Normen
StbG 1985 §20 Abs2 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs5 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs2 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs3 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §20 Abs5 idF 1998/I/124;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Kroatien und Bosnien-Herzegowina, beantragte am 18. November 2004 die Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach ihrem Ehegatten.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. Februar 2005 wurde der Beschwerdeführerin die Erstreckung der Verleihung für den Fall zugesichert, dass sie binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem kroatischen Staatsverband erbringe. Am 16. Juni 2006 legte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde einen Bescheid des Ministeriums für innere Angelegenheiten der Republik Kroatien vom 9. Mai 2006 vor, wonach sie aus dem kroatischen Staatsverband ausgeschieden sei.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 12. Juli 2006 wurde gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b Exekutionsordnung erlassen, mit dem diesem die Rückkehr in die eheliche Wohnung und deren unmittelbare Umgebung sowie eine Kontaktaufnahme zur Beschwerdeführerin und den drei gemeinsamen Kindern bis zur rechtskräftigen Erledigung des anhängigen Scheidungsverfahrens verboten wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde
- der Bescheid über die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 21. Februar 2005 gemäß § 20 Abs. 2 StbG hinsichtlich der Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Beschwerdeführerin widerrufen und
- der Antrag auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 16 StbG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass seit dem 12. Juli 2006 kein gemeinsamer Haushalt der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten bestehe, wodurch eine zwingende Voraussetzung zur Erstreckung der Verleihung nach Ausfolgung des Zusicherungsbescheids weggefallen sei. Daher sei die Zusicherung der Erstreckung der Verleihung zu widerrufen und der Antrag auf Erstreckung der Staatsbürgerschaft "mangels Vorliegens des gemeinsamen Haushalts gemäß § 16 StbG" abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, also in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG), lauten:
"§ 16. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs 3 auf seinen mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu erstrecken, wenn
1. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist;
…
§ 20. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn
…
(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde
1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder
2. nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren.
(4) …
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten auch für die Erstreckung der Verleihung."
§ 64a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung der - am 23. März 2006 in Kraft getretenen - Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, lautet:
"In-Kraft-Treten und Übergangsbestimmungen
§ 64a. …
(4) Verfahren auf Grund eines vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I. Nr 37/2006 erlassenen Zusicherungsbescheides nach § 20 Abs. 1 sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der vor der durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr 37/2006 geänderten Fassung zu Ende zu führen."
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G 154/10-8, kundgemacht am 30. November 2011 im BGBl. I Nr. 111/2011 § 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006 als verfassungswidrig aufgehoben (Spruchpunkt I.). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 2012 in Kraft tritt (Spruchpunkt II.), die Vorschrift auch auf die am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist (Spruchpunkt III.) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (Spruchpunkt IV.).
2. § 20 StbG steht seit der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 124/1998 unverändert in Geltung. Der Ausspruch, dass die als verfassungswidrig aufgehobene Vorschrift des § 20 Abs. 2 StbG auf die am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist, bewirkte daher eine Erstreckung der Anlassfallwirkung auch auf den vorliegenden Beschwerdefall, sodass die Anwendung des § 20 Abs. 2 StbG im vorliegenden Fall ausgeschlossen ist (vgl. in diesem Sinne zu § 120 Abs. 4 FPG das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2011/21/0056, mwN).
Dem auf die aufgehobene Bestimmung gestützten Widerruf der Zusicherung der Staatsbürgerschaft mangelt es demnach an der gesetzlichen Grundlage, sodass sich der angefochtene Bescheid in diesem Umfang als inhaltlich rechtswidrig erweist.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat in den Erwägungsgründen des erwähnten Erkenntnisses vom 29. September 2011 ausgeführt, "dass § 20 Abs. 3 StbG, wonach die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, zu verleihen ist, sobald der Fremde aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren, nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Voraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt" (Rz. 30 und 31).
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Erwägungen, die in Ansehung des § 20 Abs. 5 StbG auch für die Erstreckung der Verleihung gelten, an.
Davon ausgehend erweist sich der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Abweisung des Erstreckungsantrages der Beschwerdeführerin als inhaltlich rechtswidrig.
4. Die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Zusicherungsbescheid durch eine Abweisung des Verleihungsansuchens auch ohne ausdrücklichen Widerruf gegenstandslos werden kann (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. April 2009, Zl. 2007/01/0260, mwN), wird angesichts der Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG nicht aufrecht erhalten.
5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 14. Dezember 2011
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