VwGH 2008/18/0704

VwGH2008/18/070412.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der S M in W, vertreten durch Mag. Hubert Wagner LLM, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. Mai 2008, Zl. E1/109.028/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 1 und § 60 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 2 Z. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin am 26. November 2004 von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien wegen des Verdachtes des rechtswidrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet angezeigt worden sei. Aus der Anzeige ergebe sich, dass der Sohn der Beschwerdeführerin angegeben habe, er halte sich seit März 2004 mit seiner Mutter illegal in Österreich auf.

Bereits am 8. Juli 2004 habe die Beschwerdeführerin den österreichischen Staatsbürger R M. geheiratet und - auf diese Familiengemeinschaft gestützt - am 2. August 2005 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht.

In der Folge seien Erhebungen wegen des Verdachtes des Vorliegens einer Aufenthaltsehe eingeleitet worden. Bei drei Erhebungen (am 24. Jänner 2006, am 26. und am 29. Februar 2007) an der angeblich ehelichen Wohnanschrift in W sei der Ehemann der Beschwerdeführerin kein einziges Mal angetroffen worden. Die Beschwerdeführerin habe keine Gegenstände ihres Gatten vorweisen können und weder die Daten ihrer Eheschließung, das Geburtsdatum ihres Ehemannes noch den ungefähren Zeitpunkt der Rückkehr ihres Ehemannes in die Wohnung nennen können. Außer dem Kind der Beschwerdeführerin (sechs Jahre) hätten sich bei jeder Erhebung weitere Personen (einmal ein "jugoslawischer" Staatsangehöriger, der - nur mit einem Trainingsanzug bekleidet - behauptet habe, nur auf Besuch zu sein, weitere Male rumänische Staatsangehörige) in der Wohnung aufgehalten. Die Wohnung habe einen ungepflegten Eindruck ("Bettlerquartier") erweckt.

Am 10. Juli 2007 seien sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Ehemann von der erstinstanzlichen Behörde niederschriftlich vernommen worden, wobei sich zahlreiche Widersprüche ergeben hätten. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei sehr aufgebracht und nicht kooperativ gewesen, habe jedoch das Vorliegen einer Scheinehe bestritten. Die Beschwerdeführerin habe im Wesentlichen angegeben, ihren Ehemann nicht "wegen des Visums" geheiratet zu haben.

In ihrer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Beschwerdeführerin neuerlich bekräftigt, keine Aufenthaltsehe eingegangen zu sein, was auch ihr Ehemann in seiner Aussage vom 10. Juli 2007 bestätigt hätte.

Die Beschwerdeführerin habe - so die belangte Behörde mit Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid - keine genauen Angaben zur Beschäftigung ihres Mannes machen können und dieser sei bei keiner der Überprüfungen angetroffen worden. Auch im Zuge der niederschriftlichen Befragung habe sich gezeigt, dass das Ehepaar weder über einander noch über die Verwandtschaft des jeweils anderen informiert sei. Zudem ergebe sich laut Auskunft aus dem Zentralen Melderegister, dass das Ehepaar nicht mehr im gemeinsamen Haushalt gemeldet sei. Als die Beamten eine Wohnungsnachbarin nach dem Ehemann der Beschwerdeführerin befragt hätten, hätten sie deren Angaben als unglaubwürdig empfunden und dieser daraufhin ein Foto einer fremden Person gezeigt. Die Nachbarin habe angegeben, dass es sich dabei um den Mann der Beschwerdeführerin handle. Es könne somit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin mit den Nachbarn Absprachen getroffen habe.

Dass die Beschwerdeführerin, deren Aufenthalt zum Zeitpunkt der Eheschließung unerlaubt gewesen sei, eine Aufenthaltsehe geschlossen habe, ergebe sich aus den Ergebnissen der Erhebungen am behaupteten gemeinsamen Wohnsitz sowie aufgrund der bei der niederschriftlichen Vernehmung zutage getretenen Widersprüche. Es liege auch schon seit einiger Zeit keine gemeinsame Meldung der Eheleute mehr vor.

Das Verhalten der Beschwerdeführerin, eine Aufenthaltsehe zwecks Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile einzugehen, laufe den öffentlichen Interessen zuwider und stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiete eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens, dar, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht nur zulässig, sondern auch dringend geboten sei.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG seien der Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit März 2004, eventuell der Aufenthalt von Angehörigen der Beschwerdeführerin in Österreich, ihre Erwerbstätigkeit und eine aus diesem Aufenthalt allenfalls ableitbare Integration zu beachten. Daher sei mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ein gewisser Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden. Eine von diesem Aufenthalt ableitbare allfällige Integration in Österreich werde in ihrer Relevanz jedoch dadurch gemindert, dass die Beschwerdeführerin ihren Aufenthalt und auch den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe und die Berufung auf diese im Aufenthaltsverfahren habe begründen können. Die Beschwerdeführerin sei illegal nach Österreich gelangt. Ein ergänzendes Vorbringen hinsichtlich der Integration oder essentieller Bindungen sei nicht gemacht worden.

Den allfällig vorhandenen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am weiteren Aufenthalt in Österreich stehe vor allem gegenüber, dass sie durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe und die Berufung darauf im Antrag auf die Niederlassungsbewilligung maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung, geordnete Besorgung des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt habe. Eine Gewichtung der widerstreitenden Interessen habe ein klares Überwiegen der öffentlichen Interessen ergeben. Das Aufenthaltsverbot sei daher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Befristung des Aufenthaltsverbotes stehe im Einklang mit § 63 FPG. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens der Beschwerdeführerin könne - selbst unter Bedachtnahme auf deren private Situation - ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die erkennende Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

II.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 23. September 2008, B 1159/08-6, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Dieser hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und bringt dazu vor, alleine aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin bei der Erhebung an der ehelichen Wohnanschrift keine persönlichen Gegenstände ihres Ehemannes habe vorweisen können und sich ein anderer Mann im Trainingsanzug in der Wohnung befunden habe, könne noch nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handle.

Damit gelingt es der Beschwerde jedoch nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

Die belangte Behörde hat in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise dargelegt, warum sie auf Grund der Ergebnisse von drei Erhebungen an der angeblich ehelichen Wohnanschrift und der Vernehmung der Ehepartner zu dem Ergebnis gekommen ist, dass im konkreten Fall eine Aufenthaltsehe vorliegt.

Wenn sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt erachtet, weil sie keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Beweisergebnissen erhalten habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie am 3. Oktober 2007 vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt wurde und zudem ausreichend Gelegenheit hatte, sich im Rahmen der Berufung Gehör zu verschaffen. Im Übrigen zeigt sie die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.

Bei dem Beschwerdevorbringen, die Beschwerdeführerin sei niemals im Beisein eines Dolmetschers befragt und ihr damals minderjähriger Sohn sei "verhört" worden, ohne auf seine Entschlagungsrechte aufmerksam gemacht worden zu sein, handelt es sich um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Auf Basis der getroffenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsehe geschlossen, also sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, aber mit ihrem Ehemann ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass das persönliche Verhalten eines Fremden, der eine Aufenthaltsehe geschlossen hat, im Sinn des - im Beschwerdefall gemäß § 87 FPG anzuwendenden - § 86 Abs. 1 FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2010, Zl. 2010/21/0172, mwN).

Mit Blick auf die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG bringt die Beschwerdeführerin vor, eine Abschiebung würde die Familie aus ihrem gewohnten Leben reißen, was insbesondere für ihr minderjähriges Kind unabsehbare Folgen hätte, weil es in Österreich die Schule besuche und - wie auch ihr älterer Sohn - gut integriert sei. Die belangte Behörde habe den Aspekt der Achtung des Privat- und Familienlebens und eine mögliche Beeinträchtigung durch eine Abschiebung nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Abwägung der relevanten Interessen hätte zugunsten der Beschwerdeführerin ausgehen müssen.

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Aus den Verwaltungsakten geht hervor, dass die Beschwerdeführerin Mutter zweier Kinder ist. Ihr 1989 geborener Sohn, laut Verwaltungsakten "jugoslawischer" Staatsangehöriger, gab im Zusammenhang mit der Anzeige wegen des Verdachtes des illegalen Aufenthaltes am 26. November 2004 an, er sei mit seiner Mutter seit März 2004 in Österreich. Im Rahmen der Erhebungen an der Wohnadresse am 24. Jänner 2006 wurde - abgesehen von der Beschwerdeführerin und einem Mann in Trainingsanzug - auch "ein Kind der BW (sechs Jahre)" angetroffen.

Die belangte Behörde hat bei ihrer Interessenabwägung gemäß § 66 FPG zwar den Aufenthalt der Beschwerdeführerin und "ev." den ihrer "Angehörigen" im Bundesgebiet berücksichtigt, sie hat jedoch keine Feststellungen über die Staatsangehörigkeit, den Aufenthaltsstatus, die Meldeadresse und allenfalls darüber getroffen, wer die Obsorge für das zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa achteinhalbjährige Kind der Beschwerdeführerin innehat.

Damit verkannte die belangte Behörde die Regelung des § 66 Abs. 2 FPG, der zufolge es bei der Beurteilung der Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes nicht nur auf die Lebenssituation des Fremden, sondern auch auf jene seiner Familie ankommt. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass die belangte Behörde in Anbetracht der während des Verwaltungsverfahrens bekannten familiären Bindungen ausreichende Feststellungen insbesondere dazu hätte treffen müssen, ob der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin der Betreuung durch seine Mutter bedarf und, zutreffendenfalls, ob ihm zugemutet werden könne, seine Mutter in das Ausland zu begleiten.

Da somit die belangte Behörde in Verkennung der Bestimmung des § 66 Abs. 2 FPG entscheidungswesentliche Feststellungen zur Lebenssituation des genannten Familienangehörigen der Beschwerdeführerin nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 12. April 2011

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