Normen
62005CJ0004 Güzeli VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
62005CJ0004 Güzeli VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein bis zum 4. Dezember 2011 befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Behörde erster Instanz das Aufenthaltsverbot auf § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 9 FPG mit der Begründung gestützt habe, dass der Beschwerdeführer am 15. April 2004 mit einer österreichischen Staatsangehörigen eine sogenannte Scheinehe geschlossen hätte. Die belangte Behörde könne jedoch das Eingehen einer Scheinehe "nicht einwandfrei" feststellen. Der (erstmals) am 15. Jänner 2004 eingereiste Beschwerdeführer habe am 19. Februar 2004 einen Asylantrag eingebracht und am 15. April 2004 die Ehe geschlossen. Er habe daraufhin seinen Asylantrag zurückgezogen und eine Niederlassungsbewilligung erhalten. Die Ehe sei mit Beschluss vom 4. Mai 2007 gemäß § 55a Ehegesetz geschieden worden.
Der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom 27. September 2006 wegen gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 148 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Demnach habe er in näher genannten Fällen Bedienstete von Versandhäusern zur Lieferung von Waren verleitet. Durch diese Verurteilung sei der "Sondertatbestand" des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin eine Gefahr für fremdes Vermögen bilde, zumal die strafbare Handlung gewerbsmäßig verübt worden sei. Der Beschwerdeführer sei (nach einer ersten Abschiebung am 14. April 2005 auf Grund eines früheren Aufenthaltsverbotes) am 27. Juli 2005 rechtmäßig (wieder) eingereist und halte sich seither rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Sein am 23. Mai 2006 geborener Sohn sei bei seiner geschiedenen Frau, zu der er seit Oktober 2006 keinen Kontakt mehr habe und er leiste auch keinen Unterhalt. Der Beschwerdeführer sei die überwiegende Zeit seines Aufenthaltes in Österreich einer Beschäftigung nachgegangen und stehe auch derzeit in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Demnach sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, welches jedoch zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter zulässig und dringend geboten sei.
Letztlich sah sich die belangte Behörde außer Stande, das ihr eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers auszuüben.
Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 10. Oktober 2007, B 1330/07-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Entgegen der Beschwerdeansicht kann sich der Beschwerdeführer nicht auf den Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) berufen. In Frage käme eine Berechtigung aus dessen Art. 6 Abs. 1. Dieser lautet:
"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis."
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er im Bundesgebiet seit 2. August 2004 unselbständig erwerbstätig gewesen sei und zwar vom 2. August 2004 bis 21. November 2004, vom 6. Dezember 2004 bis 16. Februar 2005, vom 4. April 2005 bis 5. April 2005, vom 22. August 2005 bis 12. Oktober 2005, vom 2. November 2005 bis 13. Februar 2006, und vom 3. August 2006 bis zur erneuten Inschubhaftnahme am 13. Juli 2007, jeweils bei verschiedenen Arbeitgebern. Demnach war der Beschwerdeführer bei keinem Arbeitgeber mehr als ein Jahr im Sinn des Art. 6 Abs. 1 erster Fall ordnungsgemäß beschäftigt. Das Recht, ohne Verlust der assoziationsrechtlichen Ansprüche den Arbeitgeber freiwillig zu wechseln, entsteht jedoch erst nach einer dreijährigen Beschäftigungszeit (zweiter Fall), weshalb bei einem Wechsel des Arbeitgebers die einjährige Anwartschaftsdauer von neuem zu laufen beginnt (Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (2005), 72 unter Hinweis auf Rechtsprechung des EuGH). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EuGH vom 26. Oktober 2006, Rs. C-4/05 , "Güzeli", verweist, unterliegt er einem Missverständnis. In dem genannten Urteil hat nämlich der EuGH geprüft, ob dem türkischen Staatsangehörigen deshalb Rechte aus dem ARB zukommen, weil er zuletzt bereits mehr als ein Jahr bei einem zweiten Arbeitgeber beschäftigt war. Er hat aber auch bekräftigt, dass sich ein türkischer Arbeitnehmer (im Grundsätzlichen) nicht auf den 1. Fall des Art. 6 Abs. 1 ARB berufen könne, wenn er eine Beschäftigung bei einem zweiten Arbeitgeber ausübt (Rnr. 34). Demnach ist den Beschwerdeausführungen zum ARB und daraus abgeleitet zum Gemeinschaftsrecht der Boden entzogen und es kann auch die Zuständigkeit der belangten Behörde nach § 9 Abs. 1 Z 2 FPG nicht in Zweifel gezogen werden.
Dennoch ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG hat nämlich nach § 60 Abs. 2 Z 1 (insbesondere) zu gelten, wenn ein Fremder
"von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist".
Der dritte Fall des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG ist somit nur dann erfüllt, wenn eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verhängt wurde. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von (genau) sechs Monaten verurteilt. Die belangte Behörde irrte somit, wenn sie den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 (dritter Fall) FPG als erfüllt angesehen und darauf eine Gefährlichkeitsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG erstellt hat. Es kann zwar ein Aufenthaltsverbot auch nur auf § 60 Abs. 1 FPG ohne Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 60 Abs. 2 FPG gegründet werden. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde jedoch das Aufenthaltsverbot ausdrücklich auf den verfehlt als verwirklicht angenommenen Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG gestützt hat, wäre es in der vorliegenden Konstellation auch nicht zulässig gewesen, das Aufenthaltsverbot lediglich mit § 60 Abs. 1 FPG zu begründen (vgl. das zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene und Beispielsfälle aufzeigende hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2004/21/0248, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Der angefochtene Bescheid war somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 7. Februar 2008
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