VwGH 2006/12/0118

VwGH2006/12/011831.1.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Nowakowski, Dr. Thoma und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des MB in O, vertreten durch Dr. Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Justiz vom 11. Mai 2006, Zl. BMJ-A20227/0003-Pr 7/2005, betreffend Sonderurlaub (§ 74 BDG 1979), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
BDG 1979 §74 Abs3;
BDG 1979 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §68 Abs1;
BDG 1979 §74 Abs3;
BDG 1979 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Amtsdirektor (Rechtspfleger) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist das Oberlandesgericht Wien, wo er in der Personaleinsatzgruppe (Grundbuchsabteilung) tätig ist.

Er beantragte mit Schreiben vom 15. Juni 2005 die Genehmigung eines Sonderurlaubes für die Zeit vom 10. Oktober 2005 bis 21. Oktober 2005 zwecks Teilnahme am "Specialisation Course on EU-UN Co-operation, Italy 2005" und mit Schreiben vom 11. Juli 2005 die Genehmigung eines Sonderurlaubes für die Zeit vom 17. September 2005 bis 25. September 2005 zwecks Teilnahme am "Training Course on Civil-Military Coordination" in Schweden.

Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 20. September 2005 wurden - nach Gewährung von Parteiengehör - die in Rede stehenden Anträge gemäß § 74 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (im Folgenden: BDG 1979), abgewiesen. Der Bewilligung des Sonderurlaubes stünden folgende zwingende dienstliche Interessen entgegen:

"In der Personaleinsatzgruppe (Grundbuchsabteilung) beim

Oberlandesgericht Wien stehen derzeit einschließlich des Leiters

ADir.RegRat A 17 GrundbuchsrechtspflegerInnen mit einer

Gesamtarbeitskapazität von 16,5 RechtspflegerInnen im Einsatz. Mit

diesen RechtspflegerInnen müssen

a) die derzeit unbesetzten bzw. lediglich mit

Anwärtern besetzten Planstellen

b) die infolge Mutterschutzfrist, Karenz bzw.

Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit abwesenden

RechtspflegerInnen

c) die infolge Erkrankung längerfristig

dienstabwesenden RechtspflegerInnen abgedeckt und weiters

d) die Zusammenlegungsverfahren (Operate) durchgeführt

werden.

Derzeit stehen den 16,5 Rechtspflegerkapazitäten

3 unbesetzte Planstellen (BG Baden,

BG Donaustadt und BG Favoriten sowie BG Leopoldstadt und

BG Josefstadt)

2 nur mit Rechtspflegeranwärtern besetzte

Planstellen, wobei die Anwärter seit 7.9.2005 den

Arbeitsgebietslehrgang besuchen (BG Innere Stadt Wien und

BG Ebreichsdorf)

9 Dienstabwesenheiten infolge Mutterschutzfrist,

Karenz und Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit gemäß § 50 b BDG 1979 (mit einer Gesamtarbeitskapazität von 7 Grundbuchsrechtspflegern) und zwar:

Mutterschutzfrist bzw. Karenz:

Beamtin B des BG Josefstadt

(je 50 % Grundbuchs- und Exekutionsrechtspflegerin)

ADir. C des BG Mistelbach

(je 50 % Grundbuchs- und Exekutionsrechtspflegerin)

ADir. D des Bezirksgerichtes Fünfhaus

ADir. E des Bezirksgerichtes Hernals

Beamtin F des Bezirksgerichtes Donaustadt

Beamtin G des Bezirksgerichtes Melk

Beamtin H des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit gemäß § 50 b BDG 1979 (Rechtsanspruch):

Beamtin I des Bezirksgerichtes Klosterneuburg (derzeit Herabsetzung auf 50 %, ab 12.11.2005 in Mutterschutzfrist)

Beamtin J des Bezirksgerichtes Haag (derzeit Herabsetzung auf 50 %, ab 24.11.2005 in Mutterschutzfrist)

sowie

1 langfristige Erkrankung (ADir. K des Bezirksgerichtes Hietzing) mit voraussichtlicher

Ruhestandsversetzung mit Ablauf des 30.9.2005

gegenüber.

Zur Abdeckung weiterer unvorhersehbarer Ausfälle und zur Durchführung von Zusammenlegungsverfahren stehen nur mehr 3,5 Rechtspflegerkapazitäten der PEG (Grundbuchsabteilung) zur Verfügung.

Da die Rechtspfleger der Grundbuchsabteilung überwiegend Ausfälle (unbesetzte Planstellen, Mutterschutzfristen, Karenzen, Herabsetzungen der regelmäßigen Wochendienstzeit gem. § 50b BDG 1979, Erkrankungen usw.) abdecken müssen, verbleibt schon beim jetzigen Personalstand nur mehr eine geringe Kapazität zur Durchführung der Operate. Laut tel. Auskunft des ADir.RegRat A waren daher im August 2005 42 Operate unerledigt:

8 aus dem Jahr 2003

21 aus dem Jahr 2004 und 13 aus dem Jahr 2005."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Für die beantragten Zeiten des Sonderurlaubes nahm er Erholungsurlaub in Anspruch.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. Mai 2006 wurde dieser Berufung nicht Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In der Begründung dieses Bescheides teilte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensganges sowie der angewendeten Rechtsvorschriften die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde, wonach aus den von ihr dargelegten Gründen der beantragte Sonderurlaub gemäß § 74 Abs. 3 BDG 1979 zu versagen sei. Die belangte Behörde führte in diesem Zusammenhang Folgendes aus:

"... Völlig zutreffend führte die erste Instanz hiezu aus,

dass die primäre Aufgabe der Justizverwaltung und ihrer Organe in der Gewährleistung der personellen und sachlichen Voraussetzungen für einen qualitätsvollen Betrieb der Gerichte und Staatanwaltschaften unter Beachtung der Gesetzmäßigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit liege. Neben der Gesetzeskonformität gerichtlicher Entscheidungen komme vor allem einer angemessenen Dauer gerichtlicher Verfahren zentrale Bedeutung zu, wobei auf eine gleichmäßige und angemessene Auslastung aller Bediensteten sowie die Beibehaltung eines hohen Kostendeckungsgrades zu achten sei.

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen einerseits und der sich aus den unbekämpft gebliebenen Feststellungen ableitbaren und vom BW sogar ausdrücklich zugestandenen Personalknappheit im Bereich der Personaleinsatzgruppe der Grundrechtspfleger beim Oberlandesgericht Wien andererseits kommt die erste Instanz zu dem zutreffenden Schluss, dass eine weitere (wenn auch nur temporäre) Verminderung der personellen Ressourcen im Grundbuchsrechtspflegerbereich durch die Bewilligung weiterer Sonderurlaube den dienstlichen Interessen zwingend entgegen steht. Dies dokumentiert bereits der bloße Umstand, dass zur Abdeckung weiterer unvorhersehbarer Ausfälle und zur Durchführung der Zusammenlegungsverfahren gegenwärtig lediglich 3,5 Rechtspflegerkapazitäten zur Verfügung stehen. Dieser personelle Engpass hatte bereits zur Folge, dass von den durchzuführenden Operaten im August 2005 42 unerledigt waren, wobei nicht weniger als acht offene Operate noch aus dem Jahr 2003 stammen. Jede weitere durch Sonderurlaube bedingte Minderung der Arbeitsleistung der Dienststelle hätte überdies zusätzliche, nicht mehr zumutbare Belastungen der übrigen Grundbuchsrechtspfleger zur Folge. Derartige, durch einen Beamten begünstigende Personalmaßnahmen für einen Zweck, der nicht zum Kernbereich der Aufgaben der Dienststelle gehört, verursachte Überbelastungen anderer Mitarbeiter sind geeignet, den Betriebsfrieden zu stören. Gerade die Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens begründet aber ein zwingendes dienstliches Interesse iS. des § 74 Abs. 3 BDG 1979.

Was die Argumentation des BW anbelangt, wonach die Belastung der Grundbuchsabteilung kein nach § 74 Abs. 3 BDG 1979 zwingendes dienstliches Interesse darstelle, weil es auf die Grundbuchsabteilung und nicht auf seine Person abstelle, so hielt ihm die Dienstbehörde erster Instanz zutreffend entgegen, dass bei der Prüfung der dienstlichen Interessen auf das Funktionieren der gesamten Grundbuchsabteilung beim Oberlandesgericht Wien abzustellen ist, wozu aber selbstverständlich jeder einzelne Mitarbeiter dieser Grundbuchsabteilung zählt. Wenn der BW nun vermeint, dass die entgegen stehenden zwingenden dienstlichen Interessen ausschließlich auf die Person des Antragstellers beschränkt seien, so verkennt er damit die Ratio des § 74 Abs. 3 BDG 1979. Tatsächlich ist jeweils zu prüfen, ob auf die Arbeitsleistung des einzelnen Bediensteten verzichtet werden kann, ohne dadurch dienstliche Interessen (welcher Art auch immer) zu beeinträchtigen bzw. zu gefährden. Ausgehend von den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ist es unstrittig, dass die bestehenden Personalengpässe in der Grundbuchsabteilung beim Oberlandesgericht Wien und die sich daraus ergebenden Rückstände bei den durchzuführenden Zusammenlegungsverfahren dienstliche Erfordernisse darstellen, die einer (weiteren) Abwesenheit des BW zwingend entgegen stehen.

Wenn der BW in seiner Berufung ins Treffen führt, dass die Dienstbehörde gegen eine Genehmigung von Erholungsurlaub für die angesprochenen Zeiträume keine Einwände erhoben habe, was dem zwingenden Erfordernis des § 74 Abs. 3 BDG 1979 entgegen laufe, so verkennt er dabei, dass anders als bei Sonderurlaub auf die Gewährung von Erholungsurlaub gemäß § 64 BDG 1979 ein Rechtsanspruch besteht. ..."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 74 Abs. 1 bis 3 BDG 1979 in der Stammfassung der

wiedergegebenen Absätze lautet:

"Sonderurlaub

§ 74. (1) Dem Beamten kann auf sein Ansuchen aus wichtigen persönlichen oder familiären Gründen oder aus einem sonstigen besonderen Anlass ein Sonderurlaub gewährt werden.

(2) Für die Zeit des Sonderurlaubes behält der Beamte den Anspruch auf die vollen Bezüge.

(3) Der Sonderurlaub darf nur gewährt werden, wenn keine zwingenden dienstlichen Erfordernisse entgegenstehen, und darf die dem Anlass angemessene Dauer nicht übersteigen."

Zum Fortbestand eines rechtlichen Interesses des Beschwerdeführers an einer Entscheidung über seine Anträge ungeachtet des Verstreichens der Zeiträume, für die Sonderurlaub begehrt wurde, genügt es, auf den Umstand, dass er für die genannten Zeiträume Erholungsurlaub konsumiert hat, sowie gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 2003, Zl. 2000/12/0047, und vom 15. April 2005, Zl. 2004/12/0162, zu verweisen.

Vorliegendenfalls ist die belangte Behörde in eine Ermessensübung gemäß § 74 Abs. 1 BDG 1979 gar nicht eingetreten, sondern hat die Abweisung der Anträge des Beschwerdeführers ausschließlich damit begründet, dass gemäß § 74 Abs. 3 BDG 1979 der Gewährung des Sonderurlaubes zwingende dienstliche Erfordernisse entgegen stünden.

Diese Auffassung ist jedoch auf Basis der von der belangten Behörde getroffenen Sachverhaltsfeststellungen unzutreffend:

Unter zwingenden dienstlichen Gründen dürfen nur wesentliche und schwer wiegende dienstliche Erfordernisse verstanden werden, durch die der Dienstgeber gleichsam gezwungen wird, auf die Arbeitskraft des Bediensteten im entsprechenden Zeitraum nicht verzichten zu können (vgl. zur gleichen Wortfolge in § 79 BDG 1979 das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1989, Zl. 88/12/0183).

Nach Auffassung der belangten Behörde bestand das zwingende dienstliche Interesse hier darin, dass im Hinblick auf die im erstinstanzlichen Bescheid dargelegten Vertretungsfälle nur noch 3,5 Rechtspflegerkapazitäten bestünden, um zum einen "weitere unvorhersehbare Ausfälle" abzudecken und zum anderen die anhängigen Operate (Zusammenlegungsverfahren) durchzuführen.

Im Hinblick auf die im erstinstanzlichen Bescheid angeführten Aufgaben der Abteilung, welcher der Beschwerdeführer angehört, kämen - von einem Zeitpunkt vor dem geplanten Antritt der beantragten Sonderurlaube aus betrachtet - als unvorhergesehene Ausfälle wohl nur (weitere) längerfristige Erkrankungen von Grundbuchsrechtspflegern in Betracht. Bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (20. September 2005) lag lediglich eine derartige Erkrankung vor. Dass mit einer beträchtlichen statistischen Wahrscheinlichkeit innerhalb des folgenden Monates mit über drei weiteren derartigen Ausfällen zu rechnen sein werde, wurde von der erstinstanzlichen Behörde nicht dargetan. Ebenso wenig finden sich diesbezügliche Ausführungen im angefochtenen Bescheid; schon gar nicht wird dort dargelegt, dass sich ein entsprechendes Risiko während der Zeit des vom Beschwerdeführer beantragten Sonderurlaubes etwa tatsächlich verwirklicht hätte. Schließlich hätte das tatsächliche Auftreten zusätzlicher Ausfälle auch eine Durchbrechung der Rechtskraft der auf Basis der festgestellten Situation noch gebotenen Bewilligung bewirken und zu einer Neuentscheidung in Richtung einer Versagung führen können.

Vor diesem Hintergrund bleibt noch die - nicht unwichtige - Zielsetzung einer zügigen Fertigstellung der aus den Jahren 2003 bis 2005 anhängigen Operate (Zusammenlegungsverfahren). Dass das daraus resultierende Interesse an einer Zuführung der Arbeitskraft des Beschwerdeführers während der Dauer der beantragten Sonderurlaube zu diesem Projekt jedoch zwingend gewesen wäre, vermag der Verwaltungsgerichtshof - in Ermangelung von Feststellungen, wonach gerade infolge des durch die Abwesenheit des Beschwerdeführers bedingten (im Vergleich zur bisherigen Dauer der Verfahren vom zeitlichen Ausmaß her wohl nur mehr unbedeutenden) weiteren Verzuges besondere Nachteile gedroht hätten - jedoch nicht zu erkennen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 31. Jänner 2007

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