VwGH 2010/11/0076

VwGH2010/11/007622.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S J in W, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. März 2010, Zl. UVS-FSG/18/1784/2010-1, betreffend Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Verwaltungsakt befindet sich ein Abschlussbericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Oktober 2009 an die Staatsanwaltschaft Wien, nach dem der Beschwerdeführer am genannten Tag um 7.15 Uhr eine namentlich genannte Passantin gewaltsam niedergerissen und versucht habe, dieser die Tragetasche von der Schulter zu reißen. Konfrontiert mit dem Tatvorwurf gab der Beschwerdeführer am selben Tag zu Protokoll, er habe in seiner Wohnung "die ganze Nacht durchgesoffen" (10 bis 12 Flaschen Bier und drei bis vier kleine Jägermeister). Als ihm in den Morgenstunden des 11. Oktober 2009 das Bier ausgegangen sei, habe er zum Würstelstand gehen wollen, um dort neuerlich Bier zu kaufen. Er sei dabei die Stiegen hinuntergestürzt und könne sich danach an nichts mehr erinnern. Er könne sich auch nicht erklären, warum er versucht habe, einer Frau die Handtasche zu entreißen.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. Jänner 2010 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, sich "binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens" bei der Behörde einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Dem folgte der Hinweis, dass bei Nichterfüllung dieser Aufforderung die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers bis zur Befolgung der Anordnung entzogen werden müsse. In der Begründung verwies die Erstbehörde auf die Angaben des Beschwerdeführers über den gravierenden Alkoholkonsum in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2009, der zu einem Erinnerungsverlust geführt habe. Weiters wurde festgehalten, dass dem Beschwerdeführer im Mai 2006 die Lenkberechtigung entzogen worden sei, weil er ein Kraftfahrzeug im alkoholisierten Zustand gelenkt habe.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Ausgehend von den genannten Angaben des Beschwerdeführers stellte sie fest, dass "10 bis 12 Flaschen Bier rein rechnerisch einem Blutalkoholgehalt von ca. 4 bis 4,8 Promille" entsprächen, sodass beim Beschwerdeführer "offenbar bereits eine enorm hohe Alkoholverträglichkeit" vorliege. Nach Wiedergabe der maßgebenden Rechtsvorschriften (darunter § 5 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 FSG-GV) verwies die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht auf die hg. Rechtsprechung (Erkenntnis vom 16. April 2009, Zl. 2009/11/0020), wonach die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG begründete Bedenken dahingehend voraussetze, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitze. Derartige Bedenken seien in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen. Im vorliegenden Fall seien solche Bedenken - so die belangte Behörde weiter - aus den genannten Gründen (gemeint: auf Grund des geschilderten Verhaltens des Beschwerdeführers) gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerde ein, dass gerade die Ausführungen im von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis, Zl. 2009/11/0020, für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sprächen: So hätte die belangte Behörde einerseits die im erstinstanzlichen Bescheid festgesetzte Frist ("zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens") abändern müssen, wenn sie zum Ergebnis gelangte, dass eine amtsärztliche Untersuchung auch noch im Zeitpunkt ihrer Entscheidung notwendig sei. Abgesehen davon sei die Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung rechtswidrig, weil es keine begründeten Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers gebe. Dessen Alkoholkonsum in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2009 sei in keinem Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges gestanden, auch aus der seinerzeitigen - im Jahr 2006 erfolgten - Entziehung der Lenkberechtigung seien im Hinblick auf die seither verstrichene Zeit keine Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG mehr ableitbar.

Diese Beschwerdeausführungen sind zutreffend:

Gemäß § 24 Abs. 4 FSG ist bei Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 FSG einzuholen (und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen). Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung ist (u.a.) dann, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Aufforderungsbescheid zur amtsärztlichen Untersuchung keine Folge leistet, die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

Da diese Bestimmung durch die 12. FSG-Novelle, BGBl. I Nr. 93/2009, unverändert blieb, kann dazu auf die bisherige Rechtsprechung verwiesen werden. In dem schon von der belangten Behörde zitierten hg. Erkenntnis, Zl. 2009/11/0020, wurde wie folgt ausgeführt:

"Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Fall einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) bei der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt, und ein aktuelles amtsärztliches Gutachten ohne eine neuerliche Untersuchung des Betreffenden oder ohne neue Befunde nicht erstellt werden kann. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2003/11/0302, mwN)."

Wenngleich die belangte Behörde die rechtlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG zunächst zutreffend wiedergegeben hat, so ist die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, unzutreffend:

Begründete Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG hat die belangte Behörde nämlich im Wesentlichen aus dem Umstand abgeleitet, dass der Beschwerdeführer in der Nacht von 10. auf den 11. Oktober 2009 in seiner Wohnung eine größere Menge Alkohol konsumiert habe. Danach habe der Beschwerdeführer am Morgen des 11. Oktober 2009 versucht, einer Passantin die Tragetasche von der Schulter zu reißen (diesbezügliche Erinnerungen waren beim Beschwerdeführer nach seinen Angaben nicht mehr vorhanden).

Aus dem letztgenannten strafbaren Verhalten ist - zumindest was Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen betrifft - nichts zu gewinnen. Aber auch aus dem nächtlichen Alkoholkonsum des Beschwerdeführers in seiner Wohnung können begründete Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG nicht abgeleitet werden:

Der angefochtene Bescheid enthält nämlich keinerlei Feststellungen, dass der Beschwerdeführer in einem zeitlichen Zusammenhang mehrfach derartige Alkoholmengen konsumiert hätte, sodass für eine Alkoholabhängigkeit (von der in den von der belangten Behörde zitierten § 5 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 FSG-GV die Rede ist) keine Anhaltspunkte vorhanden sind.

Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. November 2005, Zl. 2004/11/0121, im Zusammenhang mit der Einschränkung einer Lenkberechtigung ausgesprochen, dass Alkoholkonsum - ohne Bezug auf das Lenken von Kraftfahrzeugen - die Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht in jedem Fall ausschließe. Es müssten vielmehr konkrete Umstände dafür vorliegen, der Betreffende sei nicht Willens oder nicht in der Lage, sein Verhalten in Bezug auf Alkoholkonsum an die Erfordernisse des Straßenverkehrs anzupassen. Nach diesem Erkenntnis müsse somit konkret zu befürchten sein, dass der Betreffende in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand als Lenker eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen werde.

Nichts Anderes gilt für § 24 Abs. 4 FSG: Der bloße Umstand, dass ein Führerscheinbesitzer Alkohol (wenngleich in hohen Mengen) konsumiert hat, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit gegeben sind und ohne dass der konkrete Alkoholkonsum in einem Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges gestanden ist, begründet noch keine Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG, die die Behörde ermächtigen, den Betreffenden zur amtsärztlichen Untersuchung aufzufordern. Schließlich konnten gegenständlich auch aus der bereits im Jahr 2006 erfolgten Entziehung de Lenkberechtigung keine relevanten Rückschlüsse für die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG gezogen werden.

Da die belangte Behörde dies ebenso wie die Erstbehörde (wie deren Akt erkennen lässt) verkannt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.

Bei diesem Ergebnis genügt es, darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde (wären die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorgelegen) gehalten gewesen wäre, die im erstinstanzlichen Bescheid festgesetzte Frist ("binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens") richtig zu stellen (vgl. abermals das zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2009/11/0020).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. Juni 2010

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