VwGH 2009/18/0445

VwGH2009/18/044522.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des ZN, geboren am 22. März 1960, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. September 2009, Zl. E1/116.762/2009, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §28;
SMG 1997 §28a;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §28;
SMG 1997 §28a;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, ein auf die §§ 86 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei seit 1989 im Besitz von Aufenthaltstiteln gewesen. Seit 13. Oktober 2003 verfüge er über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer sei mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden:

1. Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 15. Juni 1993 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Der Beschwerdeführer sei als Fahrzeuglenker am 5. September 1992 trotz Rotlichts der Verkehrslichtsignalanlage in eine Kreuzung eingefahren und habe bei dem infolge dessen entstandenen Verkehrsunfalles den Insassen eines anderen Fahrzeuges fahrlässig am Körper verletzt.

2. Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. April 1998 wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2, Abs. 3 Suchtmittelgesetz (SMG), § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Dem sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen in der Zeit von März 1997 bis 8. Dezember 1997 durch Verkauf an einen Mittäter sowie in der Zeit von 1996 bis 8. Dezember 1997 durch den Verkauf an Dritte in W Kokain gewerbsmäßig in einer großen Menge durch Verkauf in Verkehr gesetzt habe.

3. Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 1. August 2005 wegen Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen. Der Beschwerdeführer habe sich in der Zeit vom 9. Jänner 2004 bis 31. Mai 2004 in W als Taxilenker Tageslosungen von insgesamt etwa EUR 1.655,-- mit Bereicherungsvorsatz unrechtmäßig zugeeignet.

4. Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. September 2008 wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 2. und 3. Fall, Abs. 2 Z 1, Abs. 4 Z 1 und Z 3 SMG und nach § 28a Abs. 1 5. Fall Abs. 2 Z 1, Abs. 4 Z 1 und Z 3 SMG (teils als Beteiligter) sowie des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Diesem Urteil - das die belangte Behörde als integrierenden Bestandteil in den angefochtenen Bescheid aufgenommen hat - , ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer - durch im Urteil näher beschriebene Tathandlungen - gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, wobei er schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs. 1 SMG verurteilt worden sei, hinsichtlich Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge zur Aus- und Einfuhr beigetragen, es anderen überlassen und zur Überlassung durch andere beigetragen habe. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem weiteren Täter Kokain in einer die Grenzmenge um das 15-fache übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen.

Zu den integrationsbegründenden Umständen führte die belangte Behörde in ihren Feststellungen ergänzend aus, der Beschwerdeführer sei ab 1984 mit Unterbrechungen, seit 1990 durchgehend im Bundesgebiet als gemeldet verzeichnet. Einem Versicherungsdatenauszug zufolge sei der Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. Jänner 2005 bis 19. April 2006 - zum Teil als geringfügig Beschäftigter - als Arbeiter und in der Zeit vom 22. Mai 2006 bis 31. Jänner 2008 ebenfalls als Arbeiter erwerbstätig gewesen.

Seinen eigenen Angaben zufolge halte sich der Beschwerdeführer seit 1983 in Österreich auf, sei geschieden und habe Sorgepflichten für zwei Kinder. Eine Tochter sei 31 1/2 Jahre alt und wohne "an seiner Wohnanschrift". Die andere Tochter sei 17 Jahre alt und lebe bei ihrer Mutter. Weitere Familienangehörige des Beschwerdeführers lebten nicht in Österreich. Am 2. Juli 2008 habe der Beschwerdeführer während der Verbüßung seiner Strafhaft die österreichische Staatsbürgerin P geheiratet.

In ihren rechtlichen Überlegungen führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei - als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe - Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG. Sohin sei gemäß § 87 FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG zulässig. Der als Orientierungsmaßstab dienende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei infolge der Verurteilungen des Beschwerdeführers erfüllt. Angesichts des den Verurteilungen zugrunde liegenden Fehlverhaltens lägen auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG vor.

Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch aus dem Blickwinkel des § 66 FPG zu bejahen. Es sei zwar von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen, jedoch sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und des Eigentums Dritter, als dringend geboten anzusehen. Das Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche augenfällig, dass er nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Angesichts der Suchtgiftdelikten immanenten Wiederholungsgefahr könne eine positive Zukunftsprognose nicht erstellt werden. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers hätten im Hinblick darauf, dass die für das Ausmaß jeglicher Integration wesentliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers deutlich beeinträchtigt worden sei, eine "weitere" Minderung erfahren. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers hätten gegenüber dem als hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in den Hintergrund zu treten.

§ 61 Z 3 oder Z 4 FPG stehe der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schon deswegen nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt worden sei. Im Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb auch im Rahmen der Ermessensübung nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes habe Abstand genommen werden können, und tätigte Ausführungen zur Festlegung der Dauer des Aufenthaltsverbotes.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zutreffend ging die belangte Behörde davon aus, dass gegen den Beschwerdeführer als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, gemäß § 87 FPG ein Aufenthaltsverbot nur unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Annahme der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die nach § 86 Abs. 1 FPG zu treffende Gefährdungsprognose gerechtfertigt ist. Zwar hat die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung ausdrücklich nur Ausführungen zum in § 60 Abs. 1 FPG enthaltenen Gefährdungsmaßstab getätigt und es unterlassen, näher darzulegen, weshalb auch der demgegenüber strengere Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG erfüllt ist (vgl. zum im FPG enthaltenen System der "abgestuften Gefährdungsprognosen" ausführlich das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Jedoch unterliegt es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes keinem Zweifel, dass infolge des Verhaltens des Beschwerdeführers eine Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG anzunehmen ist. Der Beschwerdeführer, der wiederholt - auch einschlägig - straffällig wurde, hat zuletzt als Mitglied einer kriminellen Organisation und über einen längeren Zeitraum hinweg planmäßig und arbeitsteilig organisiert dazu beigetragen, dass Suchtgift in großer Menge nach Österreich gebracht, aus Österreich ausgeführt und im Bundesgebiet auch in Verkehr gesetzt wurde, wobei der Beschwerdeführer mit seinem Handeln danach trachtete, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Dass damit ein Verhalten gesetzt wurde, das nicht nur die Annahme einer Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") rechtfertigt, sondern die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich sogar nachhaltig und maßgeblich (im Sinn des fünften Satzes des § 86 Abs. 1 FPG) gefährdet, bedarf nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes keiner darüber hinausgehenden Erörterung.

Der Beschwerdeführer bekämpft den gegenständlichen Bescheid im Grund des § 66 FPG mit dem Hinweis auf seinen bisherigen Aufenthalt in Österreich, seine familiären Bindungen im Bundesgebiet sowie auf sein kooperatives Verhalten im Strafverfahren.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde bei der nach § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung die familiären Bindungen des Beschwerdeführers, die Dauer des bisherigen Aufenthaltes sowie seine berufliche Tätigkeit in Österreich berücksichtigt hat. Dass ihr bei der Abwägung ein Fehler unterlaufen wäre, ist aber nicht zu erkennen. Zu Recht verwies die belangte Behörde auf das als hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen wie der hier in Rede stehenden. Die Ansicht der belangten Behörde, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers hätten hinter diese gewichtigen öffentlichen Interessen zurückzutreten, kann angesichts des strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers nicht als rechtswidrig eingestuft werden. Die allfällige Trennung von seinen Angehörigen hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse hinzunehmen, wobei ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass die letzte Eheschließung des Beschwerdeführers am 2. Juli 2008, sohin zu einem Zeitpunkt, als das Aufenthaltsverbotsverfahren bereits anhängig war und er nicht mehr ohne Weiteres von einem Verbleib im Bundesgebiet ausgehen durfte, erfolgt ist. Soweit der Beschwerdeführer ins Treffen führt, er habe im Gerichtsverfahren maßgeblich an der Aufklärung der strafbaren Handlungen mitgewirkt und die Mittäter hätten doppelt so hohe Strafen wie er erhalten, ist anzumerken, dass sein Geständnis im Rahmen der gerichtlichen Strafbemessung sohin ohnedies Eingang gefunden hat. Bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes hatte die belangte Behörde aber ihre Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, Zl. 2009/18/0415, mwN). Von einer entscheidungswesentlichen Minderung der von der belangten Behörde ins Treffen geführten öffentlichen Interessen oder einer für die hier vorzunehmende Beurteilung ausschlaggebenden Verstärkung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers infolge des im Strafverfahren umfassend abgelegten Geständnisses, kann aus diesem Blickwinkel betrachtet, im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.

Hinweise dafür, dass der angefochtene Bescheid aus sonstigen Gründen mit Rechtswidrigkeit behaftet wäre, sind nicht vorhanden. Derartiges wurde im Übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.

Da sohin die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. Februar 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte