VwGH 2008/21/0557

VwGH2008/21/055721.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 22. August 2008, Zl. 2Fr-362/07, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 29. Oktober 1982 geborenen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie nach Darstellung der Rechtslage aus, der Beschwerdeführer sei am 20. Dezember 2001 nach Österreich eingereist, um an der Universität Graz ein Studium der Betriebswirtschaftslehre zu absolvieren. Ihm sei deshalb eine Erstaufenthaltserlaubnis zum Zweck "Ausbildung" vom 30. November 2001 bis zum 31. Oktober 2002 gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG erteilt worden, die bis zum 31. März 2003 und zuletzt bis zum 30. November 2003 verlängert worden sei. Ein weiterer, am 12. November 2003 gestellter Verlängerungsantrag sei "abgelehnt" worden, weil der Beschwerdeführer nicht imstande gewesen sei, eine weitere Inskriptionsbestätigung vorzulegen und "die Deutschprüfung" nicht bestanden habe.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt (vom 22. November 2004, rechtskräftig seit 24. Jänner 2005) sei die Adoption des Beschwerdeführers durch die österreichische Wahlmutter G. bewilligt worden. Weiters habe sich der Beschwerdeführer darauf berufen, dass seinem Vater V. mit Wirkung vom 18. April 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei. Am 8. Februar 2005 habe der Beschwerdeführer, gestützt auf die genannte Adoption, den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger" nach § 49 Abs. 1 FrG gestellt, der jedoch gemäß § 21 Abs. 1 NAG - nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes - abgewiesen worden sei. Zu diesem Verfahren wird auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0484, verwiesen.

Der Beschwerdeführer wohne mittlerweile, seit 28. Juni 2007, in Klagenfurt. Er habe nach rechtskräftiger Abweisung des vorgenannten Antrages das Bundesgebiet nicht verlassen. Sein Aufenthalt erweise sich seit 1. Dezember 2003 als unrechtmäßig, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt seien.

Im Rahmen ihrer Abwägung nach § 66 Abs. 1 FPG führte die belangte Behörde aus, das vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgebrachte Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet (neben seiner österreichischen Wahlmutter und seinem österreichischen Vater, mit dem er ein Familienleben führe und der ihm Unterhalt leiste, hielten sich im Bundesgebiet seine Lebensgefährtin, die österreichische Staatsbürgerin M., mit der er ein eheähnliches Familienleben führe, sowie seine beiden Geschwister, Freunde und Bekannte auf; er habe gute Kenntnisse der deutschen Sprache erworben, sich immer gesetzestreu verhalten und sei demnach unbescholten; eine Ausreise in den Heimatstaat sei ihm - so sein Vorbringen - wegen der damit verbundenen hohen Kosten, der langen Wartezeiten und weil er Gefahr laufe, zur Absolvierung des noch nicht geleisteten fünfzehnmonatigen Wehrdienstes zum Militär eingezogen zu werden, unzumutbar) sei zwar durchaus gewichtig, aber keineswegs so stark ausgeprägt, dass das gegenläufige öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten hätte.

Die öffentliche Ordnung würde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde zwar legal nach Österreich begeben, jedoch nach Ablauf ihres Aufenthaltstitels Österreich nicht zu verlassen gewillt seien und somit die gesetzlichen Vorschriften betreffend die "Antragstellung aus dem Ausland" ignorierten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Eine Ausweisung sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Es liefe der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens grob entgegen, wenn der Beschwerdeführer durch einen selbst herbeigeführten unrechtmäßigen längeren Aufenthalt im Bundesgebiet seinen weiteren Aufenthalt erzwingen könnte. Zwar werde der lange Aufenthalt seit dem 20. Dezember 2001 (nach der Einreise im Erwachsenenalter), die Annahme an Kindes statt durch eine Österreicherin, die Unterhaltsleistung durch den leiblichen Vater, mit dem der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt lebe, die österreichische Lebensgefährtin sowie der Aufenthalt der leiblichen Mutter und der Geschwister des Beschwerdeführers im Bundesgebiet berücksichtigt, sodass dem Beschwerdeführer zuzugestehen sei, dass durch die Ausweisung massiv in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Jedoch werde dieser Umstand durch den langen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich relativiert. Auch werde das Gewicht der privaten und familiären Bindungen weiters dadurch gemindert, dass diese zu einem Zeitpunkt geschaffen worden seien, als sich der Beschwerdeführer, der die Erfordernisse für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis "Ausbildung" nicht habe nachweisen können, seines unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sei. Insgesamt müssten somit die privaten Interessen hinter den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen zurückstehen. Auch von dem der Behörde eingeräumten Ermessen habe nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht werden können, weil der Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften ein sehr hoher Stellenwert zukomme.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er (nach den wiedergegebenen Feststellungen der belangten Behörde) seit dem 1. Dezember 2003 nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer nach dem genannten Zeitpunkt vorgelegen wäre.

Dem Beschwerdeführer kommt auch kein Aufenthaltsrecht gemäß § 52 Z. 2, § 54 Abs. 1 und § 57 NAG zu, weil sein österreichischer Vater sowie seine österreichische Wahlmutter nach den Feststellungen der belangten Behörde ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben. Hieraus folgt weiters, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG handelt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang (Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhalts) Ermittlungsmängel der belangten Behörde behauptet, legt sie nicht dar, welche Sachverhaltsfeststellungen ergänzende Beweisaufnahmen konkret ermöglicht hätten. Es wird daher keine Relevanz der behaupteten Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgezeigt.

Insgesamt bestehen also keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Mit dem Vorbringen einer gleichheitswidrigen Schlechterstellung von Angehörigen nicht freizügigkeitsberechtigter Österreicher gegenüber solchen, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, sowie gegenüber anderen EU-Bürgern ist der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., zu verweisen, worin dieser die im § 57 NAG getroffene Differenzierung zwischen Angehörigen von Österreichern, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und solchen, die keinen Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht haben, als verfassungskonform beurteilt hat.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde macht dazu geltend, die belangte Behörde habe nicht angemessen berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit dem 20. Dezember 2001, also bis zur Bescheiderlassung seit sechs Jahren und acht Monaten, ununterbrochen in Österreich aufhalte. Er verfüge über eine ortsübliche Unterkunft sowie eine in Österreich leistungspflichtige, alle Risiken abdeckende Krankenversicherung, habe gute Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift erworben, interessiere sich für die österreichische Kultur und Lebensart und könne sich vollständig mit dem in Österreich geltenden politischen System und seinen demokratischen Werten identifizieren. Insgesamt sei er nachhaltig sozial integriert. In Österreich lebe nicht nur der Großteil seiner Freunde und Bekannten, sondern sämtliche Familienmitglieder (Wahlmutter, leiblicher Vater, leibliche Mutter, zwei Geschwister und seine Lebensgefährtin, die er "in absehbarer Zeit zu heiraten beabsichtige"). Zu allen Angehörigen habe, er "eine sehr herzliche und innige Beziehung". In der Türkei habe er hingegen keine Anknüpfungspunkte, zumal dort keine näheren Verwandten lebten, vielmehr verfüge er im Heimatstaat nicht einmal mehr über eine Unterkunft. Dort müsste er nach seiner Rückkehr befürchten, zur Absolvierung des noch nicht geleisteten fünfzehnmonatigen Wehrdienstes zum türkischen Militär eingezogen zu werden. Dazu komme, dass dies in einer Zeit erfolge, in der das türkische Militär nach wie vor in kriegerische Auseinandersetzungen mit der PKK im Osten und Südosten des Landes verwickelt sei. Bei dem Beschwerdeführer bestünde somit im Fall einer Rückkehr die Gefahr, den Wehrdienst in einem Kriegsgebiet ableisten und an Kriegshandlungen teilnehmen zu müssen.

Dem ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde eine Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie einen massiven Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor dem Hintergrund des langjährigen Aufenthaltes, der Deutschkenntnisse und des Verhältnisses zu den genannten Angehörigen nicht in Frage gestellt hat. Sie hielt dieser Integration aber zutreffend entgegen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers zwar zunächst -

infolge der erwähnten Aufenthaltstitel - rechtmäßig, jedenfalls ab dem 1. Jänner 2006 aber unrechtmäßig gewesen war. Der Adoption durch seine österreichische Wahlmutter und der Weitergewährung von Unterhalt durch seinen Vater kann im Hinblick auf die schon damals längst eingetretene Volljährigkeit kein ausschlaggebendes Gewicht zu Gunsten des Beschwerdeführers zukommen.

Auf bloße Pläne des Beschwerdeführers, seine österreichische Lebensgefährtin, mit der er zusammenlebe, später zu heiraten, brauchte die belangte Behörde als künftige und ungewisse Umstände bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zusätzlich Bedacht zu nehmen. Auch soweit die Beschwerde auf den in der Türkei abzuleistenden Wehrdienst verweist, steht dies der Ausweisung nicht entgegen. Insoweit kann auch dem in der Beschwerde zitierten hg. Erkenntnis vom 14. April 2000, Zl. 99/18/0301, das sich mit der angesprochenen Frage nicht befasst, keine abweichende Aussage entnommen werden.

Dem Beschwerdeführer ist zwar grundsätzlich darin beizupflichten, dass einer während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration (hier: Eingehen einer Lebensgemeinschaft) nicht jede Relevanz abgesprochen werden kann und ein solcherart begründetes privates oder familiäres Interesse in besonderen Konstellationen zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte. Jedoch sind die im vorliegenden Fall zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände in ihrer Gesamtheit betrachtet nicht von einem solchen Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung des unstrittig während des gesamten Aufenthalts nicht berufstätigen, unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführers begründen könnten. Auch seine Unbescholtenheit und die weiteren in der Beschwerde erwähnten Aspekte fallen in diesem Zusammenhang nicht entscheidend ins Gewicht. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach dem Ende ihres Rechts zum Aufenthalt unrechtmäßig im Bundesgebiet verbleiben, was nach dem Gesagten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt.

Vor diesem Hintergrund ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers als iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten angesehen hat. Schwierigkeiten beim Aufbau einer Existenz im Heimatstaat sind auf Grund des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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