VwGH 2010/21/0294

VwGH2010/21/029414.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerden 1. der S, 2. des F, 3. des I und 4. der I, alle in Graz und alle vertreten durch Mag. Georg Dieter, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 10/III, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 20. April 2010, Zlen. 319.692/3-III/4/10 (ad 1.), 319.692/4-III/4/10, (ad 2.), 319.692/2-III/4/10 (ad 3.) und 319.692/5-III/4/10 (ad 4.), jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §17 Abs1 Z3;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §14;
NAG 2005 §2 Abs1 Z18;
NAG 2005 §43 Abs2 Z3;
NAG 2005 §44 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AuslBG §17 Abs1 Z3;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §14;
NAG 2005 §2 Abs1 Z18;
NAG 2005 §43 Abs2 Z3;
NAG 2005 §44 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Kroatien und Mutter des Zweitbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin, die ebenfalls kroatische Staatsangehörige sind. Der Drittbeschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, ist der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin.

Der Drittbeschwerdeführer befindet sich seit Oktober 1997 im Bundesgebiet, die Erstbeschwerdeführerin seit Mai 2001; der Zweitbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin wurden 2006 bzw. 2003 in Österreich geboren. Alle Beschwerdeführer haben noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt, zwei Asylanträge des Drittbeschwerdeführers blieben erfolglos.

Mit Bescheiden je vom 27. Mai 2008 wies die Bundespolizeidirektion Graz die Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 aus. Diese Bescheide erwuchsen am 17. Juni 2008 in Rechtskraft.

Mit ihren am 6. November 2009 bei der Erstbehörde überreichten Anträgen begehrten die Beschwerdeführer je die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). In der Folge "berichtigten" sie diese Anträge dahingehend, dass die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 3 NAG angestrebt werde. Dazu wurde u.a. ausgeführt, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführer finanziell abgesichert sei, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer fließend Deutsch sprächen und dass die Viertbeschwerdeführerin die Schule besuche. In den Verwaltungsakten finden sich dazu eine für alle vier Beschwerdeführer ausgestellte Patenschaftserklärung nach § 2 Abs. 1 Z 18 NAG des praktischen Arztes Dr. Z. vom 30. Oktober 2009, Einstellungszusagen betreffend die Erstbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer vom Oktober 2009 und Bestätigungen je vom 28. September 2009, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer "die Sprachkenntnisse zum Modul A2 gemäß § 14 Abs. 5 Z 2 bis 5 und 7 NAG nachgewiesen" haben.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 20. April 2010 wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) die genannten Anträge jeweils gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurück. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidungen weitgehend gleichlautend im Wesentlichen damit, dass der Drittbeschwerdeführer zunächst unter falscher Identität aufgetreten und am 10. Februar 1998 vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen Urkundenfälschung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt worden sei. Eine Abschiebung nach Erledigung seines ersten Asylantrages - noch 1997 sei gegen den Drittbeschwerdeführer ein dreijähriges Aufenthaltsverbot verhängt worden - sei nicht durchführbar gewesen, weil es nicht gelungen sei, für ihn ein Reisedokument zu erlangen.

In den Ausweisungsentscheidungen vom 27. Mai 2008 - so die belangte Behörde weiter - sei bereits eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt worden; daran seien "die NAG-Behörden" gebunden. Was die Gründe anlange, auf die die nunmehrigen Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG gestützt seien (wirtschaftliche und persönliche Integration), so sei darauf bereits in den Ausweisungsverfahren Bedacht genommen worden. Das Vorbringen der Beschwerdeführer enthalte lediglich "allgemeine und keine konkreten Angaben, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt zu konkretisieren, der gemäß § 11 Abs. 3 NAG aber erforderlich wäre". Es sei nicht erkennbar, dass sich "in der Zeit ab 17.06.2008 bis heute" ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ergeben hätte. Die Anträge der Beschwerdeführer, die im Hinblick auf die nachgewiesenen Sprachkenntnisse auf § 43 Abs. 2 NAG zu gründen gewesen wären, seien daher gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen gewesen.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführer haben letztlich Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG gestellt. Gemäß dieser mit der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 eingefügten Bestimmung ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist. Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG sind, wenn kein Fall des § 44a vorliegt, derartige Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

In den Beschwerdefällen ist unstrittig, dass die Beschwerdeführer mit am 17. Juni 2008 in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden ausgewiesen wurden. Ihre Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG waren daher gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen seit den ergangenen Ausweisungen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich.

Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass eine derartige Sachverhaltsänderung nicht eingetreten sei und dass die nunmehr in den jeweiligen Anträgen geltend gemachten Gründe bereits in den Ausweisungsverfahren Berücksichtigung gefunden hätten. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Zunächst wäre darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass die Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2010/21/0142) - das ist der 7. Dezember 2009 - gegenüber den seinerzeitigen Ausweisungsbescheiden auf einen rund eineinhalb Jahre länger andauernden Inlandsaufenthalt verweisen konnten. Für den im März 2006 im Bundesgebiet geborenen Zweitbeschwerdeführer bedeutet das, dass es nahezu zu einer Verdoppelung seiner Aufenthaltsdauer in Österreich gekommen ist; hinsichtlich der Viertbeschwerdeführerin hat das zur Konsequenz, dass sie nunmehr die Volksschule (offenkundig die zweite Klasse) besucht. Aber auch bezüglich der Erstbeschwerdeführerin und bezüglich des Drittbeschwerdeführers ist der weitere Verbleib in Österreich über rund eineinhalb Jahre hinweg, wenn er auch unrechtmäßig war, nicht völlig bedeutungslos; bezüglich des Drittbeschwerdeführers bedeutet dies nämlich, dass er mittlerweile auf einen zwölfjährigen Inlandsaufenthalt verweisen kann. Dieser Inlandsaufenthalt wurde - was auch für die Erstbeschwerdeführerin gilt - zumindest insoweit für eine Integration genützt, als die beiden genannten Beschwerdeführer, was iVm der längeren Aufenthaltsdauer eine maßgebliche Änderung gegenüber den seinerzeitigen Ausweisungsentscheidungen darstellt, mit 28. September 2009 Sprachkenntnisse unter Beweis stellen konnten, mit denen das Modul 2 der Integrationsvereinbarung nach §14 NAG erfüllt wird. Hinzu tritt noch die - gleichfalls eine Änderung darstellende - Patenschaftserklärung des Dr. Z., die einerseits auf eine soziale Verankerung im Inland hinweist und andererseits das Risiko einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG ausschließt. Was den letztgenannten Gesichtspunkt anlangt, so sind schließlich noch die - gleichfalls neuen - Einstellungszusagen für die Erstbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer je vom Oktober 2009 zu erwähnen. In diesem Zusammenhang ist mit der belangten Behörde darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführer infolge der nachgewiesenen Sprachkenntnisse (bzw., was den Zweitbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin anlangt, ihrer Minderjährigkeit) die Voraussetzung des § 43 Abs. 2 Z 3 NAG erfüllen und insofern die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" nach dieser Bestimmung in Betracht käme. Dann benötigten die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit aber gegebenenfalls keine zusätzliche beschäftigungsrechtliche Bewilligung, weil gemäß § 17 Abs. 1 Z 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz Ausländer, die über eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" verfügen, ohne Weiteres zur Ausübung einer Beschäftigung im gesamten Bundesgebiet berechtigt sind.

Unter Bedachtnahme auf all die genannten Faktoren kann, wie schon erwähnt, nicht davon ausgegangen werden, der Sachverhalt hätte sich seit den Ausweisungen vom Mai 2008 nicht wesentlich geändert. Die vorgenommenen Antragszurückweisungen waren daher nicht gerechtfertigt.

Nach dem Gesagten waren die bekämpften Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG jeweils wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. April 2011

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