VwGH 2008/23/0360

VwGH2008/23/036017.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer, Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Februar 2008, Zl. 300.228-3/17E-VIII/40/07, betreffend §§ 8, 10 Asylgesetz 2005 (mitbeteiligte Partei: KB, geboren 1985), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §10 Abs3;
AsylG 2005 §8 Abs1;
EMRK Art3;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §10 Abs3;
AsylG 2005 §8 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (das sind die Spruchpunkte II. (Zuerkennung von subsidiärem Schutz), III. (Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter) und IV. (ersatzlose Behebung der Ausweisung nach Georgien)) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein georgischer Staatsangehöriger, stellte - nach negativem Abschluss von zwei vorangegangenen Asylverfahren -

am 1. Dezember 2006 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Mai 2007 wurde dieser Antrag gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Weiters wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien nicht zuerkannt und der Mitbeteiligte gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 dorthin ausgewiesen. In der Begründung traf das Bundesasylamt - soweit aufgrund der Amtsbeschwerde wesentlich - Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Georgien sowie zu den Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis C und stellte fest, dass der Mitbeteiligte an Hepatitis C erkrankt sei. Die Versagung subsidiären Schutzes begründete es u.a. damit, dass diese Erkrankung - wenn auch gegen Bezahlung - in größeren Städten behandelbar sei, sodass der Mitbeteiligte bei seiner Rückkehr in keine lebensbedrohliche Situation gerate. Zudem könne er sich an Ärzte, die Patienten kostenlos behandeln, oder an Krankenhäuser, die mit internationaler humanitärer Hilfe unterstützt werden und besonders bedürftige Patienten ebenfalls kostenlos behandeln, wenden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Zugleich erkannte sie ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.) und behob ersatzlos seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien (Spruchpunkt IV.). Begründend übernahm die belangte Behörde die erstinstanzlichen Länderfeststellungen und führte - soweit aufgrund der Amtsbeschwerde relevant - zur Gewährung subsidiären Schutzes im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte leide nach einer Stellungnahme eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 11. Dezember 2007 an einer Polytoxikomanie "inkl. Opiattyp" und sei diesbezüglich seit März 2007 in psychiatrischer und psychosozialer Betreuung. Er sei im Substitutionsprogramm auf täglich 40mg Methadon eingestellt und leide zusätzlich an chronischer Hepatitis C Genotyp III a sowie an chronischer Hepatitis B. Seit September 2007 werde er ambulant im LKH Feldkirch mit pegyliertem Interferon behandelt; die Dauer der Hepatitis C Therapie liege zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Nach Beendigung dieser Therapie könne der Mitbeteiligte eine Entzugstherapie im ambulanten oder stationären Bereich durchführen, die zwischen sechs und acht Wochen dauern würde. Bezüglich seiner behandlungsbedürftigen Krankheit - so die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung - könnten in Georgien "effiziente Behandlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit festgestellt werden", weshalb nicht mit der nötigen Gewissheit ausgeschlossen werden könne, dass der Mitbeteiligte Gefahr liefe, wegen seiner Erkrankung in eine unmenschliche Lage versetzt zu werden. Die Therapien könnten (in Österreich) innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden. Da die Voraussetzungen für eine Ausweisung in den Herkunftsstaat nicht mehr gegeben seien, sei diese zu beheben.

Die vorliegende Amtsbeschwerde richtet sich erkennbar gegen die Spruchpunkte II. (Zuerkennung von subsidiärem Schutz), III. (Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter) und IV. (ersatzlose Behebung der Ausweisung nach Georgien). In dieser wird zusammengefasst vorgebracht, die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stehe angesichts der getroffenen Länderfeststellungen zur medizinischen Situation in Georgien nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK. Die notwendigen Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente für Hepatitis C-Erkrankte seien in Georgien verfügbar. Weiters habe die belangte Behörde hinsichtlich der "Mehrfachabhängigkeit" des Mitbeteiligten keine Feststellungen zur medizinischen Behandlung der Polytoxikomanie "inkl. Opiattyp" in Georgien getroffen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung kranker Personen in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 23. September 2009, Zl. 2007/01/0515, verwiesen, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof mit der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR auseinander gesetzt hat, die auch für die Beurteilung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 relevant ist.

Ob derartige nach Art. 3 EMRK zu berücksichtigende sehr außergewöhnliche Umstände ("very exceptional circumstances") vorliegen, ist eine von der belangten Behörde zu beurteilende Rechtsfrage. Diese Beurteilung setzt aber nachvollziehbare Feststellungen über die Art der Erkrankung des Betroffenen und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer (allenfalls medizinisch unterstützten) Abschiebung voraus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. März 2010, Zlen. 2008/01/0312, 0313, und vom 26. April 2010, Zl. 2007/01/1272, jeweils mwN).

2. Die belangte Behörde stützte die Zuerkennung von subsidiärem Schutz an den Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auf dessen Gesundheitszustand und die nicht näher begründete Annahme in der rechtlichen Beurteilung, bezüglich dessen behandlungsbedürftiger Erkrankung könnten in Georgien "effiziente Behandlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit festgestellt werden."

Die Amtsbeschwerde zeigt zutreffend auf, dass die letztgenannte Einschätzung nicht nachvollziehbar begründet ist und daher ein Begründungsmangel vorliegt. Den verneinten "effizienten Behandlungsmöglichkeiten" fehlt im Hinblick auf die übernommenen Länderfeststellungen des Bundesasylamtes zur medizinischen Versorgung in Georgien nicht nur die Tatsachengrundlage, sondern diese Annahme lässt auch jegliche beweiswürdigende Überlegungen vermissen, die diese Beurteilung zu tragen vermögen. Hinsichtlich der Behandlung der Hepatitis C steht diese Begründung überdies im Widerspruch mit den getroffenen Länderfeststellungen, wonach Hepatitis C - wenn auch kostenpflichtig - in größeren Städten Georgiens behandelt werden kann, wobei einige mit internationaler humanitärer Hilfe unterstützte Krankenhäuser sowie einzelne engagierte Ärzte besonders bedürftige Patienten kostenlos behandeln würden.

Neben den unbedenklichen Feststellungen über die Art der Erkrankung des Mitbeteiligten fehlen nachvollziehbare Feststellungen zu den für diese Gesundheitsbeeinträchtigung im Herkunftsstaat vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten (speziell hinsichtlich der Polytoxikomanie "inkl. Opiattyp") und über die zu erwartenden Auswirkungen auf dessen Gesundheitszustand im Falle seiner Abschiebung. Erst ausgehend von derartigen Feststellungen wird beurteilt werden können, ob der Gesundheitszustand des Mitbeteiligten überhaupt ein (vorübergehendes) Ausweisungshindernis nach § 10 Abs. 3 AsylG 2005 oder einen subsidiären Schutzgrund nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründet (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, Zlen. 2007/01/0918, 0919, mwN).

3. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid in dem im Spruch angeführten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 17. November 2010

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