VwGH 2008/21/0618

VwGH2008/21/061823.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des J, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 2008, Zl. 318.164/2-III/4/2008, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §24;
AVG §45;
NAG 2005 §41 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2010:2008210618.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 30. April 2008 wies die belangte Behörde den am 4. Jänner 2008 eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als "Schlüsselkraft - selbständig" gemäß § 41 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG iVm § 24 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) ab.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsverfahren vorgebracht, er sei geschäftsführender Gesellschafter einer mit dem Tätigkeitsbereich der Erbringung von Hausbesorgerarbeiten befassten GmbH, die 5 Dienstnehmer beschäftige. Er sei zu 52 % am Unternehmen beteiligt und erhalte monatlich einen Bruttolohn von EUR 2.310,--. Am Gewinn der Gesellschaft (im Jahr 2006 von EUR 14.000,--) sei er zudem zu 52 % beteiligt. Die GmbH führe seit 1. Juli 2006 das Einzelunternehmen seiner Mutter fort. Er habe an einer technisch-mathematischen Schule eine Ausbildung zum Elektrotechniker abgeschlossen. Da seine Eltern "die anstrengende körperliche Arbeit" auf Dauer nicht mehr ausführen könnten, werde er in absehbarer Zeit auch "deren Geschäftsanteile" übernehmen.

Das schlüssige Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 5. Februar 2008 ergebe (teils folgen hier Ergänzungen, teils Wiederholungen der bisherigen Ausführungen) weiter, dass der Beschwerdeführer seit 19. April 2007 mit einer Stammeinlage von EUR 18.200,-- (52 %) an der Hausbesorger J. GmbH beteiligt sei. Seit 15. Februar 2007 sei er handelsrechtlicher Geschäftsführer mit selbständiger Vertretungsbefugnis. Durch seine Niederlassung bzw. selbständige Erwerbstätigkeit könne kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen erwartet werden. Mit seiner Erwerbstätigkeit sei kein nachhaltiger Transfer von Investitionskapital nach Österreich verbunden, auch ein Transfer von Know-how bzw. die Einführung von neuen Technologien könne beim Betrieb einer Hausbesorger GmbH nicht "angenommen" werden. Eine "wesentliche Bedeutung des Unternehmens der Schlüsselkraft für die ganze Region" habe an Hand der vorgelegten Unterlagen nicht plausibel gemacht werden können. Das Unternehmen beschäftige laut Angaben des Beschwerdeführers 5 Dienstnehmer. Dabei sei festgestellt worden, dass die Tätigkeit "im Bereich Hausverwaltung in Ballungsräumen", wie dies bei der bestehenden Betriebsstätte der Fall sei, einem starken Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sei, sodass durch die selbständige Erwerbstätigkeit keine nachhaltigen arbeitsmarktmäßigen Impulse erwartet werden könnten. Auch eine gesamtwirtschaftliche Relevanz könne aus der vorgesehenen Erwerbstätigkeit nicht abgeleitet werden.

Ergänzend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer kein "konkretes betriebliches Konzept" vorgelegt habe. Auch "die beabsichtigte Schaffung von Arbeitsplätzen" wäre durch entsprechende betriebliche Unterlagen nachzuweisen gewesen, aus denen die tatsächliche Rekrutierung von Arbeitskräften glaubhaft hervorgehe. Von einem "direkten Transfer von Investitionskapital" nach Österreich sei nicht auszugehen. Der Beschwerdeführer "dürfte zwar im Besitz von Privatvermögen sein", wie weit dieses jedoch der österreichischen Wirtschaft zukomme und nachhaltig Arbeitsplätze schaffe oder sichere, könne "nicht nachvollzogen werden". Somit könne kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen iSd § 24 AuslBG erkannt werden, eine ökonomische Gesamtbedeutung scheine nicht gegeben. Der Gewerbeausübung wäre ausschließlich ein einzelbetriebliches bzw. persönliches Interesse zuzumessen. Der Beschwerdeführer könne demnach nicht als selbständige Schlüsselkraft angesehen werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 23. September 2008, B 1115/08-3, ablehnte und sie mit gesondertem Beschluss vom 12. November 2008 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

 

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides das NAG idF vor seiner Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 anzuwenden ist.

Zwar spricht § 41 Abs. 3 Satz 2 NAG im vorliegenden Zusammenhang aus, dass der Antrag ohne weiteres abzuweisen ist, wenn das Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in einem Verfahren über den Antrag zur Zulassung als selbständige Schlüsselkraft (§ 24 AuslBG) negativ ist. Dies bedeutet aber - bei verfassungskonformer Interpretation -

nicht, dass das Gutachten durch den Antragsteller nicht entkräftet oder widerlegt werden kann bzw. dass die Behörde an ein unschlüssiges Gutachten gebunden wäre. Vielmehr gilt auch in Bezug auf die Würdigung dieses Beweismittels, dass die im § 45 AVG verankerten allgemeinen Verfahrungsgrundsätze der materiellen Wahrheit, der freien Beweiswürdigung und des Parteiengehörs uneingeschränkt Anwendung finden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0880, und vom 9. Juli 2009, Zl. 2009/22/0189, jeweils mwN).

Die Beschwerde zeigt zutreffend eine Unschlüssigkeit des genannten Gutachtens auf: Einerseits geht es nämlich vom Betrieb einer "Hausbesorger GmbH" aus. Andererseits unterstellt es (ohne Grundlagen im Verwaltungsakt) eine - nicht einmal behauptete - Geschäftstätigkeit im Bereich der Verwaltung von Häusern und zieht aus dieser Annahme den Schluss, das Unternehmen unterliege einem Verdrängungswettbewerb. Auf diese, bereits in der Berufung, in der vorgebracht wurde, Unternehmensgegenstand sei die technische Betreuung von Wohnanlagen, geltend gemachte Divergenz ist die belangte Behörde nicht eingegangen.

Ebenso fehlen schlüssige Begründungen für die - jedenfalls im Ergebnis - unterstellte Unmaßgeblichkeit der vom Beschwerdeführer absolvierten technischen Ausbildung für die konkret in Aussicht genommenen Arbeiten im Rahmen des Dienstleistungen einer Hausbetreuung anbietenden Unternehmens sowie zum geltend gemachten Erhalt von fünf bereits bestehenden Arbeitsplätzen in Österreich.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 23. September 2010

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