VwGH 2007/18/0404

VwGH2007/18/040424.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des E L in W, geboren am 5. September 1968, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Mai 2007, Zl. SD 412/06, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z4;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art7;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z4;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art7;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. Mai 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen "jugoslawischen" Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren und bis zum 17. Jänner 1992 (richtig: 1972) in Niederösterreich gemeldet gewesen. Danach scheine er seit dem 17. April 1975 wieder als gemeldet auf, und zwar bis zum 10. Juni 1976 in W. Anschließend habe er ein Schuljahr in seiner Heimat verbracht, um danach wieder nach Österreich zurückzukehren, wo er seit dem 12. September 1977 aufhältig sei. Seit 1985 verfüge er über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Mit Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 19. Jänner 1990 sei der Beschwerdeführer wegen (Sachbeschädigung iSd) § 125 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 1. Juli 1994 sei er durch das Strafbezirksgericht Wien wegen (Körperverletzung iSd) § 83 Abs. 2 StGB erneut zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 10. Juni 1996 sei eine Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen in Wien in Rechtskraft erwachsen, mit der er nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Letztgenannter Verurteilung sei eine auf §§ 31 und 40 StGB gestützte Verurteilung vom 12. Juni 1996 nach § 127, § 129 Abs. 1 und § 15 StGB zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von sieben Monaten bedingt gefolgt. Der Beschwerdeführer habe am 6. September 1995 einen versuchten Einbruchsdiebstahl in einen Pkw begangen und in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1995 in einen Pkw eingebrochen und dort befindliche Gegenstände im Wert von S 8.000,-

- gestohlen. Am 4. Juni 1998 sei er durch das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 28 Abs. 2 SMG, § 15, § 127 und § 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten verurteilt worden. Er habe im Zeitraum vom März/April bis Oktober 1995 eine große Menge Heroin in Verkehr gesetzt, indem er einem Abnehmer 100 g Heroin überlassen habe. Am 29. März 1998 habe er durch Einschlagen einer Auslagenscheibe mit einem Ziegelstein in ein Geschäft eingebrochen und dort Trainingsanzüge und T-Shirts im Gesamtwert von S 12.000,-- gestohlen. Mit dem genannten Urteil sei der in der Vorverurteilung bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe widerrufen worden.

Doch weder diese Urteile noch die verbüßten Freiheitsstrafen hätten den Beschwerdeführer dazu bewegen können, sich rechtskonform zu verhalten. Während eines Freigangs aus der Strafhaft am 15. Jänner 2000 habe er durch Einschlagen einer Glasscheibe der Eingangstür eines Geschäftslokals mit einem Ziegelstein in dieses eingebrochen. Er sei jedoch noch im Geschäft von eintreffenden Polizeibeamten angehalten und festgenommen und mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. Juni 2000 nach § 15, § 127 und § 129 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft hätten sich der Beschwerdeführer und ein Mitverurteilter zusammengeschlossen, um ihren Lebensunterhalt durch Suchtgifthandel zu finanzieren. Er habe mit Suchtgiftlieferanten aus dem früheren Jugoslawien in Kontakt gestanden und von diesen zunächst Kokain, Speed und Cannabiskraut in größeren Mengen bezogen. Im Juli 2001 habe er in mehreren Teilmengen insgesamt rund 60 g Kokain und Speed und zwei Mal 100 g Cannabiskraut an Abnehmer veräußert. Ferner habe er an zwei Schwarzafrikaner insgesamt 1 kg Cannabiskraut mit Gewinn weitergegeben. Bis zu seiner Festnahme am 7. Mai 2002 habe er insgesamt 14,2 kg Cannabiskraut, 300 g Cannabisharz, 1.200 bis

1.500 Ecstasy-Tabletten und 706 g Kokain an diverse Personen veräußert. Es habe sich bei ihm um einen professionellen Großhändler im Suchtgiftbereich gehandelt, der kleinere Händler mit Suchtgift beliefert habe. Nachdem ein Abnehmer bei einer Übergabe von 3 kg Cannabiskraut nach Erhalt der Ware ohne zu bezahlen davongefahren und dem Beschwerdeführer dadurch ein Schaden von S 90.000,-- bis S 105.000,-- entstanden sei, habe dieser beschlossen, mit zumindest vier Mittätern dem Chauffeur des genannten Abnehmers einen "Denkzettel" zu verpassen. Durch Tritte und Schläge, zum Teil mit einer Schnapsflasche auf den Kopf, sowie durch Zerschlagen eines Holzsessels an den Beinen hätten sie dem Opfer eine kurze Bewusstlosigkeit, ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, Hautabschürfungen und Prellungen zugefügt. Bei der Festnahme des Beschwerdeführers seien in seiner Wohnung weitere

2.639 Ecstasy-Tabletten, mehr als 1,8 kg Cannabiskraut, 74,6 g Kokain und 41 g Speed sichergestellt worden. Ebenso seien Urkunden, nämlich zwei Reisepässe und ein Führerschein, sichergestellt worden, die nicht dem Beschwerdeführer gehört hätten und die dieser für sich behalten habe. Durch Vorlage einer Mitgliedskarte eines anderen habe er zudem einem Pannendienst vorgetäuscht, Mitglied zu sein und diesen zu einer kostenlosen Pannendienstleistung verleitet. Der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Februar 2003 nach § 28 Abs. 1, 2, 3 und 4 Z. 3 SMG, § 15 und § 12 StGB, § 27 Abs. 1 SMG, § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z. 2, § 229 Abs. 1 und § 146 Abs. 1 Z. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren rechtskräftig verurteilt worden.

Der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Sachverhalt sei erfüllt, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 leg. cit. - im Grunde des § 60 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien. Der Beschwerdeführer sei geschieden und für ein Kind sorgepflichtig. Das Kind lebe bei der Kindesmutter. Weitere familiäre Bindungen bestünden zur Mutter, bei der der Beschwerdeführer bis zuletzt wohnhaft gewesen sei, und zu einem Schwager, die beide österreichische Staatsbürger seien, darüber hinaus zu einem Neffen, einem Cousin und einer Cousine. Es sei von einem erheblichen, mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier zur Verhinderung weiterer Straftaten, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, zum Schutz des Eigentums und der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Das Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche, dass er nicht willens sei, maßgebliche in Österreich gültige Rechtsvorschriften einzuhalten. Haftstrafen in teils erheblicher Höhe hätten ihn bislang völlig unbeeindruckt gelassen. Er sei vielmehr sofort wieder und in einem zunehmenden Maß straffällig geworden. Angesichts seiner kriminellen Vergangenheit sei eine zu seinen Gunsten ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dringend geboten und sohin zulässig iSd § 66 Abs. 1 FPG.

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Diese würde schwer ins Gewicht fallen, woran weder die (offene Antwort auf die) Frage, ob er während der dargestellten Lücke seiner Meldungen tatsächlich in Österreich aufhältig gewesen sei, noch der Umstand, dass er ein Jahr seiner Schulausbildung in seiner Heimat verbracht habe, Maßgebliches habe ändern können. Es sei zu bedenken, dass die Integration in ihrer sozialen Komponente durch das oftmalige strafbare Verhalten und die offenbar zunehmende kriminelle Energie des Beschwerdeführers ganz erheblich an Gewicht gemindert werde. Bei den familiären Bindungen zu seiner Mutter sei zu bedenken, dass er längst volljährig sei und ihn seine sozialen und familiären Bindungen nicht von der Begehung seiner Straftaten hätten abhalten können. Seine Bindungen zu seinem Kind seien zu relativieren, weil dieses bei der Mutter lebe und dem Beschwerdeführer offenbar kein Sorgerecht zukomme.

Den insgesamt erheblichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers sei das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen gegenüber zu stellen. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers würden nicht schwerer wiegen als das in seinem Fehlverhalten begründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe. Das Aufenthaltsverbot erweise sich daher gemäß § 66 Abs. 2 FPG als zulässig. Dabei habe die belangte Behörde auch bedacht, dass der Beschwerdeführer den Kontakt zu seinen Familienangehörigen - wenn auch eingeschränkt - vom Ausland aus wahrnehmen könne. Diese Einschränkung werde er im öffentlichen Interesse zu tragen haben.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei nicht gegeben.

Mangels sonstiger, in besonderer Weise zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbots im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Angesichts der Höhe der zuletzt verhängten Freiheitsstrafe stünde eine solche Ermessensübung auch nicht mit dem Sinn und dem Zweck des Gesetzes in Übereinstimmung.

Im Hinblick auf das gravierende, zuletzt gleichsam nur durch Haftstrafen unterbrochene Fehlverhalten des Beschwerdeführers könne auch unter Bedachtnahme auf seine Lebenssituation nicht vorhergesehen werden, ob jemals und gegebenenfalls wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden. Das Aufenthaltsverbot sei daher auf unbefristete Dauer auszusprechen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 20. Juni 2007, B 1013/07-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf der Grundlage der festgestellten und nicht bestrittenen Straftaten des Beschwerdeführers und der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen begegnet die - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken.

2.1. Die Beschwerde erblickt eine Rechtswidrigkeit des Bescheides darin, dass im Zeitpunkt der Tat(en) ein Aufenthaltsverbot auf Grund der damals gültigen Bestimmungen (§ 38 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz 1997) nicht zulässig gewesen sei. Daher dürfe nach den später in Kraft gesetzten Bestimmungen des FPG ebenfalls kein Aufenthaltsverbot erlassen werden.

2.2. Nach dem mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen § 61 Z. 4 FPG hindert der Umstand, dass der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht, wenn der Fremde - wie im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer - wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Ab Inkrafttreten des FPG sind sämtliche Sachverhalte, die als Grundlage für die Verhängung oder Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsverbotes herangezogen werden, nur mehr nach den Bestimmungen dieses Gesetzes (und nicht nach jenen des Fremdengesetzes 1997) zu beurteilen. Gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil das im Art. 7 EMRK normierte Rückwirkungsverbot nur für Strafen gilt und es sich bei einem Aufenthaltsverbot nicht um eine Strafe, sondern um eine administrativ-rechtliche Maßnahme handelt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. Dezember 2003, Zl. 2002/21/0087, und vom 16. Oktober 2007, Zl. 2007/18/0730).

3. Die Beschwerde hat im Übrigen die Beurteilung der belangten Behörde im Grund des § 66 und des § 60 FPG nicht bekämpft. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten, wie sie der Beschwerdeführer wiederholt und in zunehmender Schwere begangen hat, begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen ihn verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG) und dass die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 FPG) keinen Bedenken.

4. Es kann ferner nicht als rechtswidrig angesehen werden kann, wenn die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Dauer erlassen und die Auffassung vertreten hat, dass in Anbetracht des gravierenden, lang andauernden und zuletzt noch gesteigerten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vorhergesehen werden könne.

5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. September 2009

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