VwGH 2007/08/0171

VwGH2007/08/017114.10.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der IM in Wien, vertreten durch Mag. Peter Zivic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 20, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Juni 2007, Zl. MA 15-II-2-1707/2007, betreffend rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12/9), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §101;
VwRallg;
ASVG §101;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 19. September 2005 hat das Arbeits- und Sozialgericht Wien ausgesprochen, dass die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt schuldig ist, der Beschwerdeführerin als Fortsetzungsberechtigter nach dem am 10. September 2002 verstorbenen SP eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 10. September 2002 zu gewähren (Spruchpunkt 1.). Unter Spruchpunkt 2. wurde ausgesprochen, dass die Pension im Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 2000 wegfällt.

Am 23. Februar 2006 erließ die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt einen Bescheid mit folgendem Wortlaut:

"Mit gerichtlichem Urteil vom 19. September 2005 wird der Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für den Verstorbenen PS ab 1. Juni 1996 anerkannt.

Rechtsgrundlage: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) §§ 86, 253d und 408

Abkommen über soziale Sicherheit mit der Sozialistischen

Föderativen Republik Jugoslawien

Die Pension beträgt ab

1.1.2001

1.1.2002

monatlich ..........................................................EUR

370,97

EUR

374,99

    

Die vorzeitige Alterspension wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit fällt mit 1. Juni 1996 weg."

Mit Schreiben vom 28. Juni 2006 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG betreffend den Bescheid vom 23. Februar 2006 und einen Antrag auf Zuerkennung bzw. Nachzahlung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für den Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 2000. Begründet wurde dieser Antrag damit, dass die Bestimmung, die den Wegfall einer vorzeitigen Alterspension bei Bestehen jeglicher Pflichtversicherung regelt (§ 253d Abs. 2 in Verbindung mit § 253b Abs. 1 Z. 4 ASVG), am Stichtag 1. Juni 1996 noch nicht gegolten habe, sondern erst mit 1. November 1996 in Kraft getreten sei.

Mit Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 23. Oktober 2006 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28. Juni 2006 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes zurückgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass eine Leistungsfeststellung durch das Arbeits- und Sozialgericht vorliege.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen, der Spruch des Bescheides der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 23. Oktober 2006 jedoch dahingehend abgeändert, dass der Antrag vom 28. Juni 2006 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes abgewiesen wird.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt sei lediglich befugt gewesen, mit dem Leistungsbescheid vom 23. Februar 2006 über die Höhe der vom Arbeits- und Sozialgericht Wien grundsätzlich zuerkannten Pension zu entscheiden. Über die Zuerkennung der Alterspension für den Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 10. September 2002 sowie über deren Wegfall im Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 2000 sei der Pensionsversicherungsanstalt keine Entscheidungsbefugnis mehr zugekommen, da darüber bereits das Arbeits- und Sozialgericht Wien mit rechtskräftigem Urteil vom 19. September 2005 abgesprochen habe. Der letzte Absatz des Bescheides vom 23. Februar 2006 betreffend den Wegfall der vorzeitigen Alterspension mit 1. Juni 1996 stelle nur eine Wiederholung der diesbezüglichen Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien dar. Hinsichtlich des Teiles des Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt vom 23. Februar 2006, der die Frage des Wegfalles der Pension im Zeitraum vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 2000 betreffe, sei keine Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes im Sinne des § 101 ASVG möglich, da darüber von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt nicht mehr habe entschieden werden dürfen. Da die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag auf Wiederherstellung zurückgewiesen habe, jedoch keine verfahrensrechtliche, sondern eine inhaltliche Entscheidung getroffen habe, sei der Spruch des Bescheides dahingehend abzuändern gewesen, dass der Antrag vom 28. Juni 2006 abgewiesen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift erstattet mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass es sich bei der Herstellung des gesetzlichen Zustandes um Geldleistungen aus der Sozialversicherung handeln muss, über die bescheidmäßig abgesprochen worden ist. § 101 ASVG ist nur auf Bescheide anwendbar, nicht auch auf Leistungsfeststellungen, die zuletzt von einem Gericht ergangen sind, da mit der Erhebung der Klage beim Gericht der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt und daher insoweit jede Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers wegfällt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Oktober 1975, Zl. 368/75, Slg. Nr. 8918/A).

Wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, wurde der Ausspruch, dass die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 2000 wegfällt, mit dem Urteil vom 19. September 2005 getroffen. Entsprechend diesem Urteil wurden mit dem Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 23. Februar 2006 Pensionsbeträge lediglich ab 1. Jänner 2001 festgesetzt. Der in diesem Bescheid enthaltene Ausspruch, dass die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mit 1. Juni 1996 wegfällt, erging in Durchführung des Urteils des Arbeits- und Sozialgerichtes und in Bindung an dieses. Soweit Pensionsbescheide aber in Bindung an und in Durchführung von Gerichtsurteilen ergehen, können sie auch dann, wenn sich das Gerichtsurteil als materiell unrichtig oder fehlerhaft erweisen sollte, nicht auf einem wesentlichen Rechtsirrtum oder einem offenkundigen Versehen des Pensionsversicherungsträgers beruhen. Und nur auf einen solchen Irrtum kommt es nach § 101 ASVG an, wird doch ein Leistungsbescheid stets nur von einem Versicherungsträger erlassen. Insoweit also ein Bescheid in Bindung an ein Gerichtsurteil ergeht, ist ein Antrag nach § 101 ASVG nicht zulässig. Dass dem Pensionsversicherungsträger bei der Berechnung der Höhe der Pension (die nicht durch das Gerichtsurteil vorgegeben war) ein Irrtum im Sinne des § 101 ASVG unterlaufen wäre, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.

Es lag daher kein Leistungsbescheid vor, auf den sich der Antrag nach § 101 ASVG zulässigerweise bejahen konnte. Der Antrag war daher unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 89/08/0264, mwN) und zurückzuweisen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. September 1977, Zl. 1029/76, und vom 15. Dezember 1988, Zl. 87/08/0148). Dadurch, dass die belangte Behörde mit ihrer Spruchänderung den Antrag abgewiesen hat, kann die Beschwerdeführerin aber in keinem Recht verletzt sein, zumal sich aus der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides eindeutig ergibt, dass die Abweisung deshalb erfolgte, weil ein rechtskräftiges Gerichtsurteil und kein Bescheid vorgelegen ist, der Gegenstand einer Entscheidung nach § 101 ASVG hätte sein können.

Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG als "civil right" im Sinne der EMRK zu beurteilen ist, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist: Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden keine Rechts- und Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 14. Oktober 2009

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