Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Kärnten Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der Erstmitbeteiligten in der Höhe von EUR 1106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde vom 10. August 2004 wurde der erstmitbeteiligten Partei als Bauwerberin die Bewilligung für die Änderung des mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 bewilligten Vorhabens (Zubau zu einem Wohnhaus im Bereich der Grundgrenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin) erteilt.
Mit Bescheid des Stadtrates der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde vom 9. Oktober 2006 erfolgte aufgrund einer Berufung der Beschwerdeführerin eine Abänderung der erteilten Bewilligung. Dieser Bescheid wurde am 10. Oktober 2006 dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zugestellt.
Mit Schreiben vom 13. November 2006 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte die Vorstellung gegen den Berufungsbescheid nach. Seit 1. Dezember 2005 habe der frühere Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Dr. Sch., die Kanzleikraft
V. S. beschäftigt. Diese sei eine geeignete, verlässliche und ordentlich überwachte Kanzleikraft, welche mit der Empfangnahme von Bescheiden und Urteilen sowie mit der Eintragung von Rechtsmittelfristen im Fristenkalender betraut sei. Sie sei von der Bedeutung der Urteile und Bescheide sowie der damit zusammenhängenden Rechtsmittelfristen unterrichtet worden. Die Kanzleiangestellte nehme Bescheide und Urteile in Empfang, ordne diese Schriftstücke dem zugehörigen Akt zu und trage die Rechtsmittelfrist in das Fristenbuch ein. Sodann lege V. S. dem Rechtsanwalt den Akt mit dem Bescheid bzw. Urteil vor. Dieser überprüfe ob die Rechtsmittelfrist richtig eingetragen sei. So sei sichergestellt, dass keine Rechtsmittelfrist übersehen werde.
Im gegenständlichen Fall sei der Bescheid des Stadtrates vom 9. Oktober 2006 mit dem Eingangsstempel vom 10. Oktober 2006 versehen worden. Die gesamten von der Post übernommenen Schriftstücke hätten sich auf dem Schreibtisch der V. S. befunden. Die linke Seite des Schreibtisches grenze an die Bürowand, wobei sich zwischen Bürowand und dem Ende der Schreibtischplatte ein Spalt befinde. Im Zuge des Sortierens der Schriftstücke sei der Bescheid des Stadtrates vom 9. Oktober 2006 in den Spalt gerutscht und sei senkrecht zu liegen gekommen. Dieses Verschwinden des Bescheides habe V. S. aufgrund der zahlreichen Schriftstücke nicht bemerkt.
Am 6. November 2006 habe sich Dr. Sch. bei der Behörde nach dem Stand des Verfahrens erkundigt. Hierdurch sei ersichtlich geworden, dass die Rechtsmittelfrist gegen den Bescheid des Stadtrates vom 9. Oktober 2006 versäumt worden sei. Im Zuge einer längeren Suche sei der Bescheid in der Spalte entdeckt werden.
Beigelegt war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine eidesstattliche Erklärung der V. S., in welcher sie die Angaben im Antrag bestätigte.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet ab. Eine Rechtsanwaltskanzlei sei zu einer sorgfältigen Organisation verpflichtet. Lägen Organisationsmängel vor, könne nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden. Ein Postaufgabetisch, der das Herabrutschen hinter ihn nicht ausschließe, stelle einen solchen Organisationsmangel dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, wie auch die mitbeteiligte Bauwerberin, eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass das von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 1997, Zl. 96/02/0608, von einem anderen Sachverhalt ausgehe. Anders als im gegenständlichen Fall sei dort zusätzlich zum Herabrutschen ein Aktenstapel so abgestellt worden, dass das herabrutschende Schriftstück verdeckt worden sei. In der 35- jährigen Tätigkeit des Dr. Sch. habe sich bis zu dem gegenständlichen noch nie ein solcher Vorfall ereignet. Dieser Umstand zeige, auch auf den Einzelfall bezogen, dass die geforderte Sorgfalt bei der Posteingangskontrolle wahrgenommen werde. Die belangte Behörde überspanne die Organisationspflicht und die tatsächlichen Möglichkeiten in einer Anwaltskanzlei, wenn sie dem Rechtsanwalt vorwerfe, er übernehme die eingehenden Schriftstücke der Post auf einem Tisch. Auch bei einem Rechtsanwalt lasse ein leichtes Verschulden die Wiedereinsetzung zu.
§ 71 AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998 lautet auszugsweise:
"(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. ...
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
..."
Im gegenständlichen Fall wurde der Bescheid des Stadtrates vom 9. Oktober 2006 der Beschwerdeführerin am 10. Oktober 2006 zugestellt, sodass die Vorstellungsfrist mit Ablauf des 24. Oktober 2006 endete. Erst am 6. November 2006 stellte sich heraus, dass der Berufungsbescheid bereits am 10. Oktober 2006 zugestellt worden war; der Antrag auf Wiedereinsetzung erfolgte innerhalb der Frist des § 71 Abs. 2 AVG und war somit rechtzeitig.
In seinem Erkenntnis vom 23. Juni 2008, Zl. 2008/05/0081, betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der vergleichbaren Bestimmung des § 46 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof zur Aufsichtspflicht/Organisationspflicht eines Rechtsanwaltes hinsichtlich des Kanzleibetriebes grundsätzlich ausgeführt:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Verschulden von Kanzleibediensteten eines Rechtsanwaltes für diesen und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss den Kanzleibetrieb so organisieren, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Die Überwachungspflicht in Bezug auf die richtige Vormerkung von Fristen ist auch dann gegeben, wenn die mit der Führung des Fristvormerks betraute Kanzleibedienstete überdurchschnittlich qualifiziert und verlässlich ist, und es auch nach langjähriger einschlägiger Tätigkeit bisher nicht zu Fehlleistungen bzw. Beanstandungen gekommen sein soll. Art und Intensität der vom Rechtsanwalt insoweit ausgeübten Kontrolle sind im Wiedereinsetzungsantrag darzutun (vgl. ...). Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung des Zieles, Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen, nicht gewährleistet ist, ist das Kontrollsystem in diesem Sinne unzureichend oder hat der Antragsteller das Bestehen einer solchen Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt, kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden."
Keineswegs kann dem Rechtsanwalt, wie die Beschwerdeführerin anmerkt, ein Organisationsverschulden deshalb angelastet werden, weil in seiner Kanzlei die übernommene Post auf einem Tisch gelagert wird; vielmehr geht es um die Frage, ob ein Abrutschen vom Tisch in einen uneinsehbaren Spalt bei gehöriger Sorgfalt verhindert werden muss. Dazu hat sich die belangte Behörde auf den mit dem hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1997, Zl. 96/02/0608 entschiedenen Fall berufen.
Damals wurde das abzufertigende Poststück zu den anderen Poststücken auf den Postabfertigungstisch gelegt, um es sodann zusammen mit der zahlreichen übrigen Post am Abend zum Postamt zu bringen. Aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen ist das gegenständliche Kuvert hinter den Postabfertigungstisch "hinuntergerutscht" und hinter einen Aktenstapel gefallen, der sich unterhalb dieses Tisches befand. Als die Kanzleileiterin die gesamte auf dem Postabfertigungstisch liegende Post in ihre Tasche gegeben und zum Postamt gebracht hatte, fiel ihr auf Grund der Vielzahl von Poststücken nicht auf, dass die bereits am Vormittag vorabgefertigte und kuvertierte Berufung im Anlassfall nicht dabei gewesen ist.
Dazu erkannte der Verwaltungsgerichtshof, dass ein für fristgebundene Eingaben bestimmter Postaufgabetisch, der das "Herabrutschen" hinter ihn nicht ausschließt, und ein unter diesem befindlicher Aktenstapel, der in der Folge das Wahrnehmen eines dahinter befindlichen (herabgefallenen) Poststückes verhindert, einen Organisationsmangel der Rechtsanwaltskanzlei darstellt. Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung des Zieles der fristgerechten Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen nicht gewährleistet ist, so kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden.
Der von der Beschwerdeführerin behauptete Unterschied zum hier gegenständlichen Fall ist nicht erkennbar: Wesentliches Entscheidungselement im zitierten Erkenntnis war, dass ein Herabrutschen von Schriftstücken hinter den Postaufgabetisch ermöglicht wurde und im Nahebereich dieses durch einen zusätzlichen Aktenstapel Verhältnisse vorlagen, die zu einem länger andauernden Verschwinden des Schriftstückes führten. Im gegenständlichen Fall war das Herabrutschen des (immerhin 12 Seiten dicken) Schriftstückes hinter den Postaufgabetisch in einen Spalt möglich, sodass das Abhandenkommen des Schriftstückes ebenfalls nicht bemerkt wurde. Wie seinerzeit der nicht dazugehörige Aktenstapel stellte die Situierung des Tisches derart, dass sich ein solcher Spalt bilden konnte, einen Organisationsmangel der Rechtsanwaltskanzlei dar, welcher einem minderen Grad des Versehens entgegensteht. Die belangte Behörde hat daher den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgewiesen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war. Auf Basis der zitierten Rechtsprechung konnte die Entscheidung in einem gem. § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am 30. April 2009
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