VwGH 2008/18/0432

VwGH2008/18/04323.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A F S, geboren am 16. April 1980, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Museumstraße 4/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. März 2008, Zl. E1/27.200/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. März 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 i.V.m. § 86 Abs. 1, § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 9, § 62 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 7. Februar 2004 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist und habe am 9. Februar 2004 einen Asylantrag gestellt, der am 15. Februar 2005 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Am 24. Jänner 2005 habe er die österreichische Staatsbürgerin Claudia D. geheiratet und am 15. Februar 2005 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht. Er habe darauf einen vom 18. August 2006 bis zum 18. August 2007 gültigen Aufenthaltstitel für den Zweck "Familienangehöriger" erhalten. Am 16. Juli 2007 habe er einen Verlängerungsantrag gestellt und dabei eine seine Ehefrau betreffende Lohnbestätigung vom 7. Februar 2005 vorgelegt. Deshalb liege die Vermutung nahe, dass der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Ehefrau habe und keine eheliche Gemeinschaft geführt werde. Bei einer Überprüfung vom 3. November 2007 in der angegebenen Wohnung habe die Ehefrau des Beschwerdeführers angegeben, dass dieser gerade bei seinem Bruder zu Besuch wäre, aber sicher bald nach Hause kommen würde. Schließlich habe sie eingeräumt, dass sie mit dem Beschwerdeführer nicht zusammenleben würde. Sie würde anstreben, dass er hier bleiben könne, denn "er sei ja eigentlich ein netter Kerl". Er würde nur sporadisch vorbeikommen, damit die Leute glaubten, sie wären ein Ehepaar. Der Bruder ihres Ehemannes, welcher 2004 ihr Arbeitskollege gewesen wäre, hätte ihr damals EUR 7.000 angeboten, damit sie den Beschwerdeführer heiraten würde, was sie auch getan hätte. Ihr Mann würde in Wirklichkeit bei seinem Bruder wohnen. Dieser hätte ihr nach der Heirat die EUR 7.000,-- bar überreicht. Ein Eheleben wäre nie geführt worden. Die Scheinehe hätte sie wegen finanzieller Probleme geschlossen.

Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde weiter - in einem Schreiben vom 10. Dezember 2007 angegeben, es wäre nicht richtig, dass er eine Scheinehe geschlossen hätte. Seine Ehefrau hätte die Angaben lediglich deshalb gemacht, weil sie mit ihm einen heftigen Streit gehabt hätte und ihn "loswerden" wollte. Ein "Liebesurlaub" hätte die beiden wieder zueinander finden lassen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers würde sich erlauben, dessen Schriftsatz zum Anlass für die Mitteilung zu nehmen, dass sie ihr Verhalten zutiefst bedauern würde. In ihrer damaligen Gefühlssituation wäre ihr die Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst gewesen. Sie hätte weder dem Beschwerdeführer Probleme bereiten noch der Behörde Arbeit verursachen wollen. Sie würde um diesbezügliche Kenntnisnahme ersuchen und würde auch den Antrag stellen, den Beschwerdeführer und sie erneut einzuvernehmen.

Am 23. Jänner 2008 habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - erneut einen Asylantrag beim Bundesasylamt eingebracht. Er verfüge seit diesem Zeitpunkt über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz. Auf Grund der Aktenlage gelange die belangte Behörde zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin rechtsmissbräuchlich und nur deshalb geschlossen habe, um sich fremdenrechtliche Vorteile und Berechtigungen zu verschaffen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe das Vorliegen einer Aufenthaltsehe mehrfach zugegeben und bestätigt. Ihre Angaben seien lebensnah, widerspruchsfrei, detailliert und schlüssig, weshalb kein Anlass bestehe, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Der Beschwerdeführer übersehe, dass die Angaben "der BW" (gemeint: der Ehefrau des Beschwerdeführers) auch mit dem Erhebungsergebnis des Stadtpolizeikommandos Donaustadt (Bericht vom 5. November 2007) in Einklang stünden. Der einzige Zweck der begehrten neuerlichen Einvernahme der Ehefrau des Beschwerdeführers liege darin, durch Gefälligkeitsaussagen fremdenpolizeiliche Maßnahmen abzuwenden. Immerhin habe die Ehefrau des Beschwerdeführers bereits im Zuge der Befragungen eingeräumt, dass ihr Ehemann ja "eigentlich ein netter Kerl sei" und "sie ihm helfen möchte, damit er Österreich nicht verlassen müsse und hier leben dürfe".

Die Voraussetzungen zur Erlassung eines Rückkehrverbotes würden vorliegen. Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG sei erfüllt. Das Verhalten des Beschwerdeführers lasse die Annahme als gerechtfertigt erscheinen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, nämlich insbesondere jenem an der Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, zuwiderlaufe. Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Rückkehrverbotes seien daher - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grund des § 60 Abs. 1 FPG gegeben.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit Februar 2004 im Bundesgebiet. Er sei unselbstständig erwerbstätig. Mit dem Aufenthaltsverbot sei ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit der Maßnahme im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen. Das Eingehen einer Aufenthaltsehe stelle einen Rechtsmissbrauch dar, der ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Bei der nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung fielen der mit einer gewissen Integration verbundene inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Februar 2004 sowie seine Erwerbstätigkeit ins Gewicht. Sein Aufenthalt vom 7. Februar 2004 bis zum 15. Februar 2005 habe auf einem rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren beruht. In der Folge habe er durch das beschriebene gesetzwidrige Verhalten einen Aufenthaltstitel erwirken können. Dieser sei bis zum 18. August 2007 gültig gewesen. Seit 28. Jänner 2008 werde der Aufenthalt wiederum nach den Bestimmungen des Asylgesetzes geduldet. Die aus der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ableitbare Integration sei geschmälert, weil sie nur auf Grund der Aufenthaltsehe mit einer Österreicherin ohne Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe durchgeführt werden können. Es könne keine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK erfolgen, weil es dem Interesse an einem geordneten Fremdenwesen grob zuwiderliefe, wenn sich ein Fremder auf diese Weise den Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer erzwingen könnte. Zudem werde durch die rechtsmissbräuchlich eingegangene Ehe und die Berufung darauf im Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung die Verletzung maßgeblicher öffentlicher Interessen iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK bewirkt. Das Rückkehrverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Da besonders berücksichtigungswerte Gründe nicht hätten erkannt werden können und auch nicht vorgebracht worden seien, habe auch im Rahmen einer behördlichen Ermessensübung nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand genommen werden können.

Wenn der Beschwerdeführer meine, die Behörde habe ihn einzuvernehmen, so irre er. Erstens sei der zugrunde liegende Sachverhalt hinreichend geklärt. Zweitens sei es dem Beschwerdeführer unbenommen, im Rahmen des Parteiengehörs "Essentielles" vorzutragen. Ein subjektives Recht auf mündliches Parteiengehör sei aus dem AVG nicht ableitbar.

Das Rückkehrverbot sei auf die Dauer von zehn Jahren auszusprechen gewesen, weil ein Wegfall des für die Erlassung der Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, die Ehefrau des Beschwerdeführers erneut zu vernehmen und mit dem vom Beschwerdeführer - nach ihrer ersten Einvernahme durch die Sicherheitsbehörde - erstatteten Vorbringen zu konfrontieren. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, den Widerspruch der beiden Aussagen aufzuklären. Sie habe sich hingegen darauf beschränkt festzustellen, "dass eine Gefälligkeitsaussage zu erwarten gewesen wäre und nahm damit unzulässig die Beweiswürdigung vorweg". Das Ermittlungsverfahren sei einseitig gestaltet worden. Mit den für den Beschwerdeführer günstigen Sachverhaltsmomenten habe sich die Behörde nicht auseinander gesetzt. Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer sowie seine Ehefrau nochmals vernommen, so hätte sich herausgestellt, dass keine Scheinehe vorliegen würde und die Ehefrau des Beschwerdeführers lediglich auf Grund eines Streites die für den Beschwerdeführer nachteiligen Aussagen zu Protokoll gegeben habe. Die Ablehnung des Beweisantrages belaste den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit. Bei vollständiger Ermittlung der entscheidungswesentlichen Tatsachen hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Scheinehe nicht vorliege, weshalb ein Rückkehrverbot nicht auszusprechen gewesen wäre.

2.1. § 60 AVG gebietet, dass in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse eines nach den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AVG unter Bedachtnahme auf § 52 Abs. 1 AVG sowie nach Maßgabe des § 37 AVG geführten Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst sind. Die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides erfordert somit in einem ersten Schritt die Feststellung jenes in einem nach Maßgabe der Verfahrensgesetze amtswegig geführten Ermittlungsverfahren erhobenen Sachverhalts, welchen die Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde legte, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche sie im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben.

Die freie Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bezieht sich auf die bereits vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens; es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Beweisanträge dürfen nur abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist. Das Vorliegen von - nach Auffassung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Einvernahme der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2005, Zl. 2002/08/0237, mwN).

2.2. Der angefochtene Bescheid entspricht nicht diesen Anforderungen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat im Schreiben vom 10. Dezember 2007 ihre Angaben über das Vorliegen einer Scheinehe, die die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde legte, widerrufen. In diesem Schreiben wurde die neuerliche Einvernahme der Ehefrau des Beschwerdeführers mit dem Vorbringen beantragt, sie würde ihr Verhalten (nämlich die Vornahme falscher Angaben bei den ersten Vernehmungen) zutiefst bedauern und sie sei sich in ihrer damaligen Gefühlssituation der Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst gewesen.

Wenn eine Zeugin ihre für den Ausgang des Verfahrens wesentlichen Aussagen im Nachhinein als unrichtig bezeichnet und sie das Vorliegen einer Scheinehe mit näherer Begründung in Abrede stellt, so betrifft dies Tatsachen iSd § 45 Abs. 2 AVG, denen für den Ausgang des Verfahrens Bedeutung zukommt. Unter diesen Umständen kann die Behörde nicht in vorwegnehmender Beweiswürdigung davon ausgehen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers bei der Richtigstellung ihrer Aussage unglaubwürdig sein werde, sondern sie muss sich durch Aufnahme des beantragten Beweises und Würdigung des Beweisergebnisses eine nachvollziehbare Überzeugung davon verschaffen, welche der möglicherweise voneinander abweichenden Darstellungen der Ehefrau des Beschwerdeführers glaubwürdig ist bzw. inwieweit sie bei einem Teil dieser Aussagen falsch ausgesagt hat.

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 3. Juli 2008

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