Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2012:2010210124.X00
Spruch:
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Erstbeschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag, auch die zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien zum Ersatz von Vorlangeaufwand zu verpflichten, wird abgewiesen.
Begründung
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine fünfköpfige türkische Familie.
Im Jänner 2003 reisten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin (Eltern) gemeinsam mit der am 9. Oktober 1999 geborenen Fünftbeschwerdeführerin (ihrer gemeinsamen Tochter) nach Österreich ein. Hier wurden zwei weitere Kinder geboren, und zwar am 2. März 2003 die Viertbeschwerdeführerin und 9. Oktober 2004 der Drittbeschwerdeführer.
Der Erstbeschwerdeführer stellte unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich einen Asylantrag, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 18. Februar 2004 abwies. Ebenso abgewiesen wurden Asylerstreckungsanträge der Beschwerdeführerinnen sowie ein Antrag auf internationalen Schutz des Drittbeschwerdeführers. Berufungen blieben erfolglos, mit Beschluss vom 22. August 2007 lehnte der Verwaltungsgerichtshof schließlich die Behandlung der gegen die Berufungsbescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Juni 2007 erhobenen Beschwerden ab.
In der Folge wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit den nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden je vom 17. März 2010 die Beschwerdeführer gemäß §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Die belangte Behörde begründete ihre - weitgehend gleichlautenden - Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass sich die Beschwerdeführer nunmehr rechtswidrig in Österreich aufhielten, weil ihnen weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei.
Die Beschwerdeführer befänden sich seit ca. sieben bzw. seit ca. sechs Jahren (Drittbeschwerdeführer) im Bundesgebiet und lebten hier im Familienverband. Die Kinder besuchten die Schule bzw. den Kindergarten, zwei Kinder seien in Österreich geboren. Der Erstbeschwerdeführer sei darüber hinaus auf Grund einer ihm erteilten Beschäftigungsbewilligung auch erwerbstätig gewesen. Darüber hinaus würden die Beschwerdeführer die deutsche Sprache beherrschen. Dem sei jedoch gegenüberzustellen, dass sich die Beschwerdeführer "den Großteil Ihres Aufenthaltes im Asylverfahren befunden" hätten. Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde maßgebend dadurch gemindert, dass ihr Aufenthalt während der Asylverfahren nur auf Grund von Anträgen, die sich letztlich als unberechtigt erwiesen hätten, temporär berechtigt gewesen sei. Sie hätten nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang der Asylverfahren weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen.
Die Beschwerdeführer hielten sich - so die belangte Behörde weiter - seit September 2007 illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, weshalb die Ausweisung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle (nämlich) einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde (demnach) schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung oder nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund habe auch von dem der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessen nicht zu Gunsten der Beschwerdeführer Gebrauch gemacht werden können, weil das ihnen vorwerfbare Fehlverhalten (mehrjähriger illegaler Aufenthalt) die von ihnen geltend gemachte Integration überwiege.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach - nur im Rahmen
des Verfahrens des Erstbeschwerdeführers erfolgter - Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführer halten sich seit rechtskräftiger Beendigung ihrer Asylverfahren unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2001) ist daher erfüllt.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) aber nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Unter diesem Gesichtspunkt wird in den - ebenfalls weitgehend gleichlautenden - Beschwerden kritisiert, die Behörden hätten keine Prüfung der Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorgenommen, sondern lediglich standardisierend und abstrakt ihre Ausweisung aus dem Bundesgebiet ausgesprochen. Eine Auseinandersetzung mit den dargelegten Integrationsnachweisen habe nicht stattgefunden, es sei auch eine persönliche Einvernahme unterblieben, sodass dem entscheidenden Organ der belangten Behörde kein unmittelbarer Eindruck vermittelt worden sei.
Was zunächst den letztgenannten Gesichtspunkt anlangt, so ist den Beschwerdeführern zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht auf eine Berufungsverhandlung und auch kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zlen. 2009/21/0216 bis 0220).
Im Übrigen trifft es zwar zu, dass die gebotene Interessenabwägung eingehender hätte vorgenommen werden können. Es ist auch anzumerken, dass die gegenständlichen Berufungsverfahren rund zwei Jahre dauerten, ohne dass erkennbare Ermittlungsschritte gesetzt worden sind. Den Beschwerden gelingt es allerdings nicht aufzuzeigen, dass dem für das Verfahrensergebnis Relevanz zukäme. Die wesentlichen zur Integration vorgebrachten Umstände (Aufenthaltsdauer, Beherrschung der deutschen Sprache, Schul- bzw. Kindergartenbesuch der Kinder, ehemalige Erwerbstätigkeit des Erstbeschwerdeführers, Geburt der beiden jüngeren Kinder und Begründung des Lebensmittelpunktes aller Beschwerdeführer in Österreich) wurden von der belangten Behörde im Ergebnis nämlich ohnehin berücksichtigt. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer hätte die belangte Behörde aber auch unter Miteinbeziehung der weiter angesprochenen Gesichtspunkte nicht zu der Auffassung gelangen müssen, ihre Ausweisung aus Österreich sei im Hinblick auf Art. 8 EMRK unzulässig.
Die insoweit angesprochene Beteiligung des Erstbeschwerdeführers an einer KEG und das daraus erzielte Einkommen sind nämlich - soweit ersichtlich - nicht an einen Aufenthalt in Österreich gebunden. Weiter ins Treffen geführte "Verwandtschaftsverhältnisse in Österreich", eine Teilnahme am öffentlichen Leben sowie "soziale Kontakte" werden aber auch in der Beschwerde nicht präzisiert.
Wesentlich ist, dass mit den bekämpften Ausweisungen kein Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführer verbunden ist, weil sie alle ausgewiesen wurden. Die demnach zu unterstellende gemeinsame Rückkehr relativiert aber auch, bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt, die Betroffenheit der Kinder, weil im Hinblick auf ihr Alter - auch die Fünftbeschwerdeführerin befand sich bei Bescheiderlassung erst im elften Lebensjahr - die Annahme gerechtfertigt erscheint, sie werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Gegebenheiten anpassen können (siehe zu einem insoweit vergleichbaren Fall etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zlen. 2010/21/0361 bis 0363). Auch eine Verbesserung der lt. Beschwerdevorbringen nur mangelhaften Kenntnisse der türkischen Sprache ist in diesem Zusammenhang zu erwarten.
Der Integration der Beschwerdeführer hielt die belangte Behörde zutreffend entgegen, dass der ihr zugrunde liegende Aufenthalt der Beschwerdeführer lediglich auf unbegründeten Asylanträgen beruhte und seit Beendigung der Asylverfahren unrechtmäßig ist. Die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration wurden in einem Zeitraum erworben, als sich der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin (spätestens auf Grund der erstinstanzlichen Abweisung ihrer Anträge im Februar 2004) der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst waren, sie also nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durften. Das muss auch auf die Kinder durchschlagen, wenngleich ihnen ihr fremdenrechtliches Fehlverhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115 und 0116). Richtig ist im Übrigen, dass die Beschwerdeführer an der Dauer ihrer Asylverfahren kein Verschulden trifft. Diese Dauer hat aber insgesamt noch nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass dem im gegebenen Zusammenhang wesentliche Bedeutung zukäme. Eine Konstellation, wie sie dem - aufhebenden - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, B 950 - 954/10, zugrunde lag, ist hier nicht gegeben.
Die belangte Behörde ist im Recht, wenn sie im Weiterverbleib der Beschwerdeführer im Inland eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen, gegen die die Beschwerdeführer verstoßen, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348).
Demgegenüber reichen - wie dargestellt - die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten Umstände nicht dafür aus, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von ihrer Ausweisung hätte Abstand genommen werden müssen. Dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind und dass zur Türkei keine nennenswerten Kontakte mehr bestehen, was noch ergänzend vorgebracht wird, vermag daran nichts zu ändern, zumal im Hinblick auf den letzterwähnten Gesichtspunkt noch anzumerken ist, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ihr Heimatland erst im Erwachsenenalter verlassen haben.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Da von der belangten Behörde nur im Verfahren betreffend den Erstbeschwerdeführer Akten vorgelegt wurden, war auch nur insoweit Vorlageaufwand zuzusprechen.
Wien, am 26. Jänner 2012
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