VwGH 2008/21/0260

VwGH2008/21/026027.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerden 1.) des M,

2.) des E, 3.) der L, und 4.) der S, alle vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hessenplatz 8, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, jeweils vom 18. Juli 2007, 1.) Zl. St 142/07 (hg. Zl. 2008/21/0260), 2.) Zl. St 145/07 (hg. Zl. 2008/21/0261),

3.) Zl. St 144/07 (hg. Zl. 2008/21/0262) und 4.) Zl. St 143/07 (hg. Zl. 2008/21/0263), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §31;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §31;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Mazedoniens, und die mit ihm verheiratete, aus dem Kosovo stammende Viertbeschwerdeführerin reisten gemeinsam mit ihren Kindern, dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin, die jeweils Staatsangehörige Mazedoniens sind, am 9. September 2001 aus Mazedonien, wo sie nach eigenen Angaben in einem gemeinsamen Haushalt zusammen gelebt hatten, in das Bundesgebiet ein. Der Erstbeschwerdeführer beantragte am 12. September 2001 die Gewährung von Asyl, die weiteren Beschwerdeführer stellten Asylerstreckungsanträge zu seinem Hauptantrag.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 12. Jänner 2005 wies der unabhängige Bundesasylsenat den Asylantrag des Erstbeschwerdeführers gemäß § 7 AsylG als unbegründet ab, ebenso mit auf §§ 10 und 11 AsylG gegründeten Bescheiden vom 28. April 2005 die Asylerstreckungsanträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer. Weiters sprach er im Bescheid vom 12. Jänner 2005 aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Erstbeschwerdeführers nach Mazedonien zulässig sei. Die Behandlung der dagegen vom Erstbeschwerdeführer (Zl. 2005/01/0028) sowie von den weiteren Beschwerdeführern (Zlen. 2005/01/0133 bis 0135) erhobenen Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit dessen Beschlüssen vom 23. Februar 2006 abgelehnt.

Mit den nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 18. Juli 2007 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführer gemäß den §§ 31, 53 Abs. 1 und 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung führte sie - jeweils im Wesentlichen inhaltsgleich - aus, die Beschwerdeführer hielten sich seit Abschluss der dargestellten Asylverfahren nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil sie über keine Aufenthaltstitel verfügten. Anregungen auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen sei nicht entsprochen worden.

Des Weiteren traf die belangte Behörde unter der Überschrift "Rechtliche Beurteilung" Feststellungen zur Lage in Mazedonien.

Diese lauten auszugsweise:

"Gesundheitliche Versorgung

Hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung erbte Mazedonien aus dem früheren Jugoslawien ein Gesundheitssystem mit hohem Niveau, das sich seinerzeit an westeuropäischen Standards messen lassen konnte. Hiervon hat Mazedonien nach seiner Unabhängigkeit profitiert. Jedoch haben der Balkankonflikt einschl. der Sanktionen gegen Serbien sowie die Umstellung des Zentralverwaltungssystems auf eine marktwirtschaftliche Ordnung zu erheblichen Problemen geführt, in deren Folge das Gesundheitswesen nicht weiterentwickelt wurde und daher heute hinter westeuropäischen Standard, teils sogar hinter den bei Unabhängigkeit Mazedoniens bestehenden, zurück gefallen ist.

Hinsichtlich Ausstattung und Behandlungsmöglichkeiten bestehen z. T. erhebliche Unterschiede. Während einige wenige Einrichtungen über modernes Gerät verfügen und auch in puncto Hygiene und Sauberkeit ein hohes Niveau vorweisen, sind andere Gebäude heruntergekommen, die Inneneinrichtung veraltet und in schlechtem Zustand, die hygienischen Bedingungen nicht adäquat. Modernes Gerät ist zwar vielfach vorhanden, jedoch fehlt z.T., das Know How für seine Bedienung, oder es kann mangels Ersatzteilen nicht genutzt werden. Zu beobachten ist ein Gefälle zwischen den Universitätskliniken Skopje und kleineren Einrichtungen in ländlichen Regionen, wo es z. T. an grundlegender Ausstattung fehlt. Obwohl Krankenanstalten und Apotheken auch in den Provinzstädten in die Versorgung miteinbezogen werden (z.B. ist nicht selten Blutwäsche mit Dialysegeräten bei Nierenkrankheiten auch außerhalb Skopjes möglich), sind nicht alle Einrichtungen für die Anwendung moderner medizinischer Behandlungsmethoden flächendeckend vorhanden, Apparaturen und medizinische Spezialausrüstungen entsprechen oft nicht westlichem Standard.

Anfragen bei Fachärzten für Ultraschall, Röntgen, Pulmologie, Kardiologie, Nephrologie, Pädiatrie, Rehabilitation u.a. ergaben, dass viele Untersuchungen und Behandlungen im Lande durchgeführt werden können. Dies gilt auch für eine Reihe von Spezialbehandlungen (Bsp. Dialyse, die meisten kardiologischen Operationen), andere Behandlungen (etwa komplizierte Augenoperationen) müssen dagegen im Ausland vorgenommen werden. Die medikamentöse Versorgung ist landesweit gesichert, jedoch sind eine Vielzahl von Medikamenten, sofern sie nicht auf der Positivliste sind, nur in privaten Apotheken gegen volle Kostenübernahme des Patienten erhältlich.

Jeder offiziell registrierte maz. Bürger genießt Krankenversicherungsschutz. ...

Grundsätzlich erhalten alle Versicherten kostenlosen Primärschutz, den der Hausarzt nach einem dem amerikanischen Gesundheitswesen nachgebildeten Punktesystem mit dem Krankenversicherungsfonds abrechnet.

Sozialfälle sind auch nach der letzten Gesetzesänderung 2001 von Kosten für Dienstleistungen des Gesundheitswesens (Untersuchungen, Kontrollen, Operationen, Notdienst, Hilfsmittel usw.) bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (ordnungsgemäße Anmeldung und Registrierung über das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik beim zuständigen Sozialamt. das monatlich eine Bescheinigung ausstellt) befreit, jedoch nicht von Eigenbeteiligungen an rezeptpflichtigen Medikamenten.

Diese geringe Selbstbeteiligung an rezeptpflichtigen, d. h. vom Hausarzt verschriebenen Medikamenten, gestaffelt nach dem Preis des Präparates, ist von allen Krankenversicherten zu entrichten. Sie beträgt grundsätzlich weniger als 20 % des Kaufpreises des Präparates, der in der Regel vergleichsweise günstig ist.

Die jährlichen Eigenbeteiligungssätze bei kostenpflichtigen Behandlungen variieren je nach Personengruppe zwischen 0 % (z.B. Kinder) und 70 % (Personen zw. 18 und 65 Jahren). Wenn innerhalb eines Kalenderjahres 70 % des monatlichen Durchschnittslohnes (der ca. 12.000,- MKD = 200 Euro beträgt) für medizinische Leistungen aufgebracht wurden (Belege sind zu sammeln), so tritt für den Rest des Jahres Befreiung von Eigenbeteiligungen ein, ausgenommen die o.g. Eigenbeteiligungen an Medikamenten.

Es erfolgt eine prozentuale Reduzierung des Beitrags, wenn das monatliche Einkommen unter dem Durchschnitt liegt.

Die frühere Einschränkung hinsichtlich der Größe der Familie (ab dem vierten Kind kein Krankenversicherungsschutz mehr) ist entfallen. Eine grundsätzliche Befreiung bestimmter Patientengruppen (z.B. Krebs-, Dialyse-, Aids-Kranke) von jeder Eigenbeteiligung wird nicht mehr gewährt, sondern jeweils nur noch für Behandlungen, die mit der betreffenden Krankheit in unmittelbarem Zusammenhang stehen.

Auch im Sekundärschutz (Krankenhausbehandlungen) sind Eigenbeteiligungssätze (gestaffelt) zu entrichten."

Die Drittbeschwerdeführerin sei durch einen Verkehrsunfall vom 1. Dezember 2005 verletzt worden, wobei "zwischen 06.02. und 11.02.2007 die stationäre Aufnahme zur Plattenentfernung erfolgte". Auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich dabei um eine routinemäßige Nachbehandlung handle, sei nicht zu ersehen, dass diese deshalb nicht transportfähig wäre. Ebenso wenig zielführend sei - unter Berücksichtigung der wiedergegebenen Feststellungen zur gesundheitlichen Versorgung - die Behauptung der Beschwerdeführer, im Ausland nicht für ihre Behandlungskosten aufkommen zu können.

Unter Bedachtnahme auf diese Situation folgerte die belangte Behörde, die Ausweisung sei vor dem Hintergrund der Beeinträchtigung des als sehr hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, trotz des sich aus dem bisherigen Aufenthalt und der Berufstätigkeit des Erstbeschwerdeführers ergebenden Interesses an einem weiteren Inlandsaufenthalt, iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Die öffentliche Ordnung würde nämlich schwer wiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss ihrer Asylverfahren das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei demnach geboten, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich die Fremden gesetzestreu verhalten hätten. Angesichts des eminenten öffentlichen Interesses an einer wirksamen Bekämpfung des unrechtmäßigen Aufenthaltes bzw. der illegalen Zuwanderung Fremder habe die belangte Behörde auch das ihr eingeräumte Ermessen nicht zu Gunsten der Beschwerdeführer ausüben können.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Februar 2008, B 1394-1397/07-9, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzten Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführer stellen nicht in Abrede, dass ihre eingangs dargestellten Asylverfahren rechtskräftig beendet sind. Auch ist den Beschwerden nicht schlüssig zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - bei einem der Beschwerdeführer vorläge. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ergibt sich die Rechtmäßigkeit eines Aufenthalts nicht schon direkt aus den Bestimmungen der EMRK. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Die Beschwerdeführer verweisen auf ihr im Verwaltungsverfahren erstattetes Vorbringen, die 1997 geborene Drittbeschwerdeführerin sei am 1. Dezember 2005 beim Überqueren eines Schutzweges in Linz niedergefahren und schwer verletzt worden. Dabei habe sie einen Bruch des rechten Oberschenkels erlitten, der operativ mit einer Oberschenkelverplattung habe versorgt werden müssen. Die medizinische Behandlung der Verletzungsfolgen sei nicht abgeschlossen. Insbesondere leide sie an - näher beschriebenen - Angstzuständen, die einer psychotherapeutischen Behandlung bedürften. Neben der zu verneinenden Reisefähigkeit würde eine Ausweisung daher zur Retraumatisierung der Drittbeschwerdeführerin und ihrer Mutter, der Viertbeschwerdeführerin, die zudem durch eine Lähmung des rechten Armes behindert sei, führen. Dazu wurde die Bescheinigung einer Psychotherapeutin vom 27. Juni 2006 vorgelegt, in der diese die psychotherapeutische Behandlung der an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leidenden Drittbeschwerdeführerin ab dem 26. April 2006 bestätigte. Zur weiteren Bewältigung des traumatischen Geschehens sei es, neben einer Vornahme der (damals) noch ausstehenden medizinischen Eingriffe im Unfallkrankenhaus Linz, von enormer Wichtigkeit, die psychotherapeutische Behandlung im Kinderschutzzentrum Linz weiterführen zu können. Ein Abbruch dieser unterstützenden Maßnahmen würde eine Retraumatisierung von Mutter und Kind mit unabsehbaren Folgen nach sich ziehen.

Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch dem Umstand Bedeutung zukommt, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land - sollte ein solches als Zielort überhaupt in Betracht kommen - außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich darstellen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0165, vom 28. Juni 2007, Zlen. 2007/21/0163 bis 0167, und vom 24. Oktober 2007, Zlen. 2006/21/0296 bis 0300).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte sich die belangte Behörde näher mit dem Vorliegen und der konkreten Behandelbarkeit der bei der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen im Zielstaat befassen müssen. Die bloße Reduktion ihrer Ausführungen auf die Frage der Reisefähigkeit verbunden mit allgemeinen Darstellungen der Situation in Mazedonien, ohne diese in konkrete Beziehung zur individuellen Situation der Beschwerdeführer zu setzen, wird den Erfordernissen an die mängelfreie Begründung eines Bescheides nicht gerecht. Der angefochtene Bescheid geht nämlich weder darauf ein, wie weit eine Psychotherapie in Mazedonien für die Beschwerdeführer möglich noch mit welchen konkreten Folgen bei ihrem Unterbleiben zu rechnen ist. Derartiges lässt sich auch nicht aus den - oben wiedergegebenen - Feststellungen der belangten Behörde zur gesundheitlichen Versorgung in Mazedonien, in deren Rahmen nicht einmal allgemein auf psychotherapeutische Behandlungen eingegangen wird, ableiten.

Dazu kommt, dass sich die belangte Behörde auch nicht mit der aktuellen Staatsangehörigkeit der aus dem Kosovo stammenden Viertbeschwerdeführerin und der damit im Zusammenhang stehenden Frage der Möglichkeit einer Fortsetzung des gemeinsamen Zusammenlebens der Familie in Mazedonien nach einem Verlassen Österreichs auseinander gesetzt hat.

Da nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei mängelfreien Feststellungen zu den beiden eben dargelegten Themenkreisen zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Mai 2009

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