VwGH 2008/22/0269

VwGH2008/22/026917.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Rainer Schischka, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Krugerstraße 4/4a, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 24. Juli 2006, Zl. 300.992/12- III/4/04, betreffend Versagung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG", zu Recht erkannt:

Normen

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 20. November 2003 stellte der Beschwerdeführer (laut Beschwerde ein "jugoslawischer" Staatsangehöriger) einen Antrag auf Erteilung eines Niederlassungsnachweises. Die Erstbehörde erteilte ihm daraufhin am 15. Dezember 2003 eine Niederlassungsbewilligung "jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" mit einer Gültigkeitsdauer bis 1. November 2004.

Mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 24. Juli 2006 wurde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 45 Abs. 1 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Geburt in Österreich aufhalte und bis 4. April 2000 über gültige Aufenthaltstitel verfügt habe. Die mit dem gegenständlichen Antrag begehrte Erteilung eines Niederlassungsnachweises sei nach den gemäß § 81 Abs. 1 NAG nunmehr anzuwendenden Bestimmungen des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" zu werten.

Auf Grund seiner Heroinsüchtigkeit sei der Beschwerdeführer "nach dem Suchtmittelgesetz zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilt (Erwerb, Besitz, Weitergabe und Konsum von Cannabis, Harz, Cocain, Marihuana)" worden und sei vom 21. April 1998 bis 20. Juni 1999 in Haft gewesen. Die durch den Beschwerdeführer verübten Delikte umfassten aber auch "gefährliche Drohung", "Körperverletzung" und "schwerer Raub". Außerdem sei gegen den Beschwerdeführer am 15. August 2002 von der Bundespolizeidirektion Wien ein Waffenverbot verhängt worden.

Auf Grund seiner zahlreichen Verurteilungen sei der Beschwerdeführer bereits mehrmals in Haft gewesen, was ihn nicht davon habe abhalten können, neuerlich eine Straftat zu begehen. Zuletzt sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 10. Mai 2006 "nach dem Suchtmittelgesetz, dem Waffengesetz und dem Strafgesetzbuch zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden" und befinde sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Haft.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 45 Abs. 1, 11 Abs. 2 Z. 1 sowie Abs. 4 Z. 1 NAG - aus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Sinn der zuletzt angeführten Bestimmung die "öffentliche Ordnung und Sicherheit in einem hohen Maße" gefährden würde. Der Beschwerdeführer sei offensichtlich nicht gewillt, sich entsprechend den in Österreich geltenden Rechtsvorschriften zu verhalten; von ihm gehe - wie die unzähligen rechtskräftigen Bestrafungen zeigten - eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus. Bei zusammenfassender Betrachtung aller vom Beschwerdeführer verübten Delikte sei feststellbar, dass es sich um kein Einzeldelikt handle; der Beschwerdeführer dokumentiere dadurch auch seine unrechtmäßige Gesinnung.

Allein der Umstand des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet habe die Erstbehörde dazu bewogen, dem Beschwerdeführer eine befristete Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Dieser erstbehördlichen Ansicht schließe sich die belangte Behörde in vollem Umfang an.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK sei die Verweigerung des Aufenthaltstitels, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig sei. Im Sinn der damit geforderten Notwendigkeit dürfe ein Aufenthaltstitel nicht verweigert werden, wenn die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Lebenssituation des Fremden oder seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Nichterteilung des Aufenthaltstitels. Bei dieser Abwägung sei auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Antragstellers und seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Bei Abwägung der privaten Interessen des Beschwerdeführers mit den öffentlichen Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK habe die belangte Behörde sehr wohl berücksichtigt, dass durch den Aufenthalt des Sohnes des Beschwerdeführers in Österreich "unabsprechbare familiäre Bindungen zum Bundesgebiet" bestünden. Trotz der durch den Beschwerdeführer angeführten Interessen an einem Niederlassungsnachweis, der nach neuer Rechtslage als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" zu werten sei, hätten die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zur Wahrung der öffentlichen Ordnung sowie zur Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen zurückzustehen.

Die durch den Beschwerdeführer gesetzten Delikte, bei denen dieser die verwerfliche Haltung und schädliche Neigung, vor allem im Hinblick auf den Erwerb, den Besitz, die Weitergabe und den Konsum von Suchtmitteln deutlich gezeigt habe und ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen dabei auch deren Gesundheitsgefährdung aus Gewinnsucht in Kauf zu nehmen bereit gewesen sei, hätten für die belangte Behörde im Zusammenhang mit der hier getroffenen Entscheidung besonders schwer gewogen.

Unter den gegebenen Umständen könne keinesfalls ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" erteilt werden, weil die belangte Behörde bei der vorgenommenen Abwägung zur Ansicht gelangt sei, dass die öffentlichen Interessen zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele höher zu werten seien als die nachteiligen Folgen einer Verweigerung des Aufenthaltstitels auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, zumal es das Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erfordere, dass Fremde, die in Österreich niedergelassen seien, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhielten und im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer weitere Straftaten begehen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den am 20. November 2003 gestellten Antrag des Beschwerdeführers zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG (§ 82 Abs. 1 leg. cit.) beurteilt hat.

Gemäß § 45 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren, ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" erteilt werden, wenn sie (Z. 1) die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und (Z. 2) die Integrationsvereinbarung erfüllt haben.

Gemäß der im 1. Teil des NAG enthaltenen Bestimmung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden u.a. dann in diesem Sinn dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Auslegung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs ist eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, 2006/21/0218); dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen.

Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung (siehe im vorliegenden Fall Art. 6 der Richtlinie 2003/109/EG ) ist jeweils an Hand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.

Nun hat sich aber die belangte Behörde - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - in Hinblick auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers im Wesentlichen mit kursorischen Feststellungen anhand des Strafregisters begnügt und nicht - wie nach dem eben Gesagten erforderlich - das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten konkret festgestellt.

Schon aus diesem Grund haftet der von der belangten Behörde gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm Abs. 4 Z. 1 NAG vorgenommen Prognoseentscheidung ein Feststellungsmangel an, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. September 2008

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