VwGH 2008/23/0366

VwGH2008/23/036611.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte MMag. Maislinger, Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des S Y in W, geboren 1990, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. Februar 2006, Zl. 262.924/0-IX/27/05, berichtigt mit Bescheid vom 20. Februar 2006, Zl. 262.924/1-IX/27/06, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 4. Oktober 2004 gemeinsam mit seiner Schwester Mina Y (geboren am 18. Juli 1988) in das Bundesgebiet ein und beantragte im Oktober 2004 Asyl. Bereits seit Ende 1998 befindet sich eine weitere Schwester des Beschwerdeführers (Marjan Y, geboren am 5. Juni 1973) in Österreich.

Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 23. November 2004 und 13. Juli 2005 brachte der Beschwerdeführer vor, seine Mutter sei im September 2001 verstorben. Etwa drei Monate später habe sein Vater wieder geheiratet. Kurz nach dieser Heirat sei ihm und seiner Schwester der Schulbesuch verboten worden. Er sei von seinem Vater und seiner Stiefmutter misshandelt, geschlagen und gefangen gehalten worden. Als die Stiefmutter bemerkt habe, dass er gemeinsam mit seiner Schwester fliehen habe wollen, habe sein Vater sie eine Woche lang eingesperrt; sie hätten nur eine Mahlzeit pro Tag bekommen. Sein Vater habe ihm mit einem Kamm ins Gesicht geschlagen. Sein Vater habe ihnen auch den Kontakt zu den älteren Schwestern verboten. Die gleichaltrige Tochter der Stiefmutter habe die Schule besuchen dürfen, sie habe alles bekommen. Etwa nach einem Jahr sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Schwester geflüchtet, wobei sie sich zwei Jahre lang bei einer befreundeten Familie versteckt aufgehalten hätten. Sein Vater habe sie auch früher, als die Mutter noch gelebt habe, geschlagen; nach seiner Heirat mit seiner jetzigen Frau seien sie aber öfter und schwer geschlagen worden. Auch seine Mutter sei vom Vater geschlagen worden, einmal habe er dieser auch den Arm gebrochen. Seine Mutter habe den Vater manchmal angezeigt und sei auch von der Gerichtsmedizin untersucht worden. Da sein Vater aber den Basijis angehöre, sei das Verfahren jedes Mal abgebrochen worden. Er selbst habe keine Anzeigen erstattet, weil auch die Anzeigen seiner Mutter zu keinem Erfolg geführt hätten; sie hätten auch nicht aus dem Haus gehen dürfen. Die Schwester des Beschwerdeführers Marjan Y gab als Zeugin befragt unter anderem an, im Iran würden noch drei weitere Schwestern leben. Die jüngere Schwester habe sich ihren Mann selbst ausgesucht, eine Schwester habe sich aus Not jemanden ausgesucht, weil sie Angst vor dem Vater gehabt habe, die dritte Schwester sei zwangsverheiratet worden. Der Vater sei bei der Sittenpolizei tätig.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 14. Juli 2005 gemäß § 7 Asylgesetz (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte aber die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als nicht zulässig (Spruchpunkt II.) und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Es legte die Angaben des Beschwerdeführers der rechtlichen Beurteilung zugrunde. Diesem Vorbringen könne aber nicht entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer Verfolgung aus einem vom Schutzzweck der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) umfassten Grunde drohe oder ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Schutz vor solchen Übergriffen seitens der Sicherheitsbehörden aus asylrelevantem Grunde verwehrt würde. Aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers und der aus diesem Grund resultierenden besonderen Schutzbedürftigkeit unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im Iran ergebe sich die Unzulässigkeit der Abschiebung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides gerichtete Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Dass die Übergriffe des Vaters gegen den Beschwerdeführer auf keinem in der FlKonv genannten Grund beruhten, liege "auf der Hand" und sei auch nicht behauptet worden. Auch die Gründe, aus denen der iranische Staat dem Beschwerdeführer Schutz gegen die Übergriffe seines Vaters verwehre, seien nicht asylrelevant. Die Schutzverweigerung beruhe nicht darauf, dass der Beschwerdeführer etwa einer religiösen oder ethnischen Minderheit angehöre oder wegen einer allenfalls auch nur unterstellten politischen Gesinnung. Auch werde der Schutz nicht wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verweigert. Dass es die Stellung als Basiji - und damit ein Naheverhältnis zu den iranischen Behörden - sei, die es dem Vater des Beschwerdeführers ermögliche, Sanktionen abzuwehren, sei kein ausreichend starker Konnex zu einem in der FlKonv genannten Grund.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Im Beschwerdeverfahren ist ausschließlich die Frage strittig, ob die erlittene bzw. drohende Verfolgung einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zugeordnet werden kann (Verfolgung "aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung").

Fälle wie der vorliegende stehen - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt hat - im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe" einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen anderseits (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 28. August 2009, Zlen. 2008/19/1027, 1028, mwN;

vgl. zum Problem auch Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie (2009), § 19 Rz 77 ff, Rz 254 ff;

Aleinikoff in Feller/Türk/Nicholson, Refugee Protection in International Law (2003), 304 ff).

Die belangte Behörde sieht in der Verfolgung des Beschwerdeführers durch seinen Vater eine Handlung ohne Bezug zu einem Konventionsgrund. Ausgehend vom - von den Verwaltungsbehörden als glaubwürdig zugrunde gelegten - Vorbringen des Beschwerdeführers (sowie den von den Verwaltungsbehörden ebenfalls nicht bezweifelten Aussagen der Zeugin) setzte der Vater des Beschwerdeführers Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer, gegen dessen Schwestern sowie gegen deren Mutter. Bei dieser Sachlage sieht der Verwaltungsgerichtshof den Grund für die Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Zugehörigkeit zu seiner (Teil-)Familie, nämlich der Gruppe bestehend aus der (verstorbenen) Mutter des Beschwerdeführers und deren Kindern. Dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" von Asylrelevanz ist, wurde von der hg. Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 28. August 2009, mwN). Schon deshalb ist ein Konventionsgrund nicht zu verneinen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 11. November 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte