VwGH 2007/11/0042

VwGH2007/11/004224.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des G W in F, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in 6800 Feldkirch, Hirschgraben 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 29. Jänner 2007, Zl. UVS-411-006/E3-2006, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung einer Nachschulung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z4;
FSG 1997 §7 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z4;
FSG 1997 §7 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde die dem Beschwerdeführer für die Klassen A, B, C, C1, E (B), E (C1), E (C), F und G erteilte Lenkberechtigung gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 sowie § 25 Abs. 1 und 3 FSG für die Dauer von drei Monaten ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (welche am 23. Dezember 2005 erfolgt war) entzogen. Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer am 26. Juni 2005 in Feldkirch auf der Kapfstraße im Kreuzungsbereich mit dem Lauberweg mit einem Motorrad die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 40 km/h überschritten habe, wobei in diesem Bereich ein deutlich gekennzeichneter Schutzweg vorhanden sei. Hiefür sei er mit rechtskräftigem Bescheid der belangten Behörde vom 25. Jänner 2007 bestraft worden. Unter den im § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG angeführten Verhaltensweisen seien auch erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Schutzwegen aufgezählt. Der Beschwerdeführer habe daher mit der von ihm begangenen Tat eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG verwirklicht, weil er ein Verhalten gesetzt habe, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Gemäß § 25 Abs. 3 FSG sei bei der Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. "Dadurch dass im gegenständlichen Fall die Mindestentzugsdauer ausgesprochen" worden sei, könne eine Wertung nach § 7 Abs. 4 FSG entfallen. Die von der Erstbehörde angeordnete Nachschulung sei im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer im Zuge der in Rede stehenden Fahrt gesetzte massive Überschreitung verkehrsrechtlicher Vorschriften geboten gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im vorliegenden Fall sind (auszugsweise) folgende Vorschriften des Führerscheingesetzes (FSG) maßgebend:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, ...

4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb eines Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend,

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
  2. 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken.

    ...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmung des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:

  1. 1. wenn die Entziehung in der Probezeit (§ 4) erfolgt,
  2. 2. wegen einer zweiten in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung innerhalb von zwei Jahren oder

    3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960.

    ...

    Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen.

..."

Soweit der Beschwerdeführer die Begehung der Tat bestreitet, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass die belangte Behörde mit Recht die Bindung an die rechtskräftige Bestrafung angenommen hat. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat. Zwar besteht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Ansehung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung keine Bindungswirkung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2003, Zl. 2003/11/0127), der Beschwerdeführer behauptet jedoch nicht, dass er eine geringere Geschwindigkeit eingehalten hätte bzw. auf Grund welcher konkreter Beweismittel, die die belangte Behörde aufzunehmen unterlassen habe, ein anderer Sachverhalt hätte festgestellt werden müssen. Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass im vorliegenden Fall die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt worden sei, ist ihm - abgesehen davon, dass es hier nicht um eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 4 FSG, sondern um eine solche nach Z 3 geht - zu entgegnen, dass im vorliegenden Fall die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit durch Polizeibeamte im Nachfahren mit einem Dienstfahrzeug vom geeichten Tachometer abgelesen wurde, was nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter vielen das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2001, Zl. 99/11/0285) als Geschwindigkeitsmessung mit einem technischen Hilfsmittel im Sinne des § 7 Abs. 3 (Z 4) FSG anzusehen ist.

Desgleichen ist das Vorbringen des Beschwerdeführers verfehlt, soweit er rügt, dass keine besonders gefährlichen Verhältnisse gegeben gewesen seien, weil im § 7 Abs. 3 Z. 3 diesbezüglich nur erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit "auf" Schutzwegen und nicht "im Bereich von" Schutzwegen genannt seien, wie von der belangten Behörde angenommen. Damit übersieht er nämlich, dass im § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG lediglich eine demonstrative Aufzählung vorgenommen wurde, sodass auch eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - wie hier von 40 km/h bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h - die "im Bereich" von Schutzwegen verwirklicht wird, an sich geeignet ist, besonders gefährlicher Verhältnisse herbeizuführen. Aus der Aussage des meldungslegenden Beamten in der mündlichen Verhandlung der belangten Behörde vom 19. Jänner 2007 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die hohe Geschwindigkeit im Kreuzungsbereich Kapfstraße/Lauberweg, wo sich Schutzwege befinden, eingehalten hat. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangten Behörde die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG angenommen hat.

Dennoch ist die Beschwerde begründet:

Die Auffassung der belangten Behörde, der Umstand, dass die erstinstanzliche Behörde eine Entziehungsdauer von drei Monaten, also die Mindestentziehungsdauer gemäß § 25 Abs. 3 FSG, festgesetzt habe, mache eine Wertung im Sinne des § 7 Abs. 4 FSG entbehrlich ("konnte eine Wertung nach § 7 Abs. 4 FSG entfallen"), ist verfehlt:

Gemäß § 25 Abs. 3 FSG 1997 darf bei Entziehung der Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit eine Entziehungsdauer von weniger als drei Monaten nicht festgesetzt werden. Trifft daher die Annahme, der Betroffene werde für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten verkehrsunzuverlässig sein, nicht (mehr) zu, so darf eine Entziehung der Lenkberechtigung nicht ausgesprochen bzw. von der Berufungsbehörde nicht bestätigt werden. Unzutreffend ist daher die Auffassung der belangten Behörde, § 25 Abs. 3 FSG 1997 sehe eine "Mindestentziehungsdauer" in dem Sinne vor, dass schon die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG 1997 jedenfalls zu einer Entziehung der Lenkberechtigung für diese bestimmte Dauer führen müsse. Letzteres gilt nämlich nur für jene Fälle, für die bereits im Gesetz (vgl. § 26 Abs. 3 FSG 1997) eine fixe Entziehungsdauer normiert ist und in denen daher die Wertung der bestimmten Tatsache tatsächlich zu entfallen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/11/0273).

Da die belangte Behörde ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht die gemäß § 7 Abs. 4 FSG erforderliche Wertung unterlassen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2008, Zl. 2005/11/0091).

Im Hinblick auf dieses Ergebnis mangelt es auch an einer Grundlage für die von der belangten Behörde verfügte Anordnung einer Nachschulung. Im Übrigen ist der belangten Behörde zu entgegnen, dass die Anordnung einer Nachschulung - wie der Beschwerdeführer in der Beschwerde geltend macht - nur in den im § 24 Abs. 3 Z. 1 bis 3 FSG angeführten Fällen zwingend vorgesehen ist und keiner dieser Fälle hier gegeben ist. Dass auf Grund besonderer Umstände dennoch die Anordnung der Nachschulung zwingend geboten gewesen sei, wurde von der belangten Behörde, die bloß floskelhaft auf die "massive Übertretung verkehrsrechtlicher Vorschriften" verweist, nicht dargelegt. Es sind derartige besondere Umstände, auch unter Berücksichtigung, dass von den ursprünglich mehreren angelasteten Delikten nach Einstellung der Strafverfahren nur mehr das eine eingangs dargestellte Delikt der Entscheidung der belangten Behörde zugrunde zu legen war, auch auf Grund des Akteninhaltes nicht ersichtlich. Die Anordnung der Nachschulung hätte sich somit auch aus diesem Grund als verfehlt erwiesen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Februar 2009

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