VwGH 2009/01/0063

VwGH2009/01/006319.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X in Y, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. November 2009, Zl. MA 35/IV - D 462/2008, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §15 Abs3;
FrG 1997 §40 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §15 Abs1;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §15 Abs3;
FrG 1997 §40 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §15 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, gemäß "§ 10 Abs. 1 StbG" ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer halte sich laut Aktenlage seit 1988 im Bundesgebiet auf. Er habe von 10. März 1988 bis 31. Oktober 2000 (durchgehend) über gültige Aufenthaltstitel verfügt. Mit fremdenpolizeilichem Bescheid vom 26. "Mai" (richtig: Juli) 2000 sei der Beschwerdeführer aus Österreich ausgewiesen worden. Infolge der dagegen eingebrachten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof dieser zunächst mit Beschluss vom 13. November 2000 die aufschiebende Wirkung zuerkannt und den Ausweisungsbescheid mit Erkenntnis vom 26. Juni 2003 (Zl. 2000/18/0211) aufgehoben. Erst am 3. November 2003 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung gestellt, die ihm am 19. November 2003 erteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe somit im Zeitraum vom 1. November 2000 bis 18. November 2003 über keinen Aufenthaltstitel bzw. keine Niederlassungsbewilligung verfügt, weshalb eine Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthaltes vorgelegen sei. Die vom Verwaltungsgerichtshof infolge der Beschwerde gegen den Ausweisungsbescheid zuerkannte aufschiebende Wirkung habe lediglich die Durchsetzbarkeit der Ausweisung aufgeschoben und nichts daran geändert, dass der Beschwerdeführer von 1. November 2000 bis 18. November 2003 über keinen Aufenthaltstitel und somit über keinen rechtmäßigen Aufenthalt verfügt habe. Da sich der Beschwerdeführer erst (wieder) seit 19. November 2003 rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte, erfülle er die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG nicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der gegenständlich maßgeblichen Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ("rechtmäßig und ununterbrochen") Verleihungsvoraussetzung ist, dass der Verleihungswerber zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde einen - unter Berücksichtigung der Unterbrechungstatbestände des § 15 Abs. 1 StbG - durchgehenden (eben "ununterbrochenen") legalen Aufenthalt im Bundesgebiet vorweisen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2008, Zl. 2008/01/0316, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 19. Februar 2009, Zl. 2009/01/0001, sowie vom 20. September 2011, Zl. 2010/01/0020).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das Erfordernis des rechtmäßigen (und ununterbrochenen) zehnjährigen Aufenthalts ausgesprochen, dass für Zeiten vor dem In-Kraft-Treten des NAG die Rechtmäßigkeit auch mit Aufenthaltstiteln nach dem Fremdengesetz 1997 oder nach dem Aufenthaltsgesetz nachgewiesen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2009, Zl. 2006/01/0520, unter Hinweis auf das erwähnte hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2008).

2. Die Beschwerde bringt vor, dass es dem Beschwerdeführer nicht "möglich" gewesen sei, während des "aufrechten" Ausweisungsverfahrens (im Jahr 2000) einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels zu stellen, weil ein derartiger Antrag "sofort" abgewiesen worden wäre. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG gebiete, dass von einem "rechtmäßigen und ununterbrochenen" Aufenthalt auch dann auszugehen sei, wenn ein Verlängerungsantrag infolge eines Ausweisungsverfahrens "sinnvoll" gar nicht gestellt werden könne. Der Beschwerdeführer habe nach Beendigung des Ausweisungsverfahrens "innerhalb angemessener" Frist einen Verlängerungsantrag gestellt, sodass sich der Beschwerdeführer "in Beachtung dieser Auslegung" mehr als 22 Jahre in Österreich aufhalte.

3. Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit auf:

3.1. Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage über eine (zuletzt) bis zum 31. Oktober 2000 gültige "Aufenthaltserlaubnis-Student". Unstrittig ist, dass er vor Ablauf der Gültigkeit dieses Aufenthaltstitels nicht um deren Verlängerung angesucht hat. Erst am 19. November 2003 wurde ihm auf Grund seines Antrages vom 3. November 2003 ein (zunächst bis 19. November 2004 befristeter) Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung - Jeglicher Aufenthaltszweck" ausgestellt.

3.2. Gemäß § 31 Abs. 1 Z. 2 des (am 31. Oktober/1. November 2000) geltenden Fremdengesetzes 1997 (FrG) hielten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie u. a. aufgrund eines Aufenthaltstitels zum Aufenthalt berechtigt waren. Abs. 4 leg. cit. bestimmte, dass Fremde, die einen Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels eingebracht haben, sich bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Als Entscheidung in diesem Sinne galt auch eine von der Behörde veranlasste Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 15 FrG (der den - gegenständlich nicht vorliegenden - Fall regelte, dass in einem Verfahren zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels allenfalls zu einer Aufenthaltsbeendigung führende Versagungsgründe bekannt wurden).

Die Erläuterungen zu § 31 Abs. 4 FrG (RV 685 BlgNR, 20. GP) führten aus:

"Um Härtefälle zu vermeiden, wird in Abs. 4 vorgesehen, daß sich Fremde grundsätzlich auch nach Ablauf eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie noch vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels einen Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels eingebracht haben und über diesen Antrag noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Dies gilt auch in Fällen der Verfahrenskonzentration gemäß § 15."

Voraussetzung für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet war demnach jedenfalls die Beantragung der Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels. In diesem Fall blieb der Antragsteller zumindest bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über diesen Antrag zum Aufenthalt berechtigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1998, Zl. 96/19/3315). Auf den Umstand, dass - wie im Beschwerdefall - im Zeitpunkt des Ablaufs der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels ein (rechtskräftiger) Ausweisungsbescheid vorlag, nahm § 31 FrG nicht Bedacht; dieser Umstand ändert daher nichts daran, dass der Beschwerdeführer nach der dargestellten Rechtslage gehalten gewesen wäre, zum Zwecke der weiteren Legalisierung seines Aufenthalts vor Ablauf des 31. Oktober 2000 einen Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels einzubringen.

3.3. In diesem Zusammenhang ist auch auf die zum FrG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Bestehen einer rechtskräftigen Ausweisung - anders als im Fall eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbots (vgl. § 10 Abs. 1 Z. 1 FrG) - keinen zwingenden Versagungsgrund für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstellte; dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen Fremden, gegen den eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, auch wenn diese noch nicht durchgesetzt wurde, nach dem FrG nicht unzulässig war, ergab sich im Übrigen auch aus § 40 Abs. 3 FrG, wonach eine Ausweisung gegenstandslos wurde, wenn dem Fremden ein Aufenthaltstitel erteilt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2002/18/0221).

3.4. Nach dem Gesagten verfügte der Beschwerdeführer demnach gemäß § 31 Abs. 1 Z. 2 iVm Abs. 4 FrG ab dem 1. November 2000 über keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich, da die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis "Student" am 31. Oktober 2000 abgelaufen war und er vor deren Ablauf keinen Verlängerungsantrag gestellt hatte. Über einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich verfügte der Beschwerdeführer erst wieder ab dem 19. November 2003.

4. Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall das Vorliegen eines zehnjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides daher im Ergebnis zu Recht verneint, sodass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 19. Oktober 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte