VwGH 2007/18/0765

VwGH2007/18/076526.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des B O in W, geboren am 24. September 1977, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. September 2007, Zl. E1/320780/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art6;
EMRK Art8 Abs2;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art6;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 6. September 2007 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 12. Juli 1999 illegal nach Österreich eingereist und habe am 15. Juli 1999 einen Asylantrag gestellt, der in zweiter Instanz - rechtskräftig seit 9. November 2006 - abgewiesen worden sei. Einer dagegen gerichteten Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof sei kein Erfolg beschieden gewesen.

Der Beschwerdeführer stehe seit 16. Oktober 2000 auf Grund einer ihm erteilten Arbeitserlaubnis in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis und habe am 19. Februar 2007 die wenige Monate zuvor - mit ihrem Kind - ebenfalls illegal eingereiste türkische Staatsbürgerin N P. geheiratet.

Der Beschwerdeführer halte sich somit seit vielen Monaten unrechtmäßig in Österreich auf. Seine Ehefrau sowie das gemeinsame Kind hielten sich nur auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz erlaubterweise hier auf.

Unter Hinweis auf die §§ 53 Abs. 1 und 66 Abs. 1 FPG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer falle nicht unter den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei, weil die geforderte "Ordnungsmäßigkeit" einer Beschäftigung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine "gesicherte und nicht nur vorläufige Position" des türkischen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechtes voraussetze. Da aber bei einem Asylwerber, wie es der Beschwerdeführer zwischen 1999 und Ende 2006 gewesen sei, eine gesicherte aufenthaltsrechtliche Position allein vom positiven Ausgang des Asylverfahrens abhängig gewesen sei, könne bei ihm nicht von einer "ordnungsgemäßen" Beschäftigung im Sinne des ARB 1/80 gesprochen werden.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet und habe ein minderjähriges Kind. Frau und Kind lebten derzeit als Asylwerber in Österreich.

Der Beschwerdeführer sei keine acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen. Er stehe in einem Beschäftigungsverhältnis, wobei die derzeitige Arbeitserlaubnis höchstwahrscheinlich nicht mehr verlängert werden dürfe und könne. Es sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt vom Inland aus nicht legitimieren könne.

Angesichts des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und der familiären Bindungen müsse von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Diesbezüglich wirke aber wesentlich interessenmindernd, dass viele Jahre des Aufenthaltes nur auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz als rechtmäßig angesehen werden könnten, wobei die vorgebrachten Asylgründe letztlich nicht wirksam geworden seien. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Regelungen seien vom Beschwerdeführer angesichts der Tatsache, dass er sich bereits monatelang unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und längst ausreisen hätte müssen, in äußerst gravierender Weise missachtet worden. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens sei daher von solchem Gewicht, dass die allenfalls vorhandenen gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Dem Beschwerdeführer werde es nicht möglich sein, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legitimieren. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die familiäre Sphäre des Beschwerdeführers sei auch deshalb gerechtfertigt, weil auch seine Frau und sein Kind in Österreich keine gesicherte aufenthaltsrechtliche Stellung hätten. Zur Eheschließung werde angemerkt, dass sie zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem der Beschwerdeführer bereits gewusst habe oder wissen habe müssen, dass er nicht in Österreich bleiben werde dürfen.

Besondere Umstände, die eine Ermessensübung zulassen würden, seien weder erkannt noch vorgebracht worden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass das Verfahren über seinen Asylantrag rechtskräftig negativ beendet wurde und er über keine asyl- oder fremdenrechtliche Bewilligung für seinen Aufenthalt in Österreich verfügt. Im Hinblick darauf begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er falle in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB Nr. 1/80), weil er seit 16. Oktober 2000 auf Grund einer ihm erteilten Arbeitserlaubnis in einem aufrechten Dienstverhältnis stehe. Er gehöre dem regulären Arbeitsmarkt der Republik Österreich an und erfülle die Kriterien des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80, sodass über die Ausweisung der unabhängige Verwaltungssenat hätte entscheiden müssen.

Die Voraussetzungen dafür, sich hinsichtlich des Rechts zur Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung sowie des diesem Zweck dienenden Rechts auf Aufenthalt mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 berufen zu können, erfüllen Fremde, die eine - wenn auch allenfalls im Einklang mit den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes stehende - Beschäftigung ausüben, dann nicht, wenn ihr Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bloß auf Grund einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung besteht. Die letztgenannte Berechtigung vermittelt nämlich keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0402, mwN).

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG hatte daher die belangte Behörde über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien zu entscheiden.

3. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid auch unter dem Blickwinkel des § 66 Abs. 1 FPG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) und bringt vor, die belangte Behörde sei nicht im Recht, wenn sie seinen langen Aufenthalt deshalb als interessenmindernd ansehe, weil dieser auf den Bestimmungen des Asylgesetzes beruhe. Es wäre auf die erfolgte besonders starke Integration in Österreich, vor allem infolge seines siebenjährigen ununterbrochenen Dienstverhältnisses abzustellen und auch die Tatsache zu berücksichtigen gewesen, dass sich die Ehefrau und das Kind des Beschwerdeführers in Österreich aufhielten. Im Fall seiner Abschiebung werde es zu einem Zerreißen der Familie kommen. Ein nicht rechtmäßiger Aufenthalt der Ehefrau und des Kindes könne dem Beschwerdeführer nicht schaden, weil auch bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt eine Interessenabwägung bei der Aufenthaltsbeendigung der Ehefrau und des Kindes vorzunehmen sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) hat die belangte Behörde zutreffend einen mit der Ausweisung des Beschwerdeführers verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Die aus der Dauer seines inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration ist jedoch in ihrem Gewicht dadurch entscheidend gemindert, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nur auf Grund eines sich als unberechtigt erwiesenen Asylantrages vorläufig berechtigt und nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages unrechtmäßig war. Da der Beschwerdeführer lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt hat, kommt auch den von ihm ausgeübten Beschäftigungen keine wesentliche Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2009/18/0269). Im Übrigen ist dem im Verwaltungsakt befindlichen Versicherungsdatenauszug der Wiener Gebietskrankenkasse vom 10. April 2006 zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer keineswegs - wie behauptet - seit 2000 ununterbrochen beschäftigt gewesen ist, sondern zwischen September 2003 und Juni 2004 und im Mai 2005 Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen hat.

Nach der hg. Judikatur (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2009/18/0328, mwN) wäre der Beschwerdeführer nur dann vor einer Ausweisung geschützt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffs in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine türkische Ehefrau zu einem Zeitpunkt geheiratet hat, als sein Asylantrag bereits rechtskräftig abgewiesen war, und seine Ehefrau sowie seine Tochter ebenfalls nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügen, durfte die gesamte Familie somit zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, auf Dauer ein Familienleben in Österreich führen zu können. Von daher erweist sich die Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe keine Feststellungen getroffen, ob gegen die Ehefrau und das Kind des Beschwerdeführers aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt werden könnten, als nicht zielführend. (Dem Verwaltungsakt ist überdies zu entnehmen, dass die Asylverfahren der Ehefrau und der Tochter sowie des am 28. Februar 2008 in Wien geborenen Sohnes des Beschwerdeführers jeweils mit 20. September 2008 rechtskräftig negativ entschieden worden und gleichzeitig rechtskräftige Ausweisungsentscheidungen ergangen sind.) Darüber hinausgehende integrationsbegründende Umstände wie etwa Fortbildungsmaßnahmen oder eine besonders intensive Teilnahme am sozialen Leben wurden vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht.

Die in der Beschwerde angeführten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich stellen somit - trotz seiner relativ langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet - keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Österreich auszureisen.

Dem steht die durch den unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers bewirkte erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt, gegenüber.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung der Ausweisung auch unter Bedachtnahme auf die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, keinem Einwand.

4. Wenn sich der Beschwerdeführer auf Grund der Dauer des Asylverfahrens in Art. 6 EMRK verletzt erachtet, ist er darauf zu verweisen, dass die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Asylverfahrens nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Dem Hinweis in der Beschwerde, der Beschwerdeführer leiste durch seine Erwerbstätigkeit auch Sozialversicherungs- und Pensionsbeiträge, ist zu erwidern, dass nach der ständigen hg. Rechtsprechung bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG zu Gunsten des Fremden nur die den privaten und familiären Bereich betreffenden Umstände, nicht jedoch öffentliche Interessen zu berücksichtigen sind (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0651).

5. Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. November 2009

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