VwGH 2008/06/0188

VwGH2008/06/018824.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des Dr. Z in Q, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 3, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Q vom 15. Juli 2008, Zl. 06/03 2008/1799, betreffend eine Weisung gemäß § 23 RAO (weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), zu Recht erkannt:

Normen

RAO 1868 §10 Abs1;
RAO 1868 §10 Abs2;
RAO 1868 §23 Abs2;
VwRallg;
RAO 1868 §10 Abs1;
RAO 1868 §10 Abs2;
RAO 1868 §23 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Rechtsanwaltskammer Q Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,00 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt (RA) in Q. Er vertrat Herrn X in verschiedenen familienrechtlichen Verfahren gegen dessen Ehefrau (Frau X), die ihrerseits von RA Dr. Y vertreten war. Nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe der Eheleute X vertrat der Beschwerdeführer Herrn X weiterhin in einem noch anhängigen Unterhaltsverfahren zwischen den vormaligen Eheleuten. Das Vertretungsverhältnis zwischen Frau X und RA Dr. Y wurde beendet; Frau X macht gegen ihre frühere Vertreterin, RA Dr. Y, gerichtlich Schadenersatzansprüche geltend, weil Letztere die Frist für eine Antragstellung nach § 95 EheG (Frist zur Einbringung eines Antrages auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse) versäumt habe. In diesem Schadenersatzprozess wurde RA Dr. Y (über ihren Wunsch und, wie unbestritten vorgebracht, mit Zustimmung von Herrn X) vom Beschwerdeführer vertreten, der das Klagebegehren bestritt und auch für seine Mandantin, Dr. Y, Gegenforderungen aus dem Titel von Honoraransprüchen aus der Vertretung von Frau X in verschiedenen gerichtlichen Verfahren einwendete.

Über Anzeige (Beschwerde) von Frau X erteilte die erstinstanzliche Behörde (zuständige Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Q) nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens dem Beschwerdeführer mit Erledigung vom 3. April 2008 die Weisung, die ihm sowohl von RA Dr. Y als auch von Herrn X erteilten Mandate zurückzulegen, weil hier eine so genannte unechte Doppelvertretung vorliege (wurde näher ausgeführt).

Der Beschwerdeführer kam dieser Weisung nach und wies die Auflösung dieser Vollmachtsverhältnisse der Behörde am 9. April 2008 nach.

Der Beschwerdeführer erhob allerdings Vorstellung gegen diese Weisung, in welcher er zusammengefasst (wie schon im erstinstanzlichen Verfahren) vorbrachte, er habe die Vertretung von Dr. Y mit Zustimmung seines Mandanten Herrn X übernommen; Frau X habe er niemals vertreten. Ein Bruch einer Verschwiegenheitspflicht liege keinesfalls vor, auf Grund der Umstände des Falles wäre es auch gar nicht notwendig, auf vertrauliche Informationen in Verhältnis dieser Streitteile zurückzugreifen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge gegeben. Zur Begründung heißt es zusammengefasst, der Rechtsanwalt habe nach § 10 RAO die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten habe. Eine unzulässige Doppelvertretung nach § 10 RAO liege nicht nur im Fall von bereits anhängigen Gerichtsverfahren vor, sondern auch dann, wenn aus einer Beratungstätigkeit der Anschein eines Frontwechsels entstehe. Nach ständiger Judikatur entlaste auch das Einverständnis des Klienten selbst dann nicht, wenn eine Schädigung oder Gefährdung materieller Interessen des Klienten nicht zu besorgen wäre, weil das Verbot der Doppelvertretung eine Vorschrift des öffentlichen Standesrechtes sei, von der die Partei den Anwalt nicht befreien könne. Nach gefestigter Auffassung sei bereits der Anschein einer unzulässigen Doppelvertretung disziplinär. Das Tatbestandsmerkmal "in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache" werde in der Rechtsprechung weit verstanden. So genüge etwa die gleichzeitige außergerichtliche Vertretungstätigkeit für Personen, die sich zumindest in einem der anzustrengenden Verfahren als Gegner gegenüberstünden (beispielsweise Beratung des Ehemannes zur Vorbereitung einer einvernehmlichen Ehescheidung und gleichzeitige Vertretung der Ehegattin zur Durchsetzung einer Schadenersatzforderung gegen Dritte). Aus dem ergebe sich, dass RA Dr. Y zwar durchaus berechtigt gewesen sei, zur Abwehr der gegen sie erhobenen Ansprüche Tatsachen zu offenbaren und Handlungen zu setzen, die dem Bereich der Verschwiegenheitsverpflichtung zuzuordnen wären, dies aber nur in dem zur Abwehr der Ansprüche unbedingt erforderlichen Umfang. Es wäre ihr daher jederzeit möglich gewesen, einen anderen Rechtsanwalt als den Beschwerdeführer mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Unabhängig davon, ob in der Annahme des Mandats durch den Beschwerdeführer gegenüber seinem eigenen (ehemaligen) Klienten (gemeint ist Herr X) die Gefahr einer Interessenkollision bestünde, hätte der Beschwerdeführer eine Übernahme der Vertretung von Dr. Y deshalb ablehnen müssen, weil er hätte erkennen können, dass damit bereits der Anschein einer Doppelvertretung erzeugt werde. Es komme daher, wie ausgeführt, nicht darauf an, ob in der Wahrnehmung der Interessen von Dr. Y konkret eine Interessensgefährdung ihrer ehemaligen Klientin, Frau X, bestanden hätte und von wem die erforderlichen "Interessen" (gemeint wohl: Informationen) erteilt worden seien. Die erstinstanzliche Weisung, das Vertretungsverhältnis zu Dr. Y zu lösen, sei daher rechtens gewesen. Dies führe aber auch dazu, dass ebenfalls die Weisung, das Vertretungsverhältnis zu Herrn X zu lösen, zutreffend gewesen sei. Denn gerade auch insoweit bestehe der Anschein einer Doppelvertretung und Interessenkollision, unabhängig davon, ob tatsächlich konkret eine Gefährdung der Interessen durch die konkret geltend gemachten Ansprüche, insbesondere im nach wie vor anhängigen Unterhaltsverfahren, zu besorgen sei. Denn gerade die ehemalige Klientin von Dr. Y solle in ihrem Vertrauen darauf geschützt werden, dass die Tatsachen, die sie ihrer ehemaligen Rechtsanwältin im Zuge der Beauftragung und Vertretung anvertraut habe, nicht über Umwege dem Prozessgegner offenbart würden.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 30. September 2008, B 1532/08-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall insbesondere maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 6893/2008, lauten:

"§ 9. (1) ...

(2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Er hat in gerichtlichen und sonstigen behördlichen Verfahren nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften das Recht auf diese Verschwiegenheit.

...

§ 10. (1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Ertheilung eines Rathes abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt thätig war. Ebenso darf er nicht beiden Theilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rath ertheilen.

(2) Der Rechtsanwalt ist überhaupt verpflichtet, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren.

...

§ 23. (1) Der Wirkungsbereich der Rechtsanwaltskammer erstreckt sich auf das Bundesland, für das sie errichtet wurde, sowie auf alle Rechtsanwälte, die in die Liste dieser Rechtsanwaltkammer eingetragen sind. Die Rechtsanwaltskammer besorgt ihre Geschäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen teils mittelbar durch ihren Ausschuss.

(2) Die Rechtsanwaltskammer hat innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere auch die Wahrung der Ehre, des Ansehens, der Rechte und der Unabhängigkeit sowie die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes.

..."

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2008, Zl. 2006/06/0009, mit einer solchen Weisung gemäß § 23 RAO (ein Mandat wegen angenommener uneigentlicher Doppelvertretung zurückzulegen) befasst, und hat zur Frage der Doppelvertretung ausgeführt:

"Die Rechtsprechung im Standesrecht der Rechtsanwälte unterscheidet zwischen der echten Doppelvertretung nach § 10 RAO, worunter einerseits die eigentliche Doppelvertretung fällt, bei welcher der Anwalt beide Teile im nämlichen Rechtsstreit vertritt oder ihnen auch nur einen Rat erteilt (§ 10 Abs. 1 zweiter Satz RAO), sowie die uneigentliche Doppelvertretung, bei der ein Anwalt (u.a.) eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten (oder beraten) hatte (§ 10 Abs. 1 erster Satz RAO). Neben diesen Fällen der echten oder materiellen Doppelvertretung wegen offensichtlicher Interessenkollision erblickt die Oberste Berufungskommission und Disziplinarkommission den Tatbestand der formellen Doppelvertretung darin, dass derselbe Anwalt in zwei gleichzeitig anhängigen Rechtssachen einmal als Vertreter der einen Partei, das andere Mal als Vertreter ihres Prozessgegners, insbesondere vor dem selben Gericht, auftritt, weil durch dieses gleichzeitige Aufscheinen in der Öffentlichkeit das eine Mal für und das andere Mal gegen ein und dieselbe Person das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung erschüttert wird, es überdies zu einer Interessenkollision kommen kann und ein solches Verhalten daher geeignet ist, die Ehre und das Ansehen des Standes zu beeinträchtigen (vgl. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. Mai 1995, 10 Bkd1/95, und das hg. Erkenntnis vom 27. März 2000, Zl. 2000/10/0019, m.w.N.).

Aus der Praxis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) geht hervor, dass zur Erfüllung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 RAO die Vertretung oder die Erteilung eines Rates der bzw. an die Gegenpartei zumindest in einer zusammenhängenden Sache gegeben sein oder dazu ein zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. Es wird für maßgeblich erachtet, ob zumindest eine zusammenhängende Sache vorliegt (vgl. etwa die in AnwBl. 1993, 100; 1998, 511 und 697; 2001, 214; 2007, 369, und 2008, 31, dargestellte Rechtsprechung der OBDK)."

An diesen Grundsätzen ist weiterhin festzuhalten.

Richtig ist freilich, dass der Beschwerdeführer nicht auch Frau X vertrat, sich vielmehr seine Vertretungstätigkeit im Namen seines Mandanten, Herrn X, und Dr. Y sozusagen "gegen" Frau X richtete, und es mag auch sein, dass Herr X damit einverstanden war, dass der Beschwerdeführer auch Dr. Y vertrete, wie auch, dass auf Grund dieser Vertretung von Dr. Y keinerlei Informationen an den Beschwerdeführer flossen, die der Verschwiegenheitspflicht unterlagen. Darauf kommt es aber im Beschwerdefall, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, nicht entscheidend an:

Gemäß dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren und den vorgelegten Unterlagen macht Frau X im fraglichen Schadenersatzprozess gegen Dr. Y geltend, diese habe die Frist zur Einbringung eines Aufteilungsantrages (§§ 81 ff EheG) versäumt, und begehrt von ihr den Ersatz dadurch entstandener vermögensrechtlicher Nachteile. Dem hält Dr. Y, vertreten durch den Beschwerdeführer, entgegen, es sei kein vermögensrechtlicher Nachteil entstanden, die Vorstellungen von Frau X seien weit überzogen, die von ihr angenommenen Werte weitaus überhöht, auch gäbe es im Hinblick auf die Ausnahmen des § 82 Abs. 1 EheG kaum etwas aufzuteilen (wurde im Einzelnen näher ausgeführt), und es wäre die Kostenbelastung für Frau X durch das Aufteilungsverfahren höher gewesen als der zu erzielende Nutzen. Compensando wurden dem Begehren von Frau X Gegenforderungen aus Honoraransprüchen von Dr. Y aus verschiedenen Verfahren entgegengesetzt, und zwar betreffend Scheidung, Unterhalt, § 97 ABGB (Wegweisung) und in einer Strafsache in Höhe von (abzüglich von Akonti von insgesamt EUR 17.000,--) restlichen EUR 30.419,83 (Anmerkung: in den Akten ist auch die Rede von einer Wiederklage möglicherweise desselben Inhaltes).

Es mag, wie bereits gesagt, durchaus der Fall sein, dass der Beschwerdeführer von Dr. Y keine Informationen erhalten hat, die im Hinblick auf das frühere Vertretungsverhältnis zu Frau X der Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Es mag auch nicht jedenfalls ausgeschlossen sein, dass im noch anhängigen Unterhaltsverfahren einerseits sowie im Schadenersatzprozess (samt Gegenforderung aus dem Titel der Honoraransprüche) andererseits auch künftighin auf Grund einer besonderen Lage der Fälle dem Beschwerdeführer seitens Dr. Y keine Informationen zuflössen, die im Hinblick auf das frühere Vertretungsverhältnis zu Frau X einerseits und den Umstand, dass der Beschwerdeführer Herrn X vertritt (abzustellen ist auf die Beurteilungsgrundlage vor Erteilung des erstinstanzlichen Auftrages), der Verschwiegenheitsverpflichtung unterlägen. Vor allem aber kommt es auf den äußeren Anschein an, nämlich wie sich die Situation aus der Sicht der rechtssuchenden Bevölkerung darstellt - auf das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung ist entscheidend abzustellen - (siehe die zuvor wiedergegebenen Ausführungen aus dem hg. Erkenntnis Zl. 2006/06/0009).

Entscheidend ist aber im Beschwerdefall Folgendes: Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer (bis zum erstinstanzlichen Auftrag) Herrn X vertrat und dann auch Dr. Y, die frühere Vertreterin von Frau X (somit in der Sphäre der Gegenpartei tätig wurde), ist eine unzulässige (uneigentliche) Doppelvertretung im Beschwerdefall zu bejahen, sodass die Aufträge an den Beschwerdeführer (ungeachtet des Umstandes, dass er beachtliche Gründe für seinen Standpunkt ins Treffen geführt hatte) zu Recht ergangen sind.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008 im Rahmen des Begehrens. Die Gegenschrift, in welcher die früheren Sätze gemäß der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003 angesprochen werden, ist zwar mit16. Dezember 2008 datiert, wurde aber erst im Jänner 2009 eingebracht (am 9. Jänner 2009 zur Post gegeben), weshalb die Übergangsregel des § 3 Abs. 2 der VO BGBl. II Nr. 455/2008 nicht Platz greift.

Wien, am 24. Februar 2009

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