VwGH 2007/09/0081

VwGH2007/09/008131.7.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des Dr. WG in G, vertreten durch Dr. Verena Gabriel, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/I, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 27. Februar 2007, Zl. LAD- 15.10-8/1995-74, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1;
DBR Stmk 2003 §100;
EMRK Art6;
StPO §363a;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §45 Abs1;
AVG §69 Abs1;
DBR Stmk 2003 §100;
EMRK Art6;
StPO §363a;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §45 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinaroberkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 7. November 1996 war der -

in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Steiermark stehende - Beschwerdeführer gemäß § 120 der Dienstpragmatik wegen mehrerer Dienstpflichtverletzungen für schuldig erkannt worden und über ihn gemäß § 88 Abs. 1 Z 4 der Dienstpragmatik die Disziplinarstrafe der Versetzung in den Ruhestand mit einer Ruhegenussminderung in der Höhe von 15 % verhängt worden.

Bestandteil des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Schuldspruches war u.a. auch der Vorwurf, dass der Beschwerdeführer "am 15.4.1993 das Schreiben GZ. 11 - 39 Hi 4-90 an das Büro Landesrätin AB gerichtet hat, obwohl auf Grund der allgemeinen Dienstanweisung die Unterfertigung sämtlicher Schriftstücke an die politischen Büros dem Abteilungsvorstand vorbehalten ist". (Die gegen dieses Disziplinarerkenntnis beim Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde war von diesem mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1999, Zl. 98/09/0195, abgewiesen worden).

Mit der am 28. November 2006 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe vom 27. November 2006 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiederaufnahme des zum Erkenntnis der Disziplinaroberkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 7. November 1996 führenden Verfahrens im Umfang des Schuldspruches zum oben angeführten Vorwurf und begründete dies im Wesentlichen damit, der Zeuge Dr. N habe in der mündlichen Verhandlung vor der Disziplinarbehörde erster Instanz am 7. Dezember 1995 im Hinblick darauf, dass es in der Rechtsabteilung XY keinen Referatsleiter gebe, auf ein Organigramm in einem Organisationshandbuch der Rechtsabteilung XY hingewiesen und die Disziplinaroberkommission sei auf Grund dieser Aussage des Zeugen zur sachverhaltsmäßigen Schlussfolgerung gelangt, dass dem Beschwerdeführer die angeführte Dienstpflichtverletzung zur Last liege.

Der Beschwerdeführer habe aber nunmehr am 15. November 2006 in einen Gerichtsakt des Landesgerichts für Strafsachen Graz Einsicht genommen, aus welchem hervorgehe, dass der Zeuge Dr. N dort - im Unterschied zu seiner Zeugenaussage - als Angeklagter ausgeführt habe, "es gibt unmittelbar keinen Referatsleiter". Auch bemerke der Landesrechnungshof, dessen Bericht vom 30. Juli 1993 sich ebenfalls im angeführten Gerichtsakt befunden habe, dass das Organisationshandbuch zum Zeitpunkt des Prüfungsabschlusses weder im Organigramm noch in den Arbeitsplatzbeschreibungen dem tatsächlich aktuellen Stand entspreche, und es gehe hervor, dass es einen Referatsleiter in der Rechtsabteilung XY nicht gegeben habe. Die Genehmigung eines Organisationshandbuches, mit welchem Referatsleiter hätten bestellt werden sollen, sei nie erfolgt. Daraus lasse sich der Schluss ziehen, dass der gegen den Beschwerdeführer ergangene Schuldspruch durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden sei.

In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (gemeint offensichtlich gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom 7. November 1996) sei dem Verwaltungsgerichtshof - amtsmissbräuchlich - von der belangten Behörde mit ihrer Gegenschrift ein "Auszug aus dem Organisationshandbuch der Rechtsabteilung XY, Stand 1993" vorgelegt worden; diese in "Kursivschrift" erfolgte Ergänzung sei dem Beschwerdeführer jedoch im zu Grunde liegenden Disziplinarverfahren vorenthalten worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einem "Spruch I" abgewiesen, soweit er eine Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG begehrt wird, in einem "Spruch II" als verspätet zurückgewiesen, soweit eine Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG begehrt wird und in einem "Spruch III" als unzulässig zurückgewiesen, soweit eine amtswegige Wiederaufnahme begehrt wurde.

Hinsichtlich des - im vorliegenden Beschwerdeverfahren allein bekämpften - Spruches I wurde der angefochtene Bescheid im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer in der am 8. Oktober 1996 vor der Disziplinaroberkommission geführten mündlichen Verhandlung auf ausdrückliche Befragung des Disziplinaranwalts, ob ihm die Existenz der Dienstanweisung bekannt sei, der zufolge die Unterfertigung sämtlicher Schriftstücke an die politischen Büros dem Abteilungsvorstand vorbehalten seien und ob er entgegen dieser Dienstanweisung dennoch ein Schriftstück direkt an das Regierungsbüro ohne Unterfertigung des Abteilungsvorstandes weitergeleitet habe, erklärt habe, es sei richtig, dass er die Dienstanweisung gekannt habe, er habe das Schreiben jedoch direkt an Frau Landesrätin AB geschickt, weil der zuständige Sekretär von Frau Landesrätin im Zuge einer Intervention gesetzwidrig vorgegangen sei. Die Befolgung der Dienstanweisung, wonach Schreiben nur im Wege des Abteilungsvorstandes an das Büro der Frau Landesrätin gerichtet werden dürften, wäre aus der Sicht des Beschwerdeführers in dem konkreten Fall unzweckmäßig und unzumutbar gewesen. Die Disziplinaroberkommission habe in ihrem Erkenntnis zu diesem Punkt festgestellt, dass die einen Bestandteil des Organisationshandbuches der Rechtsabteilung XY bildende Dienstanweisung im Punkt 5.4. letzterer vorschreibe, dass dem Abteilungsvorstand die Unterschriftsbefugnis im Schriftverkehr mit Regierungsmitgliedern und deren Büro sowie mit politischen Parteien vorbehalten sei. Die Disziplinaroberkommission habe in ihrem Erkenntnis darauf hingewiesen, dass nach Aussage des Zeugen Dr. N diese die Unterschriftsbefugnis regelnde Dienstanweisung in der Rechtsabteilung XY seit Jahren in Geltung und jedem Bediensteten bekannt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe den Vorfall an sich nicht bestritten, zu seiner Rechtfertigung allerdings angegeben, dass er aus einer Art Notstand heraus das Schreiben direkt an das politische Büro von Frau Landesrätin AB gerichtet habe, da er mehrmals erleben hätte müssen, dass Stellungnahmen von seinem Abteilungsvorstand, die im Dienstwege vorgelegt worden seien, nicht weitergeleitet worden seien. Die Disziplinaroberkommission sei auch den Ausführungen des Beschwerdeführers, das Schreiben sei als eine Petition zu interpretieren, nicht gefolgt, weil aus dem Schreiben eindeutig hervorgehe, dass es sich um die Äußerung eines Referenten in einem konkreten Verwaltungsverfahren handle.

Die im Wiederaufnahmeantrag geltend gemachten Gründe, wonach die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vorlägen, nämlich die Aussage von Dr. N vor dem Strafgericht, es gebe unmittelbar keine Referatsleiter, weiters der behauptete Missbrauch der Amtsgewalt durch Vorlage von Schriftstücken an den Verwaltungsgerichtshof stünden in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Vorwurf bzw. Schuldspruch, dass der Beschwerdeführer der entgegen der allgemeinen Dienstanweisung, wonach Schreiben an Regierungsmitglieder nur nach Genehmigung des Abteilungsleiters weitergeleitet werden dürften, gehandelt habe. Es gehe bei der Prüfung, ob der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Dienstpflichtverletzung begangen habe, ausschließlich darum, ob er entgegen einer Dienstanweisung, deren Kenntnis er zugegeben habe, gehandelt habe. Die Disziplinaroberkommission vermöge daher nicht zu erkennen, inwieweit der Bescheid in diesem Punkt durch Fälschung einer Urkunde, ein falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden sein hätte können, weshalb mangels Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich im Umfang der Abweisung des Wiederaufnahmeantrages des Beschwerdeführers vom 27. November 2006 die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Begehren, diesen Bescheid aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß dem im Grunde des § 100 des Gesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk. LDBR), LGBl. Nr. 29/2003, anzuwendenden § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hierfür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

Der Beschwerdeführer tritt der Feststellung der belangten Behörde nicht entgegen, dass er in jenem Disziplinarverfahren, dessen Wiederaufnahme er anstrebte, zugegeben hatte, entgegen der allgemeinen Dienstanweisung, wonach Schreiben an Regierungsmitglieder nur nach Genehmigung des Abteilungsleiters weitergeleitet werden dürfen, gehandelt zu haben und dass er sich im Disziplinarverfahren mit dem Argument zu entschuldigen versucht hatte, durch seine Vorgangsweise gewissermaßen in Form einer Petition auf Missstände in der Verwaltung hingewiesen zu haben und dergestalt entschuldigt gewesen zu sein. Bei dieser Sachlage zeigt der Beschwerdeführer auch in seiner Beschwerde nicht auf, inwiefern - wie er behauptet - eine falsche Zeugenaussage des Dr. N zum Schuldspruch gegen den Beschwerdeführer in dem von seinem Wiederaufnahmeantrag erfassten Anschuldigungspunkt geführt hätte.

Soweit der Beschwerdeführer aber meint, der angefochtene Bescheid sei deswegen rechtswidrig, weil dem Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren gegen jenen Bescheid, mit dem das aufzunehmende Verfahren beendet worden sei, Unterlagen vorgelegt worden seien, die nicht Gegenstand der Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren gewesen wären, zeigt er schon deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil dieses nach seiner Auffassung durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführte oder sonst wie erschlichene Beweismittel jenem Bescheid, mit welchem das aufzunehmende Disziplinarverfahren abgeschlossen wurde, gar nicht zu Grunde gelegt worden ist.

Auch mit dem übrigen Beschwerdevorbringen, in dem Kritik an dem zu Grunde liegenden Disziplinarverfahren geübt wird, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass er durch die Abweisung seines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 27. November 2006 in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und soweit Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.

Auch wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem zu Grunde liegenden Disziplinarverfahren, dessen Wiederaufnahme der Beschwerdeführer anstrebte, um einen Rechtsstreit über ein ziviles Recht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK gehandelt hat, war im vorliegenden Fall die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch den Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen nicht erforderlich:

Nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Verfassungsgerichtshofes wie auch des EGMR fallen nämlich Verfahren über die Wiederaufnahme eines (strafrechtlichen oder zivilrechtlichen) Verfahrens selbst grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK, sondern erst das anschließende wieder aufgenommene Verfahren (vgl. insb. die Zulässigkeitsentscheidung im Fall Fischer, 6. Mai 2003, 27.569/08, sowie die Erkenntnisse des EGMR in den Fällen Nikitin, 20. Juli 2004, 50.178/99; San Leonardo Band Club, 29. Juli 2004, 77.562/01; Alatulkkila, 28. Juli 2005, 33.538/96; Vanyan, 15. Dezember 2005, 53.203/99; Nurmagomedov, 7. Juni 2007, 30.138/02, Vgl. auch schon EKMR 16. Mai 1995, ÖJZ 1995, 795f; ferner die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 14.076/1995, 16.245/2001, 16.769/2002). Anderes hat der EGMR nur dann angenommen, wenn (im konkreten Fall in einem zivilgerichtlichen Verfahren) im Zuge der Wiederaufnahme auch die Erfolgsaussichten im folgenden wieder aufgenommenen Verfahren zu berücksichtigen sind (EGMR Lundevall, 12. November 2002, 38.269/97). Davon kann im gegenständlichen Fall jedoch nicht die Rede sein.

Selbst bei Annahme der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK ist darauf hinzuweisen, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt jedenfalls geklärt ist und in der vorliegenden Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündlichen Verhandlung erfordert hätte. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 31. Juli 2009

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