Normen
StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Bescheid über die Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Beschwerdeführerin vom 22. April 2004 gemäß § 20 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (StbG), widerrufen (erster Spruchabschnitt) und der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG abgewiesen (zweiter Spruchabschnitt).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (StbG), ist die Verleihung der Staatsbürgerschaft einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn er nicht staatenlos ist (Z. 1), weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden (Z. 2) und ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte (Z. 3).
Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist die Zusicherung zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
Gemäß § 20 Abs. 3 StbG ist die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, zu verleihen, sobald der Fremde aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist (Z. 1) oder nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren (Z. 2).
Gemäß § 64a Abs. 4 StbG sind Verfahren auf Grund eines vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 37/2006 erlassenen Zusicherungsbescheides nach § 20 Abs. 1 nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der vor der durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 37/2006 geänderten Fassung zu Ende zu führen.
2. Mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G 154/10, kundgemacht am 30. November 2011 im BGBl. I Nr. 111/2011, hat der Verfassungsgerichtshof § 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006 als verfassungswidrig aufgehoben (I.). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 2012 in Kraft tritt (II.), die Vorschrift auch auf die am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist (III.) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (IV.).
3. Dem auf die aufgehobene Bestimmung gestützten Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaft mangelt es demnach an der gesetzlichen Grundlage, sodass sich der angefochtene Bescheid in diesem Umfang (erster Spruchabschnitt) als inhaltlich rechtswidrig erweist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2007/01/0226).
4. Der Verfassungsgerichtshof hat in den Erwägungsgründen des zitierten Erkenntnisses vom 29. September 2011 ausgeführt, "dass § 20 Abs. 3 StbG, wonach die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, zu verleihen ist, sobald der Fremde aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren, nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Voraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt" (Rz. 30 und 31).
Geht man aber mit dem Verfassungsgerichtshof davon aus, dass es der Behörde nach der bereinigten Rechtslage verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Verleihungsvoraussetzungen abzusprechen, erweist sich der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Abweisung des Verleihungsantrages der Beschwerdeführerin (zweiter Spruchabschnitt) als inhaltlich rechtswidrig.
Angesichts der Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG wird die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Zusicherungsbescheid durch eine Abweisung des Verleihungsansuchens auch ohne ausdrücklichen Widerruf gegenstandslos werden kann (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. April 2009, Zl. 2007/01/0260, mwN), nicht aufrecht erhalten.
5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
7. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren auf Grund der ausgedehnten Anlassfallwirkung gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG die bereinigte Rechtslage (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2001, Zl. 2000/03/0246, und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 2001, VfSlg. 16.237), jedoch (im Hinblick auf den nach Aufhebung wiederum vorliegenden Zusicherungsbescheid) gemäß § 64a Abs. 4 StbG in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 anzuwenden haben.
Wien, am 14. Dezember 2011
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