VwGH 2011/01/0101

VwGH2011/01/010117.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des K alias E alias SN alias N alias I alias W in T, geboren 1970 alias 1987 alias 1968, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Dezember 2007, Zl. 252.630/0/1E-XI/38/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §28;
AVG §45 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §28;
AVG §45 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, brachte am 12. März 2004 einen Asylantrag ein. Anlässlich seiner am 9. April 2004 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesasylamt, welcher ein Vertreter des Jugendwohlfahrtsträgers beigezogen wurde, wurde das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit 10. Dezember 1987 vermerkt.

Mit Bescheid vom 1. Juli 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Das Bundesasylamt verfügte zunächst die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer persönlich. In weiterer Folge wurde der Bescheid dem Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 10. August 2004 per Telefax zugestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die vom Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers erhobene Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG" als unzulässig zurück.

Zur Frage des Alters des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde unter wörtlicher Wiedergabe der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides aus, bereits das Bundesasylamt sei davon ausgegangen, dass den Angaben des Beschwerdeführers "insgesamt - sohin auch den Angaben des Asylwerbers zu seiner Identität und zu seinem Geburtsdatum - keine Glaubwürdigkeit" zukomme. Der Jugendwohlfahrtsträger sei diesen beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes, "welche sich mit den verschiedenen Angaben des Asylwerbers zu seiner Identität auseinandersetzen", in seiner Berufung nicht entgegen getreten. Insbesondere werde den Argumenten des Bundesasylamtes, wonach den ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch am 4. März 2004 mehr Glaubwürdigkeit zugesprochen werde, und wonach dem "Fremdenakt eine Ablichtung aus einem nigerianischen Reisepass," lautend auf eine andere Identität mit dem Geburtsdatum 10. Februar 1970 zu entnehmen sei, in der Berufung nicht konkret entgegen getreten. Festgestellt werde, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine Person namens I.E., geboren am 10. Dezember 1987, handle und er während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens nicht minderjährig gewesen sei. Diese Feststellungen beruhten zunächst auf dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in Liechtenstein bzw. in Österreich bereits unter verschiedenen Identitäten aufgetreten sei. Insbesondere sei darauf hinzuweisen, dass im Verwaltungsakt die Kopie eines nigerianischen Reisepasses, lautend auf den Namen N.K.C., geboren am 10. Februar 1970, aufliege, welche einer der vom Beschwerdeführer verwendeten Identitäten entspreche; im Übrigen habe der Beschwerdeführer auch unter dieser Identität und mit einem Geburtsdatum Jahrgang 1970 den Asylantrag gestellt. Erst im weiteren Verlauf des Asylverfahrens habe er die Angaben zu seiner Identität und seinem Geburtsdatum geändert und es gäbe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass gerade diese nachträglich getätigten Angaben den Tatsachen entsprechen würden. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung könnten auch die im Verwaltungsakt aufliegenden Fotos des Beschwerdeführers "nicht für die Bewertung ins Treffen geführt werden, dass es sich bei der auf diesen Fotos abgelichteten Person" … "um eine zum Zeitpunkt der Herstellung der Fotos 16 Jahre alte Person handeln würde."

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass eine gesetzliche Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers weder im erstinstanzlichen Verfahren noch zum Zeitpunkt der Erhebung der Berufung gegeben gewesen sei. Darüber hinaus könne in Anbetracht der bereits mit Zustellung an den Beschwerdeführer persönlich erfolgten Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides der in weiterer Folge stattgefundenen Übermittlung einer Ausfertigung dieses Bescheides an den Jugendwohlfahrtsträger keine normative Wirkung zukommen. Es könne daher nicht von einer rechtswirksamen Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an das Land Tirol ausgegangen werden, weshalb kein gegenüber dem Land Tirol ergangener bekämpfbarer Bescheid vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde macht eine Verletzung des Parteiengehörs geltend und führt aus, die belangte Behörde habe nicht offen gelegt, dass nunmehr das Alter des Beschwerdeführers und die Zulässigkeit der Berufung behandelt würden. Die belangte Behörde habe zur Frage des Alters des Beschwerdeführers weder eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt noch ihn zur Stellungnahme dazu aufgefordert. Die belangte Behörde sei auch nicht berechtigt gewesen, den Beschwerdeführer ohne entsprechendes Verfahren zur Altersfeststellung für volljährig zu erklären. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid sei das Bundesasylamt immer von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen und es gebe im erstinstanzlichen Bescheid keine Auseinandersetzung mit den Altersangaben. Auch auf der Übernahmebestätigung betreffend die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei vermerkt worden, dass der Beschwerdeführer vom Jugendwohlfahrtsträger vertreten werde.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde wesentliche Verfahrensmängel auf.

Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Annahme der belangten Behörde, bereits das Bundesasylamt habe den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsdatum bzw. zu seiner Minderjährigkeit keinen Glauben geschenkt, lässt sich der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides nicht entnehmen. Die im angefochtenen Bescheid zitierten Begründungspassagen des erstinstanzlichen Bescheides geben lediglich die beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründen wieder. Ausführungen zur Frage des Alters des Beschwerdeführers finden sich im erstinstanzlichen Bescheid hingegen nicht. Darüber hinaus sprechen auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Kopf des erstinstanzlichen Bescheides unter der von ihm zuletzt angegebenen Identität mit dem Geburtsdatum 10. Dezember 1987 genannt wurde, sowie der Umstand, dass das Bundesasylamt die Zustellung des Bescheides an den Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers veranlasst hatte, dafür, dass das Bundesasylamt von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen ist.

Ausgehend davon hätte die belangte Behörde ihre erstmaligen beweiswürdigenden Ausführungen zur Frage des Alters des Beschwerdeführers aber nicht ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung vornehmen dürfen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217, mwN, sowie dazu, dass es zur Altersfeststellung im Regelfall der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, das hg. Erkenntnis vom 16. April 2007, Zl. 2005/01/0463, mwN).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, kann auch noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die belangte Behörde die vom Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers erhobene Berufung zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 17. Mai 2011

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