VwGH 2010/08/0108

VwGH2010/08/010830.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des KA in A, vertreten durch Mag. Thomas Burkowski, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Gerstnerstraße 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 19. März 2010, Zl. VwSen-252402/2/Gf/Mu, betreffend Übertretung des ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

VStG §51e Abs3;
VStG §51e Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GmbH zu verantworten, dass diese am 13. Februar 2009 drei Personen als Dienstnehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt habe, ohne dass diese vor Arbeitsantritt beim zuständigen Sozialversicherungsträger zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung angemeldet worden seien.

Über den Beschwerdeführer wurde wegen dieser Übertretung des § 33 Abs. 1 iVm § 111 ASVG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 750,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 116 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde - nach Darlegung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses sowie des Berufungsvorbringens - aus:

"Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft U zu GZ SV96-1- 2010; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden."

In der weiteren Begründung des angefochtenen Bescheides setzt sich die belangte Behörde näher mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers auseinander, ohne jedoch ausdrückliche Sachverhaltsfeststellungen zu treffen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid eine mündliche Verhandlung vor der belangten Behörde beantragt und auch Beweisanträge gestellt, insbesondere auf Einvernahme mehrerer in der Berufung namentlich genannter Zeugen. Die belangte Behörde habe dessen ungeachtet von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen seien. Der Beschwerdeführer legt in der Beschwerde auch näher dar, zu welchen Ergebnissen die belangte Behörde seiner Ansicht nach im Falle der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung und Einvernahme der beantragten Zeugen gekommen wäre.

2. § 51e VStG lautet:

"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, daß der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

  1. 2. sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
  2. 3. im angefochtenen Bescheid eine 500 EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

    4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten läßt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

3. Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde im Beschwerdefall weder eine Entscheidung im Sinne des § 51e Abs. 2 VStG noch einen verfahrensrechtlichen Bescheid im Sinne des § 51e Abs. 4 VStG zu erlassen hatte.

Der Beschwerdeführer, der in seiner Berufung die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt und auch in der Folge nicht auf deren Durchführung verzichtet hat, bekämpfte den erstinstanzlichen Bescheid - in dem eine EUR 500,-- übersteigende Geldstrafe verhängt worden war - vollumfänglich, insbesondere auch im Hinblick auf den von der erstinstanzlichen Behörde zugrundegelegten Sachverhalt, und beantragte die Einstellung des Strafverfahrens.

Schon auf Grund des vom Beschwerdeführer gestellten Verhandlungsantrags wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen; selbst wenn der Beschwerdeführer keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hätte, läge keiner der in § 51e Abs. 3 VStG genannten Gründe für ein mögliches Absehen von einer mündlichen Verhandlung vor. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung gestellten Beweisanträge kann jedenfalls auch nicht davon ausgegangen werden, dass die belangte Behörde bei Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

4. Die belangte Behörde meint in ihrer Gegenschrift, dass "von der Unstrittigkeit des entscheidungsrelevanten Sachverhalts ausgehend" die Durchführung der mündlichen Verhandlung hätte unterbleiben können.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass nach den vorgelegten Verwaltungsakten (insbesondere der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid) kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt unstrittig wäre. Auch ein unstrittiger Sachverhalt würde allerdings die belangte Behörde im vorliegenden Fall, in dem in der Berufung ein ausdrücklicher Verhandlungsantrag gestellt wurde, nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 51e Abs. 3 VStG nicht von der Durchführung der mündlichen Verhandlung entbinden.

Schließlich kann das gesetzwidrige Unterbleiben der beantragten mündlichen Verhandlung auch durch die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift weiters vorgebrachten verwaltungsökonomischen Erwägungen - es wäre schlechthin nicht leistbar, in jedem Bagatellfall, in dem wie vorliegend die Mindeststrafe (im Beschwerdefall wären dies EUR 730,--, verhängt wurde eine Strafe von EUR 750,--) verhängt werde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen - nicht gerechtfertigt werden.

5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 30. Juni 2010

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