Normen
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte am 25. Juni 2004 bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. In ihrem Antrag brachte sie vor, sie sei in Nigeria geboren, habe seit 23. Juli 2001 ihren Wohnsitz (ununterbrochen) in Österreich und sei seit 22. Dezember 2001 mit dem österreichischen Staatsbürger RP verheiratet.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. Februar 2005 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass "innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt dieses Bescheides der Nachweis des Ausscheidens aus dem bisherigen Staatsverband erbracht wird und im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft die Voraussetzungen des § 11a iVm § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der geltenden Fassung nach wie vor erfüllt sind".
Die Beschwerdeführerin legte am 9. März 2005 bei der belangten Behörde eine Bestätigung der Botschaft der Bundesrepublik Nigeria (in Wien) vor, wonach sie die nigerianische Staatsbürgerschaft freiwillig zurückgelegt und den nigerianischen Reisepass an die genannte Botschaft zurückgegeben habe.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. April 2005 wurde der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom 19. Mai 2005 "nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985" die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Im Zuge dieser Verleihung legte die Beschwerdeführerin am 19. Mai 2005 niederschriftlich ein Gelöbnis ab (§ 21 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985). Danach wurde niederschriftlich Folgendes festgehalten:
"Die anwesenden Parteien geben an:
1. Meine persönlichen Verhältnisse (insbesondere der Familienstand, die Wohnadresse, der Haushalt, der Arbeitsplatz) haben sich nicht geändert.
- 2. Ich bin nicht gerichtlich verurteilt.
- 3. Gegen mich ist kein Strafverfahren anhängig.
- 4. Gegen mich ist weder ein Aufenthaltsverbot noch ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (Ausweisung, Aufenthaltsverbot) anhängig.
5. Ich wurde informiert, dass ich durch einen allfälligen Erwerb oder Wiedererwerb einer fremden Staatsangehörigkeit gleichzeitig kraft Gesetzes die eben erworbene österreichische Staatsbürgerschaft ohne weiteres wieder verlieren würde.
Die Aushändigung des Bescheides über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und der nachstehend angeführten Dokumente wird bestätigt."
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. November 2011 wurde
- das Verfahren der Beschwerdeführerin auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, das mit Bescheid "des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung" vom 18. April 2005 mit Wirksamkeit vom 19. Mai 2005 abgeschlossen wurde, wieder aufgenommen und in den Stand vor der Verleihung zurückversetzt (als Rechtsgrundlage führte die belangte Behörde an: § 39 StbG iVm § 69 Abs. 4 AVG, § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG, §§ 4, 24 StbG) (Spruchpunkt I),
- der Bescheid über die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft widerrufen (als Rechtsgrundlage führte die belangte Behörde an: § 64a Abs. 4 StbG 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006, § 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998) (Spruchpunkt II),
- das Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 25. Juni 2004 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abgewiesen (als Rechtsgrundlagen führte die belangte Behörde an: § 64a Abs. 4 StbG 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006, § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG 1985 in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006) (Spruchpunkt III).
Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Ermittlungsverfahrens und der maßgeblichen Rechtslage zu Spruchpunkt I im Wesentlichen aus, im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft habe die Beschwerdeführerin mit dem österreichischen Ehegatten nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt; der Vorwurf der Erschleichung wäre nicht gerechtfertigt, wenn die Behörde in der Lage gewesen wäre, die "unrichtige Angabe" festzustellen. Da die Ehe erst nach der Verleihung der Staatsbürgerschaft geschieden worden sei und eine Meldeauskunft keinen Hinweis auf eine Auflösung des gemeinsamen Haushalts ergab, habe es für die Behörde keinen Anlass gegeben, "am gemeinsamen Haushalt zu zweifeln und diesbezüglich weitere Ermittlungen einzuleiten". Die niederschriftliche Einvernahme "der MA 35 des Amtes der Wiener Landesregierung wird von der ha. Behörde nicht angezweifelt". RP habe "im entscheidenden Zeitraum" ein Drogenproblem gehabt und sich an Daten sowie Straßennamen nicht erinnern können. Er habe "dreimal in unterschiedlicher Weise" ausgesagt, dass er im Februar oder März 2005 den gemeinsamen Haushalt aufgehoben und seither nicht mehr mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Am 27. Juni 2005 habe RP sich von der G-Gasse 20 ab- und im F angemeldet. Die Angaben des RP "sind sowohl nachvollziehbar als auch schlüssig, weil eine An- bzw. Abmeldung vom Hauptwohnsitz eine nicht alltägliche Handlung darstellt"; nach allgemeiner Lebenserfahrung könne davon ausgegangen werden, dass "man" sich nicht an Daten, Straßennamen erinnere, aber an den Umstand, dass "der Zeuge nicht mehr für einen bestimmten Zeitraum im gemeinsamen Haushalt gelebt hat". Die Behörde zweifle nicht am Wahrheitsgehalt "der drei übereinstimmenden Aussagen", die in unterschiedlicher Weise dargelegt worden seien. Am Tag der Verleihung habe RP mit der Beschwerdeführerin nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gelebt. Die Hauptwohnsitzmeldung stelle "keinen Beweis (sondern nur ein Indiz)" dafür dar, dass die Person am Hauptwohnsitz tatsächlich lebe. Bei der Beschwerdeführerin könne "sehr wohl von Schutzbehauptungen ausgegangen werden". Sie habe angegeben, "dass sie das Gericht belogen hätte, um ohne Probleme einvernehmlich geschieden zu werden". Es könnte aber genauso umgekehrt sein, nämlich dass die Beschwerdeführerin "der Staatsbürgerschaftsbehörde verschwiegen hat, dass der gemeinsame Haushalt zum Zeitpunkt der Verleihung nicht mehr bestanden hat". Die Behörde folge "im Rahmen der freien Beweiswürdigung" den schlüssig nachvollziehbaren Angaben des RP. Aus den "oben genannten Gründen" sei die belangte Behörde überzeugt, dass die Behauptung der Beschwerdeführerin, im Zeitpunkt der Verleihung mit RP im gemeinsamen Haushalt gelebt zu haben, nicht der Wahrheit entspreche.
Dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Einbürgerung mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet gewesen sei, stehe außer Streit. Die Eheleute hätten im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gelebt. Die Aussage des geschiedenen Ehegatten (RP) sei diesbezüglich "unmissverständlich". Dagegen sei die Aussage der Beschwerdeführerin, sie habe vor Gericht gelogen, "nicht sehr glaubwürdig". Dass die Ehe so kurz nach Verleihung der Staatsbürgerschaft geschieden wurde, beweise, dass die Ehe "schon bei der Verleihung defekt war". Die faktisch noch idente Meldeadresse sei "kein Kriterium einer intakten Ehe". Die Ehescheidung der Eheleute sei sehr dringlich gewesen, da die Beschwerdeführerin dafür sogar in Kauf genommen habe, vor Gericht zu lügen, wie sie selbst eingestanden habe. Das sei alles Hinweis genug, dass die eheliche Gemeinschaft seit längerem "defekt" gewesen sei und bei der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft "durchaus von einem pathologischen Zustand gesprochen werden kann". Das "Leben im gemeinsamen Haushalt" sei eine Angabe von wesentlicher Bedeutung. Diese Angabe "wurde dem Bescheid zugrunde gelegt". Es sei davon auszugehen, dass die Ehe schon einige Zeit vor der Verleihung "nicht mehr intakt war". Somit sei die "Angabe der Antragstellerin vor der Behörde vom 19.05.2005 'objektiv unrichtig' und ist nur aus dem Grund erfolgt, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten". Die Stellungnahme vom 7. April 2010 habe keine neuen Beweise hervorgebracht, die "die Absicht der Behörde hätten ändern können". Entgegen § 4 StbG habe die Beschwerdeführerin "wiederholt falsche Angaben in der Absicht gemacht, die Behörde in die Irre zu führen und die bescheidmäßige Verleihung der Staatsbürgerschaft zu erschleichen". Nachdem "wesentliche persönliche Lebensumstände am 19.05.2005 verschwiegen wurden", stehe fest, dass der Bescheid über die Verleihung "auf Grund eines falschen Zeugnisses erlassen wurde". Die weitere Bescheidbegründung betrifft die Spruchpunkt II und III.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311/1985, in der im Hinblick auf den Verleihungszeitpunkt (19. Mai 2005) maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 lautete:
"§ 11a. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn
1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt, 2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,
3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und
4. a) die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder
b) die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht und sein Ehegatte seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen österreichischer Staatsbürger ist oder
c) der Ehegatte die Staatsbürgerschaft durch Verleihung gemäß § 10 Abs. 4 Z. 2 oder durch Erklärung gemäß § 58c erworben hat und der Fremde seinen Hauptwohnsitz vor dem 9. Mai 1945 im Bundesgebiet hatte und sich damals gemeinsam mit seinem späteren Ehegatten ins Ausland begeben hat.
(2) Einem Fremden darf die Staatsbürgerschaft gemäß Abs. 1 nicht verliehen werden, wenn er
- 1. mit dem Ehegatten das zweite Mal verheiratet ist und
- 2. diesem Ehegatten die Staatsbürgerschaft nach Scheidung der ersten gemeinsamen Ehe auf Grund der Heirat mit einem Staatsbürger verliehen wurde."
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 3 AVG kann ein mit Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Mai 2011, Zl. 2007/01/1144; und vom 15. März 2010, Zl. 2007/01/0674, jeweils mwN).
Im vorliegenden Fall begründete die belangte Behörde die Erschleichung des Verleihungsbescheides (die Erschleichungsabsicht) damit, die "Angabe der Antragstellerin vor der Behörde vom 19.05.2005 sei objektiv unrichtig gewesen", weil der österreichische Ehegatte RP bereits im Februar oder März 2005 aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen sei. Die Beschwerdeführerin habe "wiederholt falsche Angaben" gemacht, bzw. habe sie "am 19.05.2005 wesentliche persönliche Lebensumstände verschwiegen", der Verleihungsbescheid sei "auf Grund eines falschen Zeugnisses" erlassen worden.
Bei dieser Annahme geht die belangte Behörde davon aus, die Beschwerdeführerin habe im Verleihungsverfahren konkret angegeben, dass sie mit RP, ihrem österreichischen Ehegatten im gemeinsamen Haushalt lebe. Nach Ausweis der Verwaltungsakte hat die Beschwerdeführerin jedoch darüber keine Angaben in ihrem Verleihungsansuchen gemacht. Der Zusicherungsbescheid vom 16. Februar 2005, der ohne behördliche Ermittlungen in dieser Hinsicht erlassen wurde, ist der Beschwerdeführerin am 7. März 2005 zugestellt worden. Die Beschwerdeführerin gab anlässlich der Erlassung des Zusicherungsbescheides keine Erklärung über einen gemeinsamen Haushalt mit RP ab. Daher enthält auch die Angabe der Beschwerdeführerin bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft am 19. Mai 2005, ihre persönlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert, keine Behauptung eines bestehenden gemeinsamen Haushaltes mit (ihrem Ehegatten) PR.
Die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe im Verleihungsverfahren über einen gemeinsamen Haushalt mit RP (ihrem Ehegatten) objektiv unrichtige Angaben gemacht und in dieser Hinsicht "die Behörde in die Irre geführt", trifft daher nicht zu.
Da die belangte Behörde - wie im angefochtenen Bescheid (ausdrücklich) dargelegt wurde - sich nicht veranlasst sah, "am gemeinsamen Haushalt zu zweifeln", ihren Bescheid "diese Angabe zugrunde legte", obwohl die Beschwerdeführerin darüber keine Erklärung abgegeben hat und ihr diesbezüglich auch nicht abverlangt wurde, ist das Vorliegen des herangezogenen Wiederaufnahmegrundes zu verneinen, kann von einem "Erschleichen" doch nicht gesprochen werden, wenn die Behörde es verabsäumt hat, von den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung Gebrauch zu machen (vgl. Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht, 5. Auflage 2009, S. 315 mwN; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69, Rz 14 mwN; sowie etwa die hg. Erkenntnisse vom 8. Juni 2006, Zl. 2004/01/0470; und vom 19. Februar 1992, Zl. 91/12/0296).
Schon aus diesem Grund hat die belangte Behörde zu Unrecht den Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 3 AVG angenommen.
Der angefochtene Bescheid ist in seinem auf die verfügte Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens aufbauenden Umfang des Widerrufs des Zusicherungsbescheides und der Abweisung des Verleihungsantrages daher gleichfalls inhaltlich rechtswidrig. Er war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 19. September 2013
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