor.
Die gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG verpflichtet die belangte Behörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden, wobei sie berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid - im Verwaltungsstrafverfahren allerdings unter Beachtung des geltenden Verschlimmerungsverbotes - nach jeder Richtung abzuändern. Entscheidung in der Sache bedeutet aber auch eine Beschränkung des Prozessgegenstandes der Berufungsentscheidung durch jene Verwaltungssache, welche der unteren Instanz vorlag (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. November 1994, Zl. 92/07/0139, mwN).
Die belangte Behörde wäre daher angesichts einer tauglichen Verfolgungshandlung verpflichtet gewesen, den Spruch sowie die Begründung des Straferkenntnisses der BH vom 2. Februar 2011 in der von ihr für erforderlich erachteten Weise richtig zu stellen. Der zweite von der belangten Behörde angenommene Einstellungsgrund eines "nicht berichtigungsfähigen Spruchmangels im Sinne von § 44a VStG" wurde daher zu Unrecht angenommen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 18. Oktober 2011
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