VwGH 2010/22/0003

VwGH2010/22/000313.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des G O, geboren am 6. Juni 1969, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 21. Dezember 2009, Zl. E1/4473/9/2009, betreffend Ausweisung nach § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. Dezember 2009 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass der Beschwerdeführer am 18. November 2001 illegal eingereist sei und in der Folge einen Asylantrag gestellt habe. Nachdem dieser erste Asylantrag "negativ" beschieden worden sei, sei er ausgereist und habe anlässlich seiner neuerlichen illegalen Einreise am 7. Juli 2003 einen zweiten Asylantrag gestellt. Dieser sei mit Bescheid vom 6. August 2003 erneut abgewiesen worden. Die dagegen erhobene Berufung habe der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Mai 2009 als unbegründet abgewiesen.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei nicht mehr rechtmäßig und es sei die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG "jedenfalls" zulässig.

In Ansehung des Berufungsvorbringens - so die weitere Bescheidbegründung - sei auf § 66 Abs. 1 FPG Bedacht zu nehmen. Angesichts des mittlerweile achtjährigen "durchgehenden" Aufenthaltes seit November 2001 müsse von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Privatleben ausgegangen werden. Allerdings wirkten zwei mittlerweile rechtskräftig negativ abgeschlossene Asylverfahren wesentlich interessenmindernd.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet, seine Ehefrau lebe mit den drei gemeinsamen Söhnen in Nigeria. In Österreich führe der Beschwerdeführer keine Lebensgemeinschaft und habe keine familiären Bindungen.

Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Der Beschwerdeführer sei in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen und somit am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert. Im Bundesgebiet sei er einmal nach den §§ 83 Abs. 1 und 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden.

Insgesamt überwögen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet.

Laut Aktenlage und Berücksichtigung der schriftlichen Eingaben stehe fest, dass der Beschwerdeführer an Aids erkrankt sei. Im Ermittlungsverfahren sei eine Staatendokumentation angefordert worden, die am 17. September 2009 eingelangt und dem Vertreter des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden sei.

In der weiteren Bescheidbegründung gab die belangte Behörde diese Staatendokumentation auszugsweise wieder:

Es gebe eine allgemeine Kranken- oder Rentenversicherung in Nigeria, die allerdings nur für Beschäftigte im "formalen Sektor" gelte und schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugutekomme. Rückkehrer fänden in den Großstädten eine ausreichende medizinische Versorgung vor, allerdings in der Regel weit unter europäischem Standard. Hilfsorganisationen, die für notleidende Patientinnen und Patienten die Kosten übernehmen, seien nicht bekannt. Aufwendigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/Aids, seien zwar möglich, könnten vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden. Nach offiziellen Schätzungen seien ca. 5% der Bevölkerung mit HIV infiziert. Die meisten Landeshauptstädte hätten öffentliche und private Krankenhäuser. Die Gebühren in öffentlichen Krankenhäusern seien moderat, doch fehle es einigen Krankenhäusern an Ausrüstung und ausreichendem Komfort. Private Krankenhäuser verfügten nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und seien im Allgemeinen teurer. Wenn ein Heimkehrer über eine medizinische Vorgeschichte verfüge, sollte er möglichst eine Überweisung vom letzten Krankenhaus, in dem er behandelt worden sei, vorlegen. Heimkehrer, die vorher nicht in ärztlicher Behandlung gewesen seien, müssten lediglich dem Krankenhaus eine Registrierungsgebühr zahlen und in der Lage sein, ihre Behandlungskosten selbst zu tragen. Zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria seien gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen.

Der Beschwerdeführer - so die weitere Bescheidbegründung - habe ausgeführt, dass die Behandlung von Aids in Nigeria zwar möglich sei, aber die beste Behandlung nur in privaten Krankenhäusern möglich und diese mit erheblichen finanziellen Kosten verbunden sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus, dass eine Krankheit die Unzulässigkeit einer Überstellung in diesen Staat im Hinblick auf die reale Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit sich bringen könne. Die beim Beschwerdeführer diagnostizierte Aidserkrankung sei in seiner Heimat Nigeria sehr wohl behandelbar und es stehe der Erlassung einer Ausweisung keine Bestimmung der EMRK entgegen. Allfällige dem Beschwerdeführer entstehende Kosten fänden bei dieser Abwägung keine Berücksichtigung.

Somit sei die Ausweisung auch unter Berücksichtigung der EMRK und des § 66 FPG nach Abwägung zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde bekämpft nicht die behördlichen Feststellungen und wendet sich nicht gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer nach Abweisung seiner Asylanträge unrechtmäßig in Österreich aufhalte. Anhaltspunkte für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt sind nicht ersichtlich. Somit hegt der Gerichtshof keine Bedenken gegen die Anwendung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) durch die belangte Behörde.

Das Schwergewicht der Beschwerde liegt darauf, dass die belangte Behörde bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt sei. Unter Verweis auf die im behördlichen Verfahren abgegebene Stellungnahme bringt der Beschwerdeführer vor, dass es in Nigeria zwar eine kostenlose Behandlung von HIV/Aids gebe. Nur bestenfalls 16 bis 36% der therapiebedürftigen Nigerianer fänden Aufnahme in diese Behandlung. Jedenfalls müssten die Kosten der Krankenpflege oder der Krankenhausaufenthalte bezahlt werden. Der Beschwerdeführer gehöre keiner privilegierten Gruppe an und habe als Rückkehrer keine Chancen, in ein kostenloses Programm aufgenommen zu werden, weil Rückkehrer aus Europa als reiche Personen eingestuft würden. Der Beschwerdeführer leide durch seine schlechte Hörfähigkeit unter einer massiven Einschränkung. Er halte sich seit 2001 in Österreich auf, sei 40 Jahre alt und habe keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen in Nigeria. Bei einem Abbruch der Behandlung oder auch nur vorübergehenden Nichtbehandlung würde sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers rapide verschlechtern. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er früher oder später sterben."

Er habe sich einmal zu Schulden kommen lassen, sich in eine Auseinandersetzung mit Landsleuten hineinziehen zu lassen. Er führe ein sicheres Leben in Österreich und habe in Nigeria keine Existenzgrundlage.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

Die belangte Behörde hat zu Recht auf das große öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften verwiesen. Dieses Interesse verlangt es grundsätzlich, dass Fremde nach Ablehnung ihres Asylantrages den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herstellen. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zwei (erfolglose) Asylanträge gestellt, er ist beruflich nicht integriert und hat keine familiären Bindungen in Österreich.

Zu beurteilen ist somit in erster Linie, ob der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seine Interessen an einem Verbleib in Österreich in einem solchen Ausmaß vergrößern kann, dass seine Ausweisung einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Achtung seines Privatlebens darstellen würde.

Zur Berücksichtigung und zum Stellenwert einer HIV-Infektion hat der EGMR im Urteil der großen Kammer vom 27. Mai 2008 (N. gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 26565/05, NL 2008,

148) grundlegende Aussagen getroffen. Diesem Fall lag eine Ausweisung gegen eine Staatsbürgerin von Uganda zugrunde, bei der eine HIV-Infektion diagnostiziert wurde. Der EGMR legte dar, dass die deutliche Herabsetzung der Lebenserwartung im Fall der Ausweisung für sich genommen nicht ausreiche, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu begründen. Nur in einem sehr außergewöhnlichen Fall könne die Entscheidung, einen an einer schweren körperlichen Krankheit leidenden Fremden in ein Land abzuschieben, wo die Einrichtungen zur Behandlung dieser Krankheit den im Konventionsstaat verfügbaren unterlegen seien, ein Problem aufwerfen. Im Fall D gegen Großbritannien (Urteil vom 2. Mai 1997) hätten die sehr außergewöhnlichen Umstände darin bestanden, dass der Beschwerdeführer todkrank gewesen sei und er im Heimatland keine Familie gehabt habe, die ihn hätte pflegen können. Der EGMR halte es für geboten, die in der Rechtsprechung angewendete hohe Schwelle beizubehalten. Ein Vertragsstaat sei nicht verpflichtet, Ungleichheiten im Niveau der Behandlungen im Konventionsstaat und Herkunftsstaat durch die Gewährung von kostenloser und unbeschränkter Gesundheitsversorgung für alle Fremden ohne Aufenthaltsrechte in seinem Gebiet zu mildern. Auf Grund der medizinischen Behandlung der Beschwerdeführerin sei ihr Zustand nun stabil. Sie sei reisetauglich und werde so lange gesund bleiben, wie sie die benötigte Grundversorgung erhalte. Ihr Zustand würde sich jedoch rasch verschlechtern und sie Krankheit, Schmerzen und einen baldigen Tod erleiden, wenn sie die momentane Therapie nicht mehr erhalte. Nach Informationen der WHO seien antiretrovirale Medikamentationen in Uganda erhältlich, auch wenn wegen mangelnder Ressourcen nur die Hälfte jener Personen, die sie benötigten, in den Genuss dieser Behandlung kämen. Die Beschwerdeführerin behaupte, sie könne sich die Behandlung nicht leisten und diese wäre in der ländlichen Gegend, aus der sie stamme, gar nicht erhältlich. Es scheine, dass sie Familienmitglieder in Uganda habe. Der EGMR anerkenne, dass die Lebensqualität der Beschwerdeführerin und ihre Lebenserwartung im Fall ihrer Abschiebung nach Uganda beeinträchtigt würden. Sie sei im Moment jedoch nicht todkrank. Nach Ansicht des EGMR weise der Fall keine sehr außergewöhnlichen Umstände auf.

In Anlehnung an dieses Urteil hat auch der Verwaltungsgerichtshof betreffend die Interessenabwägung nach § 66 FPG ausgesprochen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. April 2009, 2008/21/0288 bis 290, und vom 5. Juli 2011, 2008/21/0282), falle es nicht entscheidend ins Gewicht, dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gebe.

Im hier zu beurteilenden Fall ist der Beschwerdeführer "im Moment nicht todkrank". Selbst wenn sich - wie dem Vorbringen zu entnehmen ist - sein Zustand nach Absetzen der momentanen (vom Beschwerdeführer aber nicht näher konkretisierten) Therapie rasch verschlechtern würde und die Gefahr bestehe, dass er "einen baldigen Tod" erleide, liegt der Fall nicht anders als jener, der dem zitierten Urteil der großen Kammer des EGMR vom 27. Mai 2008 zugrunde lag. Auch dort konnte sich die Beschwerdeführerin nach ihrer Behauptung eine Behandlung im Heimatland nicht leisten und es würden sich die Familienmitglieder im Heimatland nicht um den abzuschiebenden Fremden kümmern. Dass der vorliegende Fall in seinen außergewöhnlichen Umständen demjenigen des Urteils des EGMR im Fall D gegen Großbritannien (Aids im Endstadium; psychologische Vorbereitung auf den Tod in einer durch Zutrauen gekennzeichneten Umgebung) gleiche, wird nicht behauptet.

Demgegenüber weist der vorliegende Fall keine außergewöhnlichen Umstände auf, die über diejenigen im eingangs zitierten Fall des EGMR hinausgingen.

Der Verwaltungsgerichtshof übersieht nicht, dass die zitierten Entscheidungsgründe im Urteil der großen Kammer unter der Überschrift der behaupteten Verletzung von Art. 3 EMRK stehen. Die Beschwerdeführerin hatte aber auch eine Verletzung von Art. 8 EMRK behauptet. Diesbezüglich hat der EGMR eine gesonderte Prüfung nicht für notwendig befunden, was den Schluss zulässt, dass die dargelegten Kriterien grundsätzlich auch in die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK einzufließen haben.

Im vorliegenden Fall sind die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich auch unter Berücksichtigung seiner Krankheit nicht ausgeprägt. Er hat sich zwar jahrelang in Österreich aufgehalten, wobei dieser Aufenthalt aber lediglich auf zwei letztlich als unbegründet abgewiesenen Asylanträgen beruhte und vom Beschwerdeführer nicht zu einer Integration im Inland genützt wurde. Er ist weder beruflich integriert noch verfügt er über familiäre Bindungen im Bundesgebiet. Die Unsicherheit seines Aufenthaltes in Österreich war ihm bereits vor Einbringung des zweiten Asylantrages bewusst.

Weder die Krankheit des Beschwerdeführers noch die sonstigen in die Beurteilung gebrachten Umstände weisen vor diesem Hintergrund ein solches Gewicht auf, dass entgegen den dargelegten öffentlichen Interessen an der Erlassung der Ausweisung diese einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Privatleben begründen könnte.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2011

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