VwGH 2007/15/0225

VwGH2007/15/022528.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des K Z in G, vertreten durch die Sachwalterin DAS M F, diese vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in 3910 Zwettl, Landstraße 52, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 13. Juli 2007, Zl. RV/0694-W/06, betreffend Gewährung von (erhöhter) Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 2002/I/105;
FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 2002/I/105;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 4. Jänner 1958 geborene Beschwerdeführer beantragte im Dezember 2005 durch seine Sachwalterin die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe "5 Jahre rückwirkend nach dem gesetzlich zustehenden Ausmaß".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag im Instanzenzug ab. Das von der belangten Behörde eingeholte fachärztliche Sachverständigengutachten des Bundsamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 11. April 2007 bestätige dem Beschwerdeführer, der im 10. Lebensjahr eine Gehirnblutung erlitten habe, rückwirkend ab 1. Jänner 1968 eine 100%ige Behinderung. In diesem Gutachten werde dem Beschwerdeführer auch eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt. Angaben, ab welchem Zeitpunkt diese dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei, enthalte das Gutachten jedoch nicht. Da das fachärztliche Gutachten keine Aussage zum Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit enthalte, müsse die belangte Behörde auf andere Beweismittel zurückgreifen.

Laut Versicherungsdatenauszug der Sozialversicherung sei der Beschwerdeführer im Zeitraum der Jahre 1973 bis 1987 insgesamt rund neun Jahre als Arbeiter beschäftigt gewesen. Ab Oktober 1987 habe er Arbeitslosengeld und ab 1. Juni 1999 laufend eine Invaliditätspension nach dem ASVG sowie Pflegegeld bezogen. Aus den vorgelegten Entlassungsbefunden eines psychiatrischen Krankenhauses ergebe sich weiters, dass sich der Beschwerdeführer erstmals im Jahr 1981, somit im Alter von 23 Jahren, in stationärer Behandlung befunden habe. Auch aus dem Beschluss vom 7. April 1999 über die Bestellung eines Sachwalters gehe hervor, dass die auf Grund einer Gehirnblutung eingetretene körperliche Behinderung des Beschwerdeführers zwar seit dem 10. Lebensjahr bestanden habe, sich aber der psychische Zustand (erst) in der Folge verschlechtert habe. Gerade der psychische Zustand sei aber für seine nunmehr vorliegende dauernde Erwerbsunfähigkeit ausschlaggebend. Somit könne schon auf Grund dieser Unterlagen bedenkenlos davon ausgegangen werden, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers erst nach dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.

Dazu komme der Umstand, dass der Beschwerdeführer insgesamt neun Jahre - davon durchgehend vom 9. November 1974 bis 4. Mai 1981 - berufstätig gewesen sei. Diese Tatsache widerlege "die Annahme einer dauernden Erwerbsunfähigkeit in der Vergangenheit". Zwar könne es sein, dass der Arbeitgeber dem Beschwerdeführer in besonderer Weise entgegen gekommen sei, doch werde nicht einmal in der Berufung behauptet, dass der Arbeitgeber keinerlei Gegenleistung erwartet habe. Es sei daher nach der Aktenlage als erwiesen anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Betrieb seines Arbeitgebers adäquat seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten beschäftigt worden sei.

Gegen den Standpunkt des Beschwerdeführers spräche auch der Umstand des Bezuges einer Invaliditätspension. Voraussetzung hiefür sei nämlich, dass der Beschwerdeführer "die Erkrankung nicht bereits ins Erwerbsleben eingebracht" habe.

Vor diesem Hintergrund müsse nicht mehr geprüft werden, ob von einem (fiktiven) aufrechten Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern auszugehen sei, was nach der Judikatur der Zivilgerichte ohnedies fraglich erscheine, weil danach der ASVG-Richtsatz für die Ausgleichszulage eine Orientierungshilfe für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit bilde.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Im Beschwerdefall ist strittig, ob der Beschwerdeführer iSd § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 infolge einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 leg.cit. in der - von der belangten Behörde bereits anzuwendenden - Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das danach abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Dezember 2007, B 700/07, und die hg. Erkenntnisse vom 27. April 2005, 2003/14/0105, und vom 9. Juli 2008, 2006/13/0148) hat sich darauf zu erstrecken, ob der Beschwerdeführer wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall offenbar nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Darüber gibt das vorliegende Gutachten vom 11. April 2007, wie die belangte Behörde selbst erkannt hat, keine explizite Auskunft, wiewohl der Umstand, dass die Gutachterin den Eintritt einer Behinderung von 100% "rückwirkend" feststellte, durchaus für den Standpunkt des Beschwerdeführers, es sei schon damals eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen, sprach. Die belangte Behörde hat das Gutachten nicht ergänzen lassen, sondern auf Grund anderer Beweismittel und insbesondere der erworbenen Versicherungszeiten gefolgert, dass der Beschwerdeführer erst auf Grund einer nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung unfähig geworden sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Den von der belangten Behörde ins Treffen geführten Umständen kommt aber nach dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 6 in der angeführten Fassung des FLAG 1967 keine Beweiskraft zu. Die im angefochtenen Bescheid zitierte Judikatur, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, widerlege, hat im Rahmen der durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 105/2002, geschaffenen neuen Rechtslage (somit ab 1. Jänner 2003) keinen Anwendungsbereich mehr (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 18. November 2008, 2007/15/0019).

Dass die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe im Beschwerdefall nicht erfüllt wären, etwa im Hinblick auf den eigenen Pensionsanspruch von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen wäre, hat die belangte Behörde nicht in einer den Bescheid tragenden Weise festgestellt.

Der angefochtene Bescheid ist demnach mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 28. Mai 2009

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