VwGH 2009/21/0367

VwGH2009/21/036725.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde 1. des GP,

2. der GP, 3. des MP, und 4. der MP, alle vertreten durch Dr. Klaus Kocher & Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 19. November 2009, Zlen. 319.343/2-III/4/09 (ad 1.), 319.343/3-III/4/09 (ad 2.), 319.343/4-III/4/09 (ad 3.) und 319.343/5-III/4/09 (ad 4.), jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §51 Abs4;
FrPolG 2005 §51 Abs5;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs4 idF 2009/I/029;
VwRallg;
FrPolG 2005 §51 Abs4;
FrPolG 2005 §51 Abs5;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44b Abs4 idF 2009/I/029;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Bescheidausfertigungen ergibt sich Folgendes:

Die Beschwerdeführer (ein Ehepaar und seine beiden minderjährigen Kinder) sind Staatsangehörige der Republik Kosovo und beantragten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 18. Dezember 2005 die Gewährung von Asyl. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 2007 wurden diese Anträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Außerdem wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in den Kosovo für zulässig erklärt und ihre Ausweisung in den Kosovo ausgesprochen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. April 2009, Zlen. 2007/01/0361 bis 0365, abgelehnt.

In der Folge beantragten die Beschwerdeführer je die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" nach § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG. Ungeachtet dessen wurden sie am 30. Juni 2009 in den Kosovo abgeschoben. Hierauf wies die Bezirkshauptmannschaft Graz - Umgebung mit Bescheid vom 13. Juli 2009 die zuletzt erwähnten Anträge der Beschwerdeführer ab, weil sie sich nicht mehr im Bundesgebiet befänden.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) die gegen den genannten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Graz - Umgebung erhobene Berufung der Beschwerdeführer "gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 und § 44b Abs. 1 NAG" ab. Das begründete sie im Ergebnis wie die erstinstanzliche Behörde damit, dass sich die Beschwerdeführer nicht mehr im Bundesgebiet aufhielten.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 43 Abs. 2 NAG in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, bei Vorliegen der unter Z 1 bis 3 weiter normierten Voraussetzungen eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" zu erteilen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung ist Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels, dass sich der Drittstaatsangehörige im Bundesgebiet aufhält. Das betonen im Übrigen auch die ErläutRV (88 BlgNR 24. GP 10).

Die Beschwerdeführer, die diese Voraussetzung infolge ihrer am 30. Juni 2009 vorgenommenen Abschiebung nicht erfüllt haben, bringen dagegen vor, die Anknüpfung an den inländischen Aufenthalt führe in Fällen wie den ihren dazu, dass "die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels obsolet gemacht und insofern in unzulässiger Weise die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorweggenommen" werde. "Dieser Zustand" würde eine Verletzung von Art. 8 iVm Art. 13 EMRK sowie eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots faktisch effizienten Rechtsschutzes darstellen, weshalb es unzulässig sei, dass ein auf § 43 Abs. 2 NAG gestützter Antrag im Falle der Abschiebung des Antragstellers auf Grund des dann nicht mehr bestehenden Aufenthalts im Inland abgewiesen werde.

Mit den von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten rechtsstaatlichen Überlegungen hat sich der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach in seinem in der Beschwerde ohnehin angesprochenen Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, auseinander gesetzt. Unter 4.3.4. der Entscheidungsgründe wurde in diesem Erkenntnis ausgeführt:

"Die §§ 43 Abs. 2 sowie 44 Abs. 3 und 4 NAG sehen die Erteilung (quotenfreier) Niederlassungsbewilligungen unter den dort jeweils angeführten weiteren Bedingungen nur für solche Drittstaatsangehörige vor, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Daraus ergibt sich nicht nur - wie in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich angesprochen - das Recht (und die Pflicht) zur Stellung des Antrages im Inland, sondern daraus ist auch zwingend das Recht abzuleiten, die Entscheidung über den Antrag im Inland abwarten zu dürfen. Da die Erteilung der genannten humanitären Niederlassungsbewilligungen jeweils den Aufenthalt des Antragstellers in Österreich voraussetzt, hätte nämlich jedes Verlassen des Bundesgebietes zur Konsequenz, dass dem Antrag nicht stattgegeben werden könnte, und zwar auch dann, wenn dieses Verlassen zwangsweise herbeigeführt wird. Mit anderen Worten:

Durch eine Abschiebung des Fremden in Durchsetzung einer bestehenden Ausweisung während des anhängigen Verfahrens über einen Antrag auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels könnten dessen Erfolgsaussichten unterlaufen werden. Die Fragen, ob einem Antragsteller gemäß § 43 Abs. 2 NAG oder gemäß § 44 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung eines Privat- und/oder Familienlebens eine Niederlassungsbewilligung nach den genannten Bestimmungen zu erteilen ist oder ob dem Antragsteller in einem 'Altfall' im Hinblick auf seinen hohen Integrationsgrad nach § 44 Abs. 4 NAG eine Niederlassungsbewilligung gemäß dieser Norm gewährt werden könne, blieben diesfalls von der Niederlassungsbehörde ungeprüft. Damit könnten die durch die Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 neu geschaffenen Regelungen über den humanitären Aufenthalt durch eine Abschiebung während des Verfahrens völlig 'ausgehebelt' werden. Eine derartige Absicht kann dem Gesetzgeber, der ja die Forderung des Verfassungsgerichtshofes in dem oben genannten Erkenntnis vom 27. Juni 2008, G 246, 247/07 u.a., nach der - aus rechtsstaatlichen Gründen im Hinblick auf einen möglichen Grundrechtseingriff gebotenen - Einräumung eines dem Einzelnen zukommenden Antragsrechtes Rechnung tragen wollte, nicht unterstellt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller während des Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels - grundsätzlich (siehe zu dieser wesentlichen und für die Praxis besonders bedeutsamen Einschränkung noch unten) - nicht abgeschoben werden darf (vgl. den hg. Beschluss vom 14. September 2009, Zl. AW 2009/21/0149).

...

Dem in den ErläutRV (88 BlgNR 24. GP 2) auch zum Ausdruck gebrachten Anliegen des Gesetzgebers, 'Kettenanträge' bei unterschiedlichen Behörden hintanzuhalten, somit missbräuchlichen - in der Absicht, die Durchsetzung bestehender Ausweisungen zu unterlaufen, gestellten - Anträgen auf humanitäre Niederlassungsbewilligung entgegenzuwirken, ist dahingehend Rechnung zu tragen, dass bezüglich eines Antrages, der (als unzulässig oder wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen ist, kein Abschiebungsschutz besteht. In solchen Zurückweisungsfällen lässt sich nämlich für die Gewährung von Abschiebungsschutz während laufenden Verfahrens keine sachliche Rechtfertigung finden (idS auch die oben im Punkt 3.2. schon erwähnte Bestimmung des § 51 Abs. 4 und 5 FPG, welche die gesetzgeberischen Intentionen bei einer vergleichbaren Ausgangslage zum Ausdruck bringt). Andernfalls bestünde - entgegen der vom Gesetzgeber verfolgten Absicht - etwa in den in der Praxis wohl häufigsten, nicht 'Altfälle' betreffenden Konstellationen des § 44b Abs. 1 Z 1 und 2 NAG, die Möglichkeit, trotz rechtskräftiger Ausweisung, in der die Frage der Zulässigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK bereits geprüft wurde, mit einem (mangels diesbezüglicher Sachverhaltsänderung) unzulässigen Antrag die Abschiebung zu verhindern. Gleiches gilt sinngemäß für zurückzuweisende Folgeanträge. Diesbezüglich ist daher kein Abschiebungsschutz anzunehmen. Auch das wurde - worauf hinzuweisen ist - bereits in der Begründung des schon genannten Beschlusses vom 14. September 2009 zum Ausdruck gebracht."

Wie sich aus dem eben Zitierten ergibt, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass den verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführer durch - partielle - Einräumung von Abschiebeschutz und nicht durch eine dem Wortlaut des § 43 Abs. 2 NAG widerstreitende Auslegung dieser Bestimmung Rechnung zu tragen ist. In Anknüpfung an diese Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark mit Bescheid vom 20. Oktober 2009 die trotz laufenden Verfahrens nach § 43 Abs. 2 NAG erfolgte Abschiebung der Beschwerdeführer für rechtswidrig erklärt (vgl. dazu den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0377, mit dem die Behandlung der gegen den genannten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark erhobenen Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark abgelehnt wird). Das ist die Konsequenz der Annahme eines (außer in Zurückweisungsfällen bestehenden) Abschiebeschutzes, der seinerseits aus dem Erfordernis des Inlandsaufenthaltes für eine Titelerteilung (u.a.) nach § 43 Abs. 2 NAG abgeleitet wird, kann aber - anders als die Beschwerdeführer meinen - nicht zu dem Ergebnis führen, von dem genannten Erfordernis ausnahmsweise abzusehen. Auch für die von den Beschwerdeführern angeregte Antragstellung nach Art. 140 Abs. 1 B-VG besteht angesichts des dargestellten Verständnisses der Rechtslage kein Anlass.

Nach dem Gesagten erweist sich die Abweisung der von den Beschwerdeführern gestellten Anträge nach § 43 Abs. 2 NAG nicht als rechtswidrig. Auf die - hier im Detail nicht wiedergegebenen - weiteren Überlegungen der belangten Behörde, die Anträge wären im Falle eines Inlandsaufenthaltes der Beschwerdeführer gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen gewesen, kommt es dagegen nicht an. Es erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit den dazu vorgebrachten Beschwerdeargumenten. Da somit insgesamt bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 25. Februar 2010

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