VwGH 2008/09/0125

VwGH2008/09/012514.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des WF in T, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4910 Ried im Innkreis, Claudistraße 5, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission für Gemeindebeamte beim Amt der oberösterreichischen Landesregierung vom 18. Februar 2008, Geschäftszeichen: IKD(Gem)-221385/30-2008-Si/Gan, betreffend Disziplinarstrafe der Geldstrafe nach dem OÖ Gemeindebedienstetengesetz (weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §91;
GdBedG OÖ 2001 §137 Abs2 Z3;
GdBedG OÖ 2001 §143 Abs1;
GdBedG OÖ 2001 §145 Abs3;
GdBedG OÖ 2001 §154 Abs2;
GdBedG OÖ 2001 §154 Abs9;
GdBedG OÖ 2001 §156 Abs2;
GdBedG OÖ 2001;
EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art7;
VStG §1 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
BDG 1979 §91;
GdBedG OÖ 2001 §137 Abs2 Z3;
GdBedG OÖ 2001 §143 Abs1;
GdBedG OÖ 2001 §145 Abs3;
GdBedG OÖ 2001 §154 Abs2;
GdBedG OÖ 2001 §154 Abs9;
GdBedG OÖ 2001 §156 Abs2;
GdBedG OÖ 2001;
EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art7;
VStG §1 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand bis zu seiner per 31. Dezember 2005 erfolgten Versetzung in den dauernden Ruhestand in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Gemeinde N. (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) und war dort als Amtsleiter tätig.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

"in der Zeit vom 31. August 2005 bis zur Beschlussfassung im Gemeindevorstand der Gemeinde N. am 5. September 2005 in T. im Zusammenhang mit der mit Bescheid vom 5. September 2005, Zl.2005/A, erfolgten Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Erwerbsfähigkeit mit 31. Dezember 2005 durch die Vorbereitung des Amtsvortrages und die Erstellung eines Bescheidentwurfes, insbesondere durch die Formulierung im Spruch des Bescheidentwurfes, wonach die Ruhestandsversetzung wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit erfolgt, der Formulierung in der Begründung des Bescheidentwurfes, wonach im Grunde des amtsärztlichen bzw. fachärztlichen Gutachtens zweifelsfrei aus Sicht des Gemeindevorstandes als Dienstbehörde die Zumutbarkeit nicht mehr gegeben sei und daher die dauernde Erwerbsunfähigkeit von mehr als 70 Prozent als erwiesen anzusehen sei, der Formulierung in der Bescheidentwurfsbegründung, wonach zu Folge der festgestellten dauernden Erwerbsunfähigkeit kein Abschlag bei der in einem eigenen Verfahren festzusetzenden Ruhegenussbemessungsgrundlage zu berechnen sein werde und der Ausführungen im Amtsvortrag, wonach die Einholung weiterer Gutachten bzw. eines Ergänzungsgutachtens des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft G. zur Ermittlung der Erwerbsunfähigkeit nicht notwendig sei, für die Sitzung des Gemeindevorstandes einen nicht der Rechtsordnung entsprechenden, nicht gewissenhaft und der Wahrheitspflicht entsprechenden und im eigenen Interesse parteiisch formulierten Amtsvortrag und Bescheidentwurf erstellt zu haben.

Er hat dadurch schuldhaft gegen die Bestimmung des § 35 Abs.1 Oö. Gemeindebedienstetengesetz 2001, LGBl. Nr. 48 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung LGBl. Nr. 61/2005, verstoßen, der zu Folge der Beamte verpflichtet ist, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch zu besorgen und er somit im Sinne des § 135 Oö. Gemeindebedienstetengesetz 2001, in der oben angeführten, zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung, seine allgemeinen Dienstpflichten verletzt.

Rechtsgrundlagen:

§ 156 Abs.2 des eingangs zitierten Gesetzes in Verbindung mit den §§ 35 Abs. 1 und 135 des oben angeführten zum Tatzeitpunkt geltenden Gesetzes.

Über Amtsleiter i.R. W. OAR. (den Beschwerdeführer) wird auf Basis des oben angeführten Schuldspruches wegen dieser Dienstpflichtverletzung gemäß § 156 Abs. 2 in Verbindung mit § 137 Abs. 2 Z. 3 Oö. Gemeindebedienstetengesetz 2001 in der eingangs zitierten Fassung als Disziplinarstrafe eine Geldstrafe von einem Ruhebezug in der Höhe von 3.678,10 Euro verhängt.

Rechtsgrundlagen:

§ 156 Abs.2 in Verbindung mit § 137 Abs. 2 Z. 3 und § 138 Oö. Gemeindebedienstetengesetz 2001 in der eingangs zitierten Fassung."

Vom Vorwurf, der Beschwerdeführer habe entgegen § 35 Abs. 3 GBG 2001 "in eigener Sache den Amtsvortrag und Bescheidentwurf erstellt und es trotz Vorliegens wichtiger Gründe, nämlich des Umstandes, dass in eigener Sache die Entscheidungsvorbereitung zu treffen war, unterlassen, sich der Ausübung des Amtes zu enthalten und die Vertretung zu veranlassen", war der Beschwerdeführer mit dem insofern rechtskräftigen Bescheid der Behörde erster Instanz vom 25. Juni 2007 gemäß § 156 Abs. 2 GBG freigesprochen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die im vorliegenden Fall interessierenden Bestimmungen des OÖ Gemeindebedienstetengesetzes 2001, LGBl. Nr. 48 idF LGBl. Nr. 13/2006, (GBG 2001) lauten:

"§ 143

Disziplinaroberkommission

(1) Als Rechtsmittelinstanz im Disziplinarverfahren wird beim Amt der Oö. Landesregierung eine Disziplinaroberkommission eingerichtet. Sie besteht aus einem Vorsitzenden und zwei

Mitgliedern aus dem Stand der Landesbeamten und aus zwei

Mitgliedern aus dem Stand der Gemeindebeamten. Mindestens zwei Mitglieder müssen rechtskundig sein. (Anm: LGBl. Nr. 51/2002)

...

§ 145

Disziplinaranwalt

(1) Zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren sind von der Landesregierung für die Dauer der Funktionsperiode der Disziplinarkommission aus dem Stand der rechtskundigen Beamten des Landes, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände Disziplinaranwälte und die erforderliche Anzahl von Stellvertretern zu bestellen. Die Zuständigkeit eines Disziplinaranwaltes kann sich auch auf mehrere Bezirke erstrecken.

(2) Auf den Disziplinaranwalt ist § 144 Abs. 1 bis 3 sowie Abs. 4 Z. 2 bis 4 sinngemäß anzuwenden. (Anm: LGBl. Nr. 13/2006)

(3) Der zuständige Disziplinaranwalt ist vor jeder Beschlussfassung der Disziplinarkommission oder der Disziplinaroberkommission zu hören.

..."

Eine Rechtswidrigkeit erblickt der Beschwerdeführer darin, dass in der Sitzung der belangten Behörde vom 13. Dezember 2007, in welcher der angefochtene Bescheid beschlossen worden sei, auch der Disziplinaranwalt anwesend gewesen sei, wodurch elementare Verfahrensgrundsätze, nämlich die Waffengleichheit, verletzt worden sei. Im verfahrensrechtlicher Hinsicht hält der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid auch deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde bei der Ablehnung der vom Beschwerdeführer begehrten Beweise eine vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen habe.

Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwurfs, dass bei der Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid durch die Disziplinaroberkommission der stellvertretende Disziplinaranwalt zugegen gewesen sei, ist der in den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens befindlichen Niederschrift der Disziplinaroberkommission für Gemeindebeamte beim Amt der OÖ Landesregierung vom 13. Dezember 2007 zu entnehmen, dass tatsächlich bei der am genannten Tag um 9.00 Uhr begonnenen Sitzung nicht nur die Mitglieder der belangten Behörde sowie ein Schriftführer, sondern auch der Disziplinaranwalt-Stellvertreter ORR Mag. Z.B. anwesend gewesen und auch vom Vorsitzenden begrüßt und vorgestellt worden ist. Dem Protokoll ist weiter zu entnehmen, dass der stellvertretende Disziplinaranwalt an der Beratung durch eine Wortmeldung teilgenommen hat. Wenn auch am Ende der gegenständlichen Niederschrift die Ausführung enthalten ist, der Disziplinaranwalt-Stellvertreter "weder an der Beratung und Beschlussfassung teilgenommen" habe, so steht dies mit dem vorstehend dargestellten Geschehen in Widerspruch. Dass sich der Disziplinaranwalt-Stellvertreter vor oder während der Beratung oder vor der Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid entfernt hätte, ist dem angeführten Protokoll jedenfalls nicht zu entnehmen. Das Beschwerdevorbringen, dass der Disziplinaranwalt-Stellvertreter bei der Beratung und Beschlussfassung anwesend gewesen sei, wird auch von der belangten Behörde, die zur Rechtfertigung bloß auf § 145 Abs. 3 OÖ GBG 2001 hinweist, nicht bestritten. Bei dieser Sachlage ist daher davon auszugehen, dass der Disziplinaranwalt-Stellvertreter an der Beratung teilgenommen hat und auch bei der Beschlussfassung anwesend war.

Zwar sieht § 145 Abs. 3 OÖ GBG 2001 vor, dass der zuständige Disziplinaranwalt vor jeder Beschlussfassung der Disziplinarkommission oder der Disziplinaroberkommission zu hören ist. Aus dieser Vorschrift kann jedoch nicht entnommen werden, das Gesetz schriebe die Anwesenheit des Disziplinaranwalts bei der Beratung oder der Beschlussfassung über den Bescheid durch die Disziplinaroberkommission vor. Nach § 154 Abs. 9 OÖ GBG 2001 hat sich die Disziplinarkommission nach Schluss der mündlichen Verhandlung zur Beratung zurückzuziehen. Die Beratungen und Abstimmungen erfolgen in geheimer Sitzung (§ 154 Abs. 2 leg. cit.). Hingegen ist auch für den Bereich des GBG 2001 die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes maßgeblich, dass ein Kollegialorgan als unzuständige Behörde anzusehen ist, wenn es nicht in der nach dem Gesetz vorgeschriebenen Besetzung entscheidet; das trifft dann zu, wenn entweder bei der Entscheidung nicht die vorgeschriebene Zahl von Mitgliedern mitgewirkt hat oder Personen daran beteiligt waren, die als Mitglieder von der Mitwirkung ausgeschlossen waren oder bei denen es sich nicht um Mitglieder handelte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 11. März 1959, Slg. Nr. 3.506, vom 22. Juni 1995, Zl. 93/09/0445, vom 15. April 1998, Zl. 94/09/0305, vom 23. November 2001, Zl. 98/02/0259, und vom 25. Februar 2009, Zl. 2006/03/0071). Aus all diesen Erkenntnissen ergibt sich, dass jedenfalls die Teilnahme einer Partei des Verfahrens an der Beratung und der Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid durch ein Kollegialorgan eine unrichtige Zusammensetzung dieses Kollegialorgans bewirkt und daher zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde führt.

Dem Beschwerdeführer ist auch dahingehend Recht zu geben, dass eine derartige Vorgangsweise mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, näherhin dem in Art. 6 EMRK grundgelegten Recht auf ein faires Verfahren und auf Waffengleichheit, nicht zu vereinbaren ist. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass das vorliegende Disziplinarverfahren als ein Verfahren im Sinne des Art. 6 EMRK zu qualifizieren ist. Mit einer Entscheidung über die disziplinarrechtliche Schuld und Strafe gemäß § 91 ff BDG 1979 wird nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in der Regel eine Entscheidung über eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK getroffen (zur Anwendung des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Disziplinarverfahren der Beamten vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 2006, Zl. 2005/09/0053, vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 29. April 2011, Zl. 2009/09/0132, sowie nunmehr auch mit ausführlichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Dezember 2009, B 1008/07). Der Verfassungsgerichtshof vertritt mit Bezug auf den Bereich des Disziplinarrechts der freien Berufe darüber hinaus die Auffassung, dass es sich dort um Verfahren über eine strafrechtliche Anklage handelt (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Juni 2011, G 2/11).

Einzelne Grundsätze des fairen Verfahrens, die vor allem im Strafverfahren Bedeutung besitzen, gelten angesichts des spezifischen Sanktionscharakters des Disziplinarrechts auch in diesem, so hat etwa der Grundsatz "nulla poena sine lege" auch hier seine Geltung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1997, Zl. 96/09/0149, mwN). Der Grundsatz der Waffengleichheit gilt als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK auch in Verfahren betreffend zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. etwa das Urteil des EGMR vom 14. Oktober 2010 im Fall Kugler gegen Österreich, Appl. Nr. 65631/01, par. 57 ff). Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Grundsatz auch auf das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Disziplinarverfahren anzuwenden ist und dass die Teilnahme des Disziplinaranwaltes an der Beratung und seine Anwesenheit bei der Beschlussfassung über den angefochtenen Bescheid diesem Grundsatz widerspricht. § 145 Abs. 3 OÖ GBG 2001 ist im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK vielmehr dahingehend auszulegen, dass vor Erlassung des Bescheides der Disziplinarkommission oder Disziplinaroberkommission nicht nur der Disziplinaranwalt sondern gleichermaßen auch der Beschuldigte - gegebenenfalls in einer Verhandlung - zu hören sind.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. Oktober 2011

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