Normen
AVG §1;
FrPolG 2005 §6 Abs1;
FrPolG 2005 §6 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §1;
FrPolG 2005 §6 Abs1;
FrPolG 2005 §6 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, hält sich zumindest seit dem Jahr 2003 in Österreich auf. Er war im Zeitraum 9. Oktober 2003 bis 23. Mai 2008 an der Adresse 1200 Wien, J-straße, als Hauptwohnsitz gemeldet.
Der Beschwerdeführer wurde am Abend des 22. Jänner 2008 in einem Reisezug auf der um 19.15 Uhr begonnenen Fahrt von Wien-Südbahnhof nach Brescia in Italien, wo er seinen Bruder besuchen wollte, im Bezirk Bruck an der Mur nach einer Polizeikontrolle festgenommen, weil er über kein gültiges Reisedokument verfügte und sich in Österreich unrechtmäßig aufhielt. In der an die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur (im Folgenden: BH) gerichteten polizeilichen Anzeige wegen der Verwaltungsübertretung nach § 120 (Abs. 1 Z 2) FPG ist bei den Personaldaten des Beschwerdeführers unter "Anschrift" die erwähnte Adresse in Wien angeführt. Auch in der mit dem Beschwerdeführer am 23. Jänner 2008 vor der Polizeiinspektion Bruck an der Mur aufgenommenen, dieser Anzeige angeschlossenen Niederschrift war dies der Fall. Im Zuge dieser Befragung hatte der Beschwerdeführer angegeben, nachdem er am 12. September 2006 aus der von der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur verhängten Schubhaft entlassen worden sei, habe er sich nach Wien begeben. Dort lebe er an der angeführten Adresse, wo auch noch "andere Inder" wohnten. Er finanziere seinen Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit. Die letzten beiden Monate habe er im 16. Bezirk in Wien - in einem von ihm durch Bezugnahme auf eine bestimmte U-Bahnstation beschriebenen Bereich - für einen Bekannten als Zeitungsausträger gearbeitet.
Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag auch vor der BH vernommen, wobei ihm angekündigt wurde, dass gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen und er in Schubhaft genommen werde. Die Frage des Wohnsitzes des Beschwerdeführers in Österreich wurde nach dem Inhalt dieser Niederschrift nicht (mehr) erörtert.
Hierauf erließ die BH den Bescheid vom 23. Jänner 2008, mit dem in Spruchpunkt I gegen den Beschwerdeführer ein auf § 60 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen und einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie in Spruchpunkt II über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Verfahrenssicherung verhängt wurde.
Gegen den ersten Spruchpunkt erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, in der er - neben der Geltendmachung eines Begründungsmangels und der Bekämpfung der Dauer des Aufenthaltsverbotes - auch die örtliche Zuständigkeit der BH bestritt. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die aus dem Zentralen Melderegister ersichtliche Meldeadresse als Hauptwohnsitz in Wien. Die Zuständigkeit richte sich gemäß § 6 Abs. 2 FPG aber nur dann nach dem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens, wenn der Fremde keinen Wohnsitz im Bundesgebiet habe. Angesichts der aufrechten Meldeadresse in Wien sei der BH somit keine Zuständigkeit zur Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes zugekommen.
Diese Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. April 2008 "mit der Maßgabe abgewiesen", dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wurde. In der Begründung ging die belangte Behörde auf den in der Berufung vorgetragenen Einwand der örtlichen Unzuständigkeit der Erstbehörde überhaupt nicht ein. Insbesondere finden sich keine ausdrücklichen Ausführungen zur Frage des Bestehens eines Wohnsitzes des Beschwerdeführers. Es wurde aber die erwähnte Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung des Beschwerdeführers am 23. Jänner 2008 dem Bescheid als integrierender Bestandteil angeschlossen, aus dem sich beim "Nationale" die Anschrift an der Adresse in Wien 20 ergibt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde wendet sich - wie schon in der Berufung - gegen die von der belangten Behörde offenbar unterstellte Zuständigkeit der Erstbehörde und verweist wiederum darauf, dass der Beschwerdeführer an der Meldeadresse in Wien über einen Hauptwohnsitz verfügt habe.
Die örtliche Zuständigkeit in einem Verfahren wie dem vorliegenden auf Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 FPG richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 FPG nach dem vom Fremden im Inland begründeten Hauptwohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 7 MeldeG, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Hat dieser keinen Wohnsitz in Österreich, richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 6 Abs. 2 FPG "nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz" (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0238, mwN).
Weder die BH noch die belangte Behörde haben in ihren Bescheiden begründet, weshalb sie die örtliche Zuständigkeit der BH im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 23. Jänner 2008 - zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 98/21/0511, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 15. Dezember 2004, Zl. 2001/18/0230 -
für gegeben erachteten. Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes bei Einleitung des Vorverfahrens, die ihrem Bescheid offenbar zugrundeliegende Annahme der Zuständigkeit der BH näher darzustellen, erstattete die belangte Behörde Stellungnahmen dahin, dass sie vom Vorliegen des Tatbestandes des § 6 Abs. 2 FPG ausgegangen sei.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach dieser Bestimmung wäre jedoch gewesen, dass der Beschwerdeführer bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides weder über einen Hauptwohnsitz iSd § 1 Abs. 7 MeldeG noch über einen Wohnsitz iSd § 1 Abs. 6 MeldeG verfügt hätte. Davon konnte aber nach der im Verwaltungsverfahren gegebenen Aktenlage nicht ausgegangen werden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgeführt hat, ist der Hauptwohnsitz eines Menschen iSd § 1 Abs. 7 MeldeG an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen, sodass für die Begründung des Hauptwohnsitzes einerseits der faktische
Aufenthalt und andererseits der Wille ("... in der erweislichen
oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht ...") erforderlich ist, die Unterkunft zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen. Hiebei ist die polizeiliche Meldung ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines inländischen Hauptwohnsitzes, wenn auch nicht eine notwendige Voraussetzung (vgl. das Erkenntnis vom 18. Jänner 2005, Zl. 2001/18/0053; siehe in diesem Sinn auch zum Vorliegen eines Wohnsitzes gemäß § 1 Abs. 6 MeldeG das schon zitierte Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 98/21/0511).
Im vorliegenden Fall indizierte somit die seit vielen Jahren bestehende aufrechte Hauptwohnsitzmeldung des Beschwerdeführers an derselben Adresse in Wien 20 in Verbindung mit seinen im Verwaltungsverfahren unbestritten gebliebenen Angaben, dass er dort gewohnt habe und in Wien auch einer Arbeit nachgegangen sei, am Maßstab der in § 1 Abs. 8 MeldeG angeführten Kriterien das Bestehen eines Hauptwohnsitzes - zumindest jedoch eines Wohnsitzes - in Wien, wofür auch die wiederholte Anführung dieser Anschrift bei den Personalien des Beschwerdeführers in den erstinstanzlichen Akten spricht. Gegenteilige Anhaltspunkte waren nicht aktenkundig.
Entgegen der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertretenen Auffassung der belangten Behörde nahm die BH somit ihre Zuständigkeit zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer - auf Basis der im Verwaltungsverfahren gegebenen Aktenlage - nicht zu Recht in Anspruch. Das wäre von der belangten Behörde, die (wie erwähnt) eine Auseinandersetzung mit der Unzuständigkeitseinrede in der Berufung unterließ, aufzugreifen gewesen.
Soweit sich die belangte Behörde in ihren Stellungnahmen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch auf nach der Erlassung ihres Bescheides beigeschaffte Ermittlungsergebnisse beruft, widerspricht dies - wie der Beschwerdeführer in seiner Replik zu Recht einwendet - dem Neuerungsverbot. Davon, dass die - aus den am 26. Juni 2008 gemachten Angaben des Hauptmieters der Wohnung in 1200 Wien, J-straße, abgeleitete - Tatsache, der Beschwerdeführer sei aus dieser Unterkunft bereits im April 2007 ausgezogen, offenkundig gewesen sei, kann aber nach dem Inhalt der dem Gerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten keine Rede sein. Im Übrigen ist einem anderen, von der belangten Behörde nachträglich vorgelegten Erhebungsbericht vom 5. März 2008 zu entnehmen, dass dieselbe Auskunftsperson damals noch angegeben hatte, den Beschwerdeführer "vor ca. zwei Monaten" das letzte Mal gesehen zu haben; ein angeblicher Auszug des Beschwerdeführers vor (bezogen auf den damaligen Zeitpunkt) fast einem Jahr wurde jedoch noch nicht erwähnt. Ohne weitere Ermittlungen, die insbesondere auch eine diesbezügliche Befragung des Beschwerdeführers, der die Angaben seines ehemaligen Untervermieters bestritt und sie als "reine Schutzbehauptungen" qualifizierte, ließe sich daher nicht sagen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides über keinen (Haupt-)Wohnsitz an der Adresse in Wien 20 verfügte. Im Übrigen scheint es - folgt man den Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Arbeitstätigkeit in Wien - nicht ausgeschlossen, dass er damals an einem anderen Ort in Wien zumindest einen Wohnsitz hatte. Das wird im weiteren Verfahren zu beachten sein.
Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den vorgenannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 17. März 2009
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