VwGH 2008/21/0017

VwGH2008/21/001725.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des Y, vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurnerstraße 14/1. Stock, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Oktober 2007, Zl. 149.056/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs1 Z1;
NAG 2005 §11 Abs1 Z2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;
NAG 2005 §11 Abs1 Z1;
NAG 2005 §11 Abs1 Z2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Oktober 2007 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 13. Februar 2002 auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels für den Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 und § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben am 15. November 2001 eingereist sei und am 26. November 2001 einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt habe. Diesen habe er am 27. Mai 2002 zurückgezogen. Am 21. Dezember 2001 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Seit 23. November 2001 sei der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich behördlich gemeldet und habe seinen durchgehenden inländischen Aufenthalt auch selbst bestätigt.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte er jedoch den gegenständlichen Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen.

Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein "stellt noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".

Darüber hinaus dürften gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 NAG Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates bestehe. "Eine Überprüfung seitens der erkennenden Behörde hat ergeben, dass gegen Sie von der Bundesrepublik Deutschland ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, das nach wie vor aufrecht ist." Demnach sei die Erteilung des Aufenthaltstitels zwingend zu versagen und es habe sich die erkennende Behörde mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten besonders berücksichtigungswürdigen Gründen im Sinn der §§ 72, 74 NAG nicht auseinander zu setzen.

Letztlich hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG nicht erfülle.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht. Diesen Versagungsgrund zog die belangte Behörde bei der Abweisung des gegenständlichen Antrages des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels heran und verwies dabei auf eine von ihr vorgenommene Überprüfung.

Solche Ermittlungen sind jedoch im Akt nicht nachvollziehbar. Es erliegt lediglich eine Information von "Sirene Deutschland", derzufolge der Beschwerdeführer am 16. November 2006 mit unbefristeter Wirkung zurückgeschoben und wegen Verstoßes gegen das (deutsche) Ausländergesetz zur Festnahme zum Zweck der Ausweisung/Abschiebung ausgeschrieben worden sei. Weiters sei er zur Festnahme zur Vollstreckung einer Strafe wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz ausgeschrieben worden.

Der Beschwerdeführer bestreitet den aufrechten Bestand eines Aufenthaltsverbotes in der Bundesrepublik Deutschland und wirft der belangten Behörde zu Recht vor, sie habe ihn damit nicht konfrontiert und ihm kein rechtliches Gehör eingeräumt.

Tatsächlich hat die belangte Behörde es unterlassen, dem Beschwerdeführer von der beabsichtigten Heranziehung dieses Abweisungsgrundes in Kenntnis zu setzen und ihm die Möglichkeit zu einem entsprechenden Vorbringen einzuräumen. Dadurch hat sie ihren Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz. 23ff mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung). Es kann keinesfalls ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde ansonsten zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, zumal - wie aufgezeigt - der Bestand eines Aufenthaltsverbotes im Verwaltungsakt nicht nachvollziehbar ist.

Die Abweisung des Antrages stützte die belangte Behörde auch darauf, dass der Beschwerdeführer entgegen § 21 Abs. 1 NAG den Ausgang des Verfahrens nicht im Ausland abgewartet habe.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, sich seit Antragstellung im Inland aufzuhalten. Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann.

§ 72 Abs. 1 NAG (in der angesprochenen Fassung) lautete:

"Die Behörde kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses (§ 11 Abs. 1), ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes (§ 11 Abs. 1 Z 1 und 2), in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt ist. Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens jedoch für drei Monate, erteilt werden."

§ 72 NAG stellt somit auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Niederlassungsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Eine Vorgangsweise nach den §§ 72 und 74 NAG ist nach dem Gesetzeswortlaut dann nicht zulässig, wenn ein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 1 und 2 leg. cit. gegeben ist.

Nun kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, dass eine Überprüfung in Richtung eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles aus humanitären Gründen keinesfalls zur Zulässigkeit einer Inlandsantragstellung geführt hätte, weil sich der Beschwerdeführer seit 2001 im Bundesgebiet aufhält, seit diesem Jahr mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist und die belangte Behörde nicht festgestellt hat, dass es sich dabei um eine Aufenthaltsehe handle.

Somit kommt auch in Ansehung des herangezogenen Abweisungsgrundes der fehlenden Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG der Frage Bedeutung zu, ob gegen den Beschwerdeführer tatsächlich ein Aufenthaltsverbot der Bundesrepublik Deutschland besteht.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht - im begehrten Ausmaß - auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. Februar 2010

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