VwGH 2007/01/0352

VwGH2007/01/035215.1.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der A N (geboren 1982) in N, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Jänner 2007, Zl. 306.534-C1/2E-VI/18/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine (nach dem angefochtenen Bescheid) der albanischen Volksgruppe angehörende Staatsangehörige von Serbien aus dem Kosovo, stellte am 12. August 2005 einen Asylantrag.

Zu ihren Fluchtgründen gab sie (bei den Einvernahmen am 17. August 2005 und 21. September 2006) zusammengefasst an, sie habe nach dem Krieg (Ende 2000) ihren Verlobten J N kennen gelernt. Mit dieser Beziehung sei ihr Vater nicht einverstanden gewesen; er habe sie mit einem anderen Mann verloben wollen. Ihr Vater habe ihren Reisepass versteckt, damit sie nicht zu J N (ihrem Verlobten), der in Österreich Asylwerber sei, reisen habe können. Die Mutter habe ihr aber geholfen (mit Schleppern) nach Österreich zu gelangen. Sie (die Beschwerdeführerin) befürchte, dass sie von ihrem Vater gezwungen werde, jemand anderen zu heiraten. Ihr Heimatland habe sie verlassen, um zu ihrem Verlobten zu gelangen, sie habe auch Probleme mit ihrem Vater gehabt; er bedrohe sie weiterhin telefonisch, weil sie bei ihrem Mann sei. Würde sie zurückkehren (in ihr Heimatland), wüsste sie nicht wohin; sie und ihr Mann seien beide in Gefahr. Dass der Vater sie töten würde, habe er ihr selbst gesagt; er (der Vater) habe nicht gewollt, dass sie heirate (gemeint: den J N).

Am 6. Dezember 2005 haben die Beschwerdeführerin und J N am Standesamt der Gemeinde A die Ehe geschlossen (Heiratsurkunde Nr. 19/2005 des Standesamtsverbandes A).

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach "Serbien Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Serbien Provinz Kosovo" aus (Spruchpunkt III.).

Wie in der Beweiswürdigung erörtert worden sei, sei dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Bestehens der Gefahr einer Verfolgung in "Serbien Provinz Kosovo" die Glaubwürdigkeit abzusprechen; die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes könne ausgeschlossen werden. Bei der Beschwerdeführerin würden keine individuellen Umstände vorliegen, die dafür sprechen würden, dass sie bei ihrer Rückkehr in den Kosovo in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstelle.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie legte darin die Gründe, die sie bewogen hätten, ihr Heimatland zu verlassen, sehr ausführlich (sechs Seiten in albanischer Sprache) dar.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ohne Durchführung einer Verhandlung "gem. §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG" ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, sie komme "auch" zu dem klaren Ergebnis, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin erkennbar mit der Wahrheit nicht übereinstimme; nach der "festen Überzeugung" der belangten Behörde habe die Beschwerdeführerin den Kosovo aus anderen Gründen verlassen, nämlich um - aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen der Beziehung zu ihrem in Österreich aufhältigen "Lebensgefährten N J" - durch Asylantragstellung den Aufenthalt zu erzwingen. Zusätzlich zu den vom Bundesasylamt angestellten beweiswürdigenden Überlegungen, warum das Vorbringen "nicht glaubhaft wird", verweise die belangte Behörde ergänzend auf die danach (auf den Seiten 4 bis 6) dargestellten Erwägungen. Die belangte Behörde gelangte schließlich aufgrund dieser Erwägungen zu dem Ergebnis, dass der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden könne. Zur Abweisung des Asylantrages führte die belangte Behörde (unter anderem) aus, die Beschwerdeführerin habe asylrelevante Gründe "zum Verlassen des Kosovo" nicht einmal behauptet; die vom Vater ausgehende Bedrohung sei aus den dargestellten Gründen unglaubwürdig. Hinsichtlich des Ausspruches nach § 8 Abs. 1 AsylG ging die belangte Behörde davon aus, dass für die Beschwerdeführerin "derart exzeptionelle Umstände, die eine Rückführung in den Kosovo als unmöglich erscheinen ließen, schlichtweg nicht nachvollziehbar seien, da angesichts obiger Überlegungen die vorgetragene individuelle Verfolgungsgefährdung völlig unglaubwürdig ist". Dem Bundesasylamt könne auch nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausgegangen sei, dass Art. 8 EMRK der zwingend vorzunehmenden Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG nicht entgegenstehe. Da das Aufenthaltsrecht einzig auf einem unbegründeten Asylantrag der Beschwerdeführerin beruhe, würden die öffentlichen Interessen an der Ausweisung zweifelsfrei überwiegen, zumal nicht vorgebracht worden sei, "worin die massive Bindung zum Bundesgebiet bestünde".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde geltend und ist damit im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z 43 a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. zuletzt etwa das - bereits zum AsylG 2005 ergangene - hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217, und die darin angegebene, zum AsylG ergangene Judikatur).

Die belangte Behörde führte zunächst aus, sie komme "auch zum klaren Ergebnis" der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin. Sie erachtete die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesasylamtes allerdings nicht für ausreichend, sondern nahm "zusätzlich" eine umfangreiche (insgesamt drei Seiten der Begründung des angefochtenen Bescheides umfassende) Bewertung der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Ausreisegründe vor. Im Rahmen dieser Beweiswürdigung verwertete die belangte Behörde u. a. auch Ergebnisse aus dem Verfahren des Ehegatten J N. Ihre eigene, zusätzliche Beweiswürdigung hätte die belangte Behörde aber nicht ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung vornehmen dürfen (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0106, und vom 9. Mai 2006, Zl. 2006/01/0096).

Ist die solcherart nicht in einem mängelfreien Verfahren zustande gekommene Asyl- und Refoulemententscheidung aufzuheben, dann fehlt schon aus diesem Grund der bestätigten Entscheidung über die Ausweisung der Beschwerdeführerin die Grundlage.

Insoweit im angefochtenen Bescheid die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Ausweisung übernommen wurde, ließ die belangte Behörde dabei zudem unberücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin am 6. Dezember 2005 mit J N die Ehe geschlossen hat und mit ihrem Ehegatten in Österreich zusammenlebt. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten bzw. auch des hg. Beschwerdeverfahrens Zl. 2006/01/0134 betreffend J N wurde (dieser Aktenlage nach) eine Ausweisung des Ehegatten der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht verfügt. Die im angefochtnen Bescheid verfügte Ausweisung, die es möglich erscheinen lässt, dass allein die Beschwerdeführerin ohne ihren Ehegatten das Bundesgebiet zu verlassen hätte ("partielle Ausweisung"), würde - entgegen der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides - einen Eingriff in das Familienleben darstellen. Dieser Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben der Beschwerdeführerin bedürfte einer Rechtfertigung, welche der Bescheid jedoch nicht enthält (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2008, Zlen. 2007/01/1060 bis 1062, mwN).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr.455/2008.

Wien, am 15. Jänner 2009

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