VwGH 2008/17/0211

VwGH2008/17/021127.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, in der Beschwerdesache 1. der V L,

2. des C L und 3. des M L, alle in L und vertreten durch Zauner & Mühlböck Rechtsanwälte KG in 4020 Linz, Graben 21, gegen die Bundesministerin für Inneres wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art132;
B-VG Art44 Abs3;
B-VG Art45;
B-VG Art46;
B-VG Art50 Abs4;
VwGG §27;
VwRallg;
AVG §6 Abs1;
AVG §73 Abs1;
B-VG Art132;
B-VG Art44 Abs3;
B-VG Art45;
B-VG Art46;
B-VG Art50 Abs4;
VwGG §27;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Antrag vom 18. März 2008 an die belangte Behörde begehrt, diese möge feststellen, dass

1. für die Ratifizierung des "EU-Reformvertrages" ("Vertrag von Lissabon") die Abhaltung einer Volksabstimmung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG rechtlich geboten ist sowie

2. die Erstantragstellerin (Erstbeschwerdeführerin) ein Recht darauf hat, an der gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG obligatorisch abzuhaltenden Volksabstimmung über die Ratifizierung des "EU-Reformvertrages" teilzunehmen und ihr Stimmrecht dabei frei auszuüben sowie

3. der Zweit- und Drittantragsteller (Zweit- und Drittbeschwerdeführer) ohne Abhaltung einer Volksabstimmung bei Ratifizierung des "EU-Reformvertrages"

  1. a) keiner Wehrpflicht unterliegen, in eventu
  2. b) im Falle von Einsätzen des Österreichischen Bundesheeres, die auf Grund des EU-Reformvertrages durchzuführen sind, nicht zum Präsenzdienst verpflichtet sind.

    Begründet wurde dieser Antrag unter anderem damit, dass eine Abänderung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Normen, insbesondere des Neutralitätsgesetzes sowie des Art. 9 a B-VG in der durch den "EU-Reformvertrag" beabsichtigten Weise grundsätzlich möglich wäre. In verfassungskonformer Weise könne dies jedoch nur bei Einhaltung des Verfahrens gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG, also bei Abhaltung einer Volksabstimmung erfolgen. Die österreichische Bundesregierung habe den "EU-Reformvertrag" als Regierungsvorlage im Nationalrat eingebracht. Dieser Regierungsvorlage sei jedoch nicht zu entnehmen, dass eine Volksabstimmung durchgeführt wird bzw. werden müsste; dies decke sich auch mit den politischen Diskussionsbeiträgen sämtlicher Mitglieder der Bundesregierung. Ohne eine Volksabstimmung sei jedoch bzw. wäre eine Änderung insbesondere der neutralitätsrechtlich relevanten Verfassungsrechtslage unzulässig. Der volljährigen Erstbeschwerdeführerin stünde das Stimmrecht an einer derartigen Volksabstimmung zu. Bei Ausübung dieses Stimmrechtes hätte die Erstbeschwerdeführerin auch die Interessen des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers, die auf Grund ihrer Minderjährigkeit gegenwärtig noch kein Stimmrecht hätten, gewahrt bzw. zu wahren.

    Mit Schreiben der belangten Behörde vom 21. April 2008 erklärte diese, dass der Antrag mangels Zuständigkeit nicht in weitere Behandlung genommen werden könne.

    Die beschwerdeführenden Parteien haben sich in der Folge bis zur Erhebung der vorliegenden Säumnisbeschwerde nicht weiter geäußert.

    Mit ihrer am 16. Oktober 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde begehren die Beschwerdeführer, der Verwaltungsgerichtshof möge in Stattgebung der Beschwerde in der Sache selbst erkennen und die eingangs angeführten Feststellungen treffen.

    Die Beschwerde erweist sich als unzulässig.

    Die beiden ersten Anträge beziehen sich auf die Feststellung, dass die Genehmigung eines Staatsvertrages nach Art. 50 Abs. 4 B-VG (hier des "EU-Reformvertrages") einer Volksabstimmung bedürfe, sowie darauf, dass das Recht festgestellt werden möge, an der gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG obligatorisch abzuhaltenden Volksabstimmung über die Ratifizierung eines solchen Vertrages teilzunehmen und dabei das Stimmrecht frei auszuüben; diese beiden Begehren stehen in einem untrennbaren inneren Zusammenhang, weil das - nicht weiter spezifizierte - zweite Feststellungsbegehren von der Abhaltung einer Volksabstimmung im Sinne des zuerst gestellten Begehrens abhängig ist.

    Die Anordnung einer Volksabstimmung gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG in Verbindung mit Art. 44 Abs. 3 und Art. 45 und 46 B-VG ist jedoch als Teilakt im Zuge der Genehmigung eines Staatsvertrages kein Akt, hinsichtlich dessen den Rechtsunterworfenen ein Rechtsanspruch eingeräumt wäre. Eine Überprüfung der Setzung oder Unterlassung von Teilakten im Zuge des Gesetzgebungsprozesses bzw. des Verfahrens zur Genehmigung von Staatsverträgen ist nicht unmittelbar, sondern nur inzidenter in einem Verfahren, in dem es zur Anwendung der gesetzten Norm kommt, möglich (vgl. für die Gesetzgebungsakte das hg. Erkenntnis vom 3. September 1997, Zl. 97/01/0522).

    Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate kann erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war (Art. 132 B-VG). Art. 132 B-VG gewährt somit Rechtschutz in den Fällen, in denen jemand einen Rechtsanspruch darauf hat, dass eine Verwaltungsbehörde einen Bescheid erlässt (Mayer, B-VG2, Art. 132 B-VG, I.1., unter Hinweis auf die hg. Beschlüsse vom 28. Juli 1995, Zl. 95/02/0082, und vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/12/0308). Weder Art. 132 B-VG noch § 27 VwGG, der die näheren Voraussetzungen für die Erhebung von Säumnisbeschwerden regelt, umschreiben die Entscheidungspflicht von Verwaltungsbehörden in Verwaltungsverfahren, sondern setzen diese ihrerseits voraus.

    Anträge, die auf die Setzung von verfassungsunmittelbaren Akten der Verwaltung wie die Anordnung der Volksabstimmung (bzw. die Feststellung der rechtlichen Gebotenheit einer solchen) gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG (gleichgültig, ob man diese als Regierungsakte oder Akte sui generis bezeichnet) gerichtet sind, lösen keine Entscheidungspflicht in diesem Sinne aus. Mangels entsprechender verfassungsrechtlicher Anordnung ist nämlich nicht davon auszugehen, dass über Anträge wie dem vorliegenden auf Setzung eines derartigen Regierungsaktes ein Verwaltungsverfahren zu führen wäre (vgl. Jabloner, in: Korinek/Holoubek, B-VG, Art. 132 B-VG, Rz 36, und für die Erstattung eines Dreiervorschlags an den Bundespräsidenten zur Ernennung eines Schulleiters das hg. Erkenntnis vom 19. November 2002, Zl. 2000/12/0278, sowie für die Verleihung des Berufstitels "Oberstudienrat" das hg. Erkenntnis vom 29. November 1982, Slg. Nr. 10.904 A). Insofern liegen auch die Voraussetzungen für die Annahme einer Notwendigkeit der Zurückweisung derartiger Anträge nicht vor, sodass die auf dem Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 14. Dezember 1977, Slg. Nr. 9.458 A, beruhende hg. Rechtsprechung betreffend die Entscheidungspflicht hinsichtlich der Zurückweisung von Anträgen von Parteien eines Verwaltungsverfahrens nicht einschlägig ist (ähnlich zu Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung etwa das hg. Erkenntnis vom 4. September 2003, Slg. Nr. 16.148 A).

    Was den dritten gestellten Antrag auf Feststellung betrifft, so vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass die in § 73 AVG normierte Entscheidungspflicht im Anwendungsbereich der amtswegigen Überweisungspflicht nach § 6 AVG nur die sachlich zuständige Behörde treffe; die sachlich unzuständige Behörde sei nur zu einer Weiterleitung verpflichtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2007, Zl. 2007/05/0003; den hg. Beschluss vom 25. Mai 2007, Zl. 2007/12/0068; sowie den hg. Beschluss vom 25. September 2002, Slg. 15.914 A, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die mit einer Säumnisbeschwerde geltend zu machende Entscheidungspflicht trifft danach nur die sachlich zuständige Behörde (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 2. Dezember 1992, Zl. 92/04/0126).

    Im hier zu entscheidenden Beschwerdefall hatte die belangte Behörde das AVG anzuwenden (vgl. Art. I Abs. 3 EGVG); sie war jedoch zu einer (allenfalls auch zurückweisenden) Entscheidung über das hier gegenständliche dritte Feststellungsbegehren keinesfalls zuständig.

    Der Verwaltungsgerichtshof kommt daher zusammenfassend zur Ansicht, dass eine Säumnis der belangten Behörde aus den dargelegten Erwägungen nicht vorlag.

    Die vorliegende Säumnisbeschwerde war daher in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nicht öffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

    Eine Kostenentscheidung konnte entfallen, da die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift keine Kosten verzeichnet hat.

    Wien, am 27. Februar 2009

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