Normen
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste am 17. August 2005 illegal nach Österreich ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag. Dieser Asylantrag wurde im Instanzenzug abgewiesen; unter einem wurde der Mitbeteiligte aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 2007 abgelehnt. Im Hinblick auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen des Mitbeteiligten war gegen ihn mit Bescheid vom 31. Mai 2007 auch ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 2007 ordnete die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an, die nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 7. November 2007 vollzogen wurde. Der Mitbeteiligte wurde aus der Schubhaft am 10. November 2007 infolge seiner Überstellung in ein Krankenhaus wieder entlassen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. November 2007 gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Oberösterreich (die belangte Behörde) einer vom Mitbeteiligten am 9. November 2007 erhobenen Schubhaftbeschwerde Folge und stellte gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG seine Anhaltung als rechtswidrig fest.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde führte zur Begründung ihres Bescheides - unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, und vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, - aus, das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, von strafgerichtlichen Verurteilungen und von fehlender Ausreisewilligkeit reiche nicht für die Tragfähigkeit der Prognose, der Fremde werde sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen. Vielmehr müsse von der Behörde bei einer darauf abzielenden Behauptung des Fremden auch dessen soziale Verankerung in Österreich geprüft werden. In diesem Zusammenhang habe der Mitbeteiligte vorgebracht, bei einer ihn unterstützenden Bekannten in Linz wohnen zu dürfen. Trotzdem habe die Bundespolizeidirektion Linz die Frage der sozialen Integration "de facto" nicht geprüft, sondern sie habe sich diesbezüglich ausschließlich auf die zwei strafgerichtlichen Verurteilungen des Mitbeteiligten bezogen und allein daraus das Nichtbestehen jeglicher sozialer Integration abgeleitet. Das könne jedoch "ebenso wie die übrige Faktenlage (illegale Einreise, fehlende Dokumente, Mittellosigkeit)" eine Schubhaftverhängung nicht rechtfertigen, weil der Fremde einen Rechtsanspruch auf die vorhergehende Anwendung gelinderer Mittel habe. Daher hätte - so die belangte Behörde abschließend - in einem ersten Schritt die Vorschreibung gelinderer Mittel, insbesondere der periodischen Meldung gemäß § 77 Abs. 3 FPG, zur Anwendung gebracht werden müssen. Erst wenn sich diese "de facto als unzweckmäßig herausgestellt" hätten, hätte allenfalls in einem nächsten Schritt zur Verhängung der Schubhaft übergegangen werden können.
Dem hält die Amtsbeschwerde zunächst entgegen, bei § 77 Abs. 1 FPG, wonach die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen "kann", wenn sie Grund zu der Annahme habe, dass der Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könne, handle es sich um eine Ermessensbestimmung. Weiters stimme der Vorwurf der belangten Behörde nicht, die Bundespolizeidirektion Linz habe die soziale Integration des Mitbeteiligten nicht geprüft. Vielmehr habe sie ihren Bescheid auch damit begründet, dass der Mitbeteiligte in Österreich weder über einen Wohnsitz verfüge noch einer Beschäftigung nachgehe. Die Bundespolizeidirektion Linz sei auch auf den Aufenthalt der Ehegattin des Mitbeteiligten in Österreich eingegangen, die nur über eine Obdachlosenmeldung in Wien verfügt habe. Außerdem sei darauf hingewiesen worden, dass der Mitbeteiligte eindeutig kundgetan habe, er werde aus Österreich nicht freiwillig ausreisen. Daraus ergebe sich sehr deutlich, dass die Bundespolizeidirektion Linz die soziale Integration nicht bloß aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen des Mitbeteiligten beurteilt, sondern diese lediglich zur Untermauerung herangezogen habe. In den weiteren Ausführungen weist die Amtsbeschwerde noch darauf hin, der Mitbeteiligte habe die niederschriftliche Vernehmung am 7. November 2007, bei der er keine Ausführungen dahingehend gemacht habe, dass er bei einer Bekannten in Linz wohnen könne, ohne Angabe von Gründen abgebrochen und den Raum verlassen. Deshalb könne der Bundespolizeidirektion Linz in Bezug auf die Bemühungen, eine eventuell vorhandene soziale Integration des Mitbeteiligten lückenlos zu erheben, kein Fehlverhalten vorgeworfen werden.
Mit diesen Ausführungen ist die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion im Recht:
Die Schubhaft wurde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 erster Satz FPG zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet. Die Zulässigkeit dieser Maßnahme verlangt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder es/sie zumindest wesentlich erschweren. Fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein - insoweit ist der belangten Behörde beizupflichten - erfüllt dieses Erfordernis noch nicht. Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen, sondern der Sicherungsbedarf muss in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, mwN). Für die Bejahung eines Sicherungsbedarfs kommen daher im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0162, mwN). Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0311; siehe daran anschließend auch die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0091, und Zl. 2006/21/0051).
Entgegen der Meinung der belangten Behörde orientiert sich die Begründung des im vorliegenden Fall ergangenen, die Schubhaft anordnenden Bescheides der Bundespolizeidirektion Linz, der die Grundlage für die gegenständliche Anhaltung im Zeitraum vom 7. bis zum 10. November 2007 bildete, an den dargestellten, von der Judikatur entwickelten Kriterien, indem vor allem auf den fehlenden festen Wohnsitz und die mangelnde berufliche Bindung des Mitbeteiligten abgestellt wurde. Zu Recht durfte daraus gefolgert werden, der sich in Strafhaft befindliche Mitbeteiligte könnte sich nach seiner Entlassung dem fremdenpolizeilichen Zugriff entziehen und dadurch seine in Durchsetzung der gegen ihn bestehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigte Abschiebung zumindest wesentlich erschweren.
Anders als in dem Fall, der dem von der belangten Behörde ins Treffen geführten Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, zugrunde lag, hat sich die Bundespolizeidirektion Linz zur Begründung des Sicherungserfordernisses somit nicht nur auf das strafrechtliche Verhalten des Mitbeteiligten bezogen. Aber auch mit jener Konstellation, die der Verwaltungsgerichtshof in dem von der belangten Behörde ebenfalls zitierten Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, zu beurteilen hatte, ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar, hatte der dortige Beschwerdeführer doch ins Treffen geführt, dass seine Ehefrau und drei Söhne in Österreich leben würden, seine Ehefrau und der jüngste Sohn bereits die österreichische Staatsangehörigkeit hätten und dass er bis zur rechtskräftigen fremdenpolizeilichen Erledigung bei seiner Familie Wohnsitz nehmen wolle. Hier fehlte für die Bundespolizeidirektion Linz aber jeglicher Anhaltspunkt für das Bestehen eines festen Wohnsitzes und für ausreichende familiäre Bindungen des Mitbeteiligten, die der Gefahr eines Untertauchens hätten entgegenstehen können, war doch die Ehefrau des Mitbeteiligten, deren Asylverfahren nach den von der Schubhaftbeschwerde unbekämpft gebliebenen Feststellungen ebenfalls rechtskräftig negativ beendet ist, nur als "obdachlos" gemeldet.
Zu Recht wies die Bundespolizeidirektion Linz schon in ihrer Gegenschrift an die belangte Behörde darauf hin, dass sie von einer Unterkunftsmöglichkeit für den Mitbeteiligten bei einer Bekannten in Linz erst mit der Schubhaftbeschwerde in Kenntnis gesetzt worden sei und dass der Mitbeteiligte diese Wohnmöglichkeit bei seinen Vernehmungen - und zwar sowohl am 7. November 2007 als auch am 19. April 2007 - nicht erwähnt, sondern nur eine solche bei seiner Ehefrau behauptet habe. Entgegen der Meinung der belangten Behörde lässt sich daher die Rechtswidrigkeit des die Schubhaft anordnenden Bescheides und der darauf gegründeten Anhaltung nicht damit begründen, dass die Bundespolizeidirektion Linz dieses Vorbringen zum Bestehen einer "sozialen Verankerung" nicht geprüft (laut Gegenschrift: "ignoriert") habe.
In der vorliegenden Konstellation musste ein solcher - wie die Amtsbeschwerde formuliert - "lapidarer Hinweis auf die Möglichkeit der Unterkunftnahme bei einer Person" aber auch nicht ohne Weiteres zu einer sofortigen Enthaftung des Mitbeteiligten, die ja dann aus anderen Gründen ohnehin am nächsten Tag erfolgte, führen. Soweit in der Gegenschrift die Auffassung vertreten wird, die Behörde hätte trotz des Fehlens eines Vorbringens des Mitbeteiligten zum Bestehen von sozialen Bindungen in Österreich diesbezüglich amtswegige Ermittlungen vornehmen müssen, verkennt sie, dass das Bestehen einer solchen Pflicht entsprechende aktenkundige Anhaltspunkte vorausgesetzt hätte. Bestanden aber keine ausreichend konkreten Hinweise auf eine dauerhafte Wohnmöglichkeit des Mitbeteiligten nach seiner Entlassung aus der Strafhaft und verweigerte der Mitbeteiligte bei der Vernehmung seine weitere Mitwirkung, so hatte er die Unkenntnis der Behörde von Umständen, die allenfalls gegen die Schubhaftverhängung hätten sprechen können, selbst zu verantworten. Demnach ist auch eine Verletzung von Ermittlungspflichten durch die Bundespolizeidirektion Linz im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.
Bei der hier gegebenen Sachlage durfte bei der Prüfung des Sicherungsbedarfs aber auch die zweimalige Verurteilung des Mitbeteiligten wegen Vermögensdelikten in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit nicht auszuschließenden Wiederholungsgefahr, die sich auch in dem erlassenen Aufenthaltsverbot manifestiert, von der Bundespolizeidirektion Linz einbezogen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar schon wiederholt judiziert, die Schubhaft könne keinesfalls dazu dienen, den Fremden von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0446; siehe auch das noch zu § 61 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene hg Erkenntnis vom 28. März 2006, Zl. 2004/21/0039), weil die Annahme, die Schubhaft sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten, nach dem Gesetz keinen tauglichen Schubhaftzweck darstellt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0052, und vom 31. August 2006, Zl. 2006/21/0087). Daran ist festzuhalten. Der Verurteilung eines Fremden kann aber im Rahmen der bereits angesprochenen Verhältnismäßigkeitsprüfung insofern Bedeutung zukommen, als eine erhebliche Delinquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner (baldigen) Abschiebung - in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten - maßgeblich vergrößern kann.
Der amtsbeschwerdeführenden Sicherheitsdirektion ist letztlich auch darin beizupflichten, dass die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel im Sinn des § 77 Abs. 1 FPG eine Ermessensentscheidung ist (so schon das hg. Erkenntnis vom 6. November 2002, Zl. 2001/02/0278, mwN, zum inhaltsgleichen § 66 Abs. 1 Fremdengesetz 1997). Es ist aber darauf hinzuweisen, dass auch die Anwendung gelinderer Mittel das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraussetzt (vgl. das Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Wären die Ausführungen der belangte Behörde - eine solche Deutung scheint nicht ausgeschlossen - dahin zu verstehen, dass die Anwendung gelinderer Mittel trotz des ihrer Auffassung nach (wegen einer ausreichenden sozialen Integration) nicht gegebenen Sicherungsbedarfs in Betracht komme, so entspräche dies nicht der Rechtslage.
Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den vorgenannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 17. März 2009
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