VwGH 2008/19/0568

VwGH2008/19/05682.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak, sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des H D in H, geboren am 13. Juli 1976, vertreten durch Dr. Robert Müller, Rechtsanwalt in 3170 Hainfeld, Hauptstraße 28, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Jänner 2008, Zl. 305.950-C1/7E-XIX/61/06, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AVG §60;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AVG §60;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am 10. August 2005 Asyl.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab; schon in erster Instanz war dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gewährt worden.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das angeblich fluchtauslösende Ereignis im August 2002 (zweitägige Anhaltung durch russische Militärs) sei nicht glaubwürdig. Die Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstinstanz und der Berufungsbehörde seien zwar relativ konsistent, aber wenig detailreich und ausführlich gewesen. Hinzu komme, dass die getätigte Aussage teilweise widersprüchlich gewesen sei. So habe der Beschwerdeführer am 16. August 2005 ausgesagt, von russischen Militärbehörden angehalten und zur Zusammenarbeit genötigt worden zu sein. Später habe er den Vorfall aber so geschildert, dass das russische Militär in sein Haus eingedrungen sei, ihn dort aus dem Bett gerissen und mit Gewehrkolben geschlagen hätte. Widersprüchlich seien auch die Angaben hinsichtlich der Anzahl der Personen, denen der Beschwerdeführer Unterschlupf (vor den russischen Militärs) gewährt haben will. Vor der Erstbehörde habe er nur einen alten Schulfreund erwähnt, in der Berufungsverhandlung hingegen "mehrere Menschen" genannt.

Selbst bei Annahme der zweitägigen Inhaftierung im Jahr 2002 sei ihm jedoch kein Asyl zu gewähren, weil er danach offenkundig völlig unbehelligt in der Russischen Föderation habe leben können. Er habe selbst angegeben, nach dem Vorfall bis zur Ausreise im Oktober 2004 in Inguschetien gelebt zu haben und von dort nur wegen verschärfter "Säuberungsaktionen" nach der "Beslan-Tragödie" weggegangen zu sein. Dabei handle es sich aber um keinen der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe, sondern um allgemeine Verhältnisse, von denen jedermann betroffen gewesen sei, der sich in Inguschetien aufgehalten habe. Letztlich sei es dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen, eine im Ausreisezeitpunkt aktuelle asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0550, mwN).

Diesen Erfordernissen entspricht der angefochtene Bescheid in seiner Beweiswürdigung nicht.

Der Beschwerdeführer hatte seine Flucht aus Tschetschenien im Wesentlichen damit begründet, am 20. August 2002 von russischen Militärs festgenommen, zwei Tage lang inhaftiert und gefoltert worden zu sein. Man habe ihn zur Zusammenarbeit (Spitzeldienste) zwingen wollen und ihn nur unter dieser Bedingung freigelassen, gleichzeitig aber für den Fall der Weigerung zur Zusammenarbeit mit dem Tod bedroht. Unmittelbar nach seiner Freilassung sei der Beschwerdeführer nach Inguschetien geflohen, wo er sich bis zur Ausreise (im Oktober 2004) aufgehalten habe.

Die belangte Behörde gestand dem Beschwerdeführer zu, hinsichtlich dieser Fluchtgründe "relativ konsistente" Angaben gemacht zu haben. Dennoch sei der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig gewesen. Zum Einen führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers seien "wenig detailreich und ausführlich" gewesen, ohne diesen Vorwurf näher zu begründen. Angesichts der - hier nicht wiedergegebenen - ausführlichen Schilderungen des Beschwerdeführers über den Hergang der Festnahme, seine anschließende Inhaftierung und die erlittene Folter lässt sich dieses beweiswürdigende Argument der belangten Behörde nicht nachvollziehen. Zum Anderen erwähnte die belangte Behörde zwei angebliche Widersprüche im Aussageverhalten des Beschwerdeführers, die bei genauer Betrachtung nicht zu erkennen sind.

So habe er zunächst nur von einer Anhaltung durch die russischen Militärs gesprochen, später aber erzählt, sie seien in sein Haus eingedrungen und hätten ihn dort gewaltsam festgenommen. Worin die belangte Behörde in diesem Zusammenhang einen relevanten Widerspruch zu erkennen vermeinte, erläuterte sie im angefochtenen Bescheid nicht. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Anlässlich der ersten Einvernahme am 16. August 2005 wurde der Beschwerdeführer ausdrücklich aufgefordert, seine Fluchtgründe in nur "3-4 Sätzen" zu schildern und er führte an, am 20. August 2002 in seinem Heimatort von russischen Militärbehörden angehalten und zur Zusammenarbeit genötigt worden zu sein. Dass er dabei - anders als in späteren Einvernahmen - die genauen Umstände seiner Festnahme nicht schilderte, vermag eine Unglaubwürdigkeit seiner Person nicht schlüssig zu begründen.

Das selbe gilt auch für die von der belangten Behörde gegen den Beschwerdeführer ins Treffen geführte Aussagedivergenz bezüglich der Anzahl der von ihm beherbergten Personen. Es trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer in seiner erstinstanzlichen Einvernahme als möglichen Grund für seine Festnahme anführte, er habe seinen - namentlich näher bezeichneten - Schulkollegen, der von russischen Militärs gesucht worden sei, mehrmals bei sich übernachten lassen. In der Berufungsverhandlung ergänzte er diese Aussage dahingehend, dass er in der Vergangenheit (immer wieder) "Menschen, die sich vor den russischen Behörden versteckt haben, da sie um ihr Leben fürchteten, Unterkunft gegeben" habe. Der Letzte, dem er Unterkunft gegeben habe, sei sein Schulkollege gewesen, wovon "die Russen" wahrscheinlich erfahren hätten. Die Gegenüberstellung dieser Aussagen zeigt, dass ihr Kern (die Beherbergung des Schulkollegen als Festnahmegrund) gleich blieb und lediglich in einem weiteren Detail eine Ergänzung der bisherigen Angaben des Beschwerdeführers stattgefunden hatte. Warum dieser Umstand von der belangten Behörde als "Widerspruch" gewertet wurde, lässt sich anhand der Bescheidbegründung nicht nachvollziehen.

Zusammenfassend hat die belangte Behörde daher nicht ausreichend begründet, warum die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht der Wahrheit entsprechen sollten.

2. Die Hilfsbegründung der belangten Behörde, selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens sei ihm kein Asyl zu gewähren, vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen. Legt man nämlich das Vorbringen des Beschwerdeführers der rechtlichen Beurteilung zugrunde, so wurde er nur unter der Bedingung einer Zusammenarbeit mit den russischen Militärs aus der Haft entlassen und für den Fall der Weigerung mit dem Tod bedroht. Der von ihm geforderten Zusammenarbeit hat sich der Beschwerdeführer durch seine Flucht nach Inguschetien entzogen. Dass ihm angesichts dieses Verhaltens in Tschetschenien keine weitere Verfolgungsgefahr gedroht hätte oder noch drohen könnte, wurde von der belangten Behörde nicht dargelegt und ist auch nicht notorisch.

Die belangte Behörde argumentierte vielmehr damit, dass der Beschwerdeführer in Inguschetien "unbehelligt" habe wohnen können. Dass es dort - nach Aussage des Beschwerdeführers - im Gefolge des Anschlages von Beslan (im September 2004) zunehmend "Säuberungsaktionen" gegeben habe, vor denen er letztlich geflohen sei, zog die belangte Behörde nicht in Zweifel. Diese Aktionen beruhten aber - so die belangte Behörde - auf keinem Konventionsgrund und seien daher nicht geeignet, einen Asylanspruch zu begründen. Mit dieser Argumentation verkannte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht, dass sie die Lageänderung in Inguschetien dahingehend zu überprüfen gehabt hätte, ob dem aus Tschetschenien stammenden und von dort geflohenen Beschwerdeführer damit eine zumutbare inländische Fluchtalternative verloren gegangen ist. Ob der allfällige Verlust dieser inländischen Fluchtalternative auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auch in Inguschetien zurückzuführen war, spielt hingegen rechtlich keine Rolle (vgl. dazu etwa Punkt 4.1. der Erwägungen im hg. Erkenntnis vom 9. November 2004, Zl. 2003/01/0534, mwN) und braucht an dieser Stelle daher nicht näher überprüft zu werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 2. September 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte