VwGH 2006/04/0177

VwGH2006/04/017715.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X in Y, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 13. September 2006, Zl. uvs- 2006/16/2420 + 2421-3, betreffend Betriebsanlagengenehmigung (mitbeteiligte Partei: A GmbH; weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §356 Abs1;
GewO 1994 §75 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
GewO 1994 §356 Abs1;
GewO 1994 §75 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Mitbeteiligte suchte am 28. April 2006 mit getrennten Anträgen um die Erteilung der Betriebsanlagengenehmigung für den Neubau einer Produktionsstätte für Backwaren sowie einen Gastgewerbebetrieb in der Betriebsart Cafe an einem näher genannten Standort bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck (BH) an. Zur gemeinsamen Verhandlung über diese beiden Anträge am 31. Mai 2006 wurde (unter anderem) der Eigentümer des im Westen an das Betriebsgrundstück unmittelbar angrenzenden Grundstückes geladen, nicht jedoch der Beschwerdeführer als Pächter der auf diesem Grundstück befindlichen O-Tankstelle. Ein Anschlag der Kundmachung im Tankstellengebäude ist nicht aktenkundig. Mit Eingabe vom 19. Juni 2006 erhob der Beschwerdeführer erstmals Einwendungen gegen die Vorhaben. Zur Rechtzeitigkeit seiner Einwendungen brachte er vor, der Verhandlungsgegenstand sei in der Kundmachung nicht ordnungsgemäß umschrieben gewesen und er sei weder persönlich verständigt worden, noch sei ein Anschlag im Haus erfolgt. Er sei in der Tankstelle tätig und halte sich dort mehrere Stunden täglich, also nicht bloß vorübergehend auf. Er sei Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994. Im Übrigen erhob er Einwendungen wegen Lärm, Staub, Geruch etc..

Die BH erteilte mit Bescheiden vom 1. August 2006 die beantragten Genehmigungen, wobei sie sich im Wesentlichen auf das in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2006 eingeholte gewerbetechnische Gutachten stützte, demzufolge alle Emissionen der Betriebsanlage dem Stand der Technik entsprechend begrenzt würden, Lärm- und Geruchsbelästigungen nicht aufträten und vor allem die Lärmbelästigungen im Umgebungslärm untergingen. Die Betriebsanlage liege an der stark befahrenden S 16 Arlberg Schnellstraße und es würden jegliche Emissionen im Zusammenhang mit dem Verkehrsaufkommen durch Zu- und Abfahren zur Betriebsanlage die örtlichen Verhältnisse nicht ändern.

In seinen inhaltlich gleichlautenden Berufungen wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen in den Einwendungen und brachte darüber hinaus vor, die BH habe zu Unrecht über die beiden Projektteile getrennt abgesprochen und damit gegen den Grundsatz der Einheit der Betriebsanlage verstoßen. Sie habe sich mit dem Einwand der Beeinträchtigung durch Immissionen in der Errichtungsphase nicht auseinander gesetzt. Überdies sei das Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen unzureichend, weil der Istzustand nicht erhoben und eine Quantifizierung der Immissionen der Betriebsanlage nicht erfolgt sei. Eine Entgegnung auf gleicher fachlicher Ebene sei auf Grund dieser Mängel des Gutachtens nicht erforderlich. Im Übrigen sei auch ein medizinisches Gutachten nicht eingeholt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufungen des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde aus, die verfahrensgegenständliche Tankstelle sei nur als Dienstleistungsbetrieb anzusehen, deren Pächter - der Beschwerdeführer - laut eigenen Angaben dort nur arbeite, aber nicht wohne. Er sei daher nicht als Nachbar im Sinn des § 75 GewO 1994 anzusehen und habe daher auch trotz Erhebung von Einwendungen keine Parteistellung. Demnach habe er auch keine Beschwer hinsichtlich der behaupteten unzulänglichen Ermittlungen bzw. des Nichtanschlages der Kundmachungen. Wenn schon der Eigentümerin der Tankstelle kein Einwendungsrecht im Sinne des § 75 GewO 1994 für ihre Arbeitnehmer bzw. ihren Pächter zukomme, komme umso weniger dem Pächter als nur vorübergehend während der Arbeit aufhältigen Person ein Einwendungsrecht im Sinne des § 74 Abs. 1 Z. 1 und 2 GewO 1994 zu. Durch die angebliche Unterlassung des Anschlages bzw. gezielter Gutachten des Gewerbetechnikers zu den Belästigungsmöglichkeiten seiner Person habe er daher keine Beschwer. Im Übrigen könne die Einschätzung des Gewerbetechnikers, die Immissionsbelastungen der Bäckerei und des Gastbetriebes würden im hohen Umgebungsgeräuschpegel der Bundesstraße untergehen, keinen Bedenken begegnen. Der Zu- und Abfahrtslärm der zur Tankstelle zu- und abfahrenden PKW und LKW werde für den Pächter stärker hörbar sein als der Betriebslärm der Bäckerei und des Gastgewerbebetriebes. Die Berufungen seien daher abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte Kostenzuspruch für den Fall des Obsiegens. Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 42 Abs. 1 AVG hat die Kundmachung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form zufolge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt.

Gemäß § 41 Abs. 1 AVG hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch persönliche Verständigung der bekannten Beteiligten zu erfolgen. Wenn auch andere Personen als Beteiligte in Betracht kommen, ist die Verhandlung überdies durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarungen der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung kundzumachen.

Gemäß § 356 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn sie eine mündliche Verhandlung anberaumt, dem Nachbarn Gegenstand, Zeit und Ort der Verhandlung sowie die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Parteistellung (§ 42 AVG) durch Anschlag in der Gemeinde (§ 41 AVG) und durch Anschlag in dem der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern bekannt zu geben. Statt durch Hausanschlag kann die Bekanntgabe aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit durch persönliche Verständigung der Nachbarn erfolgen. Der Eigentümer des Betriebsgrundstückes und die Eigentümer der an dieses Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke sind persönlich zu laden.

Nach diesen Bestimmungen folgt, dass der Nachbar bei einer zur Genehmigung beantragten Betriebsanlage seine Stellung als Partei in diesem Genehmigungsverfahren verliert, wenn er nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt, vorausgesetzt, die Verhandlung wurde in einer Art und Weise kundgemacht, die sowohl den Vorschriften des § 41 Abs. 1 zweiter Satz AVG (Anschlag in der Gemeinde oder Verlautbarungen in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung) als auch den (besonderen) Kundmachungsvorschriften des § 356 Abs. 1 GewO 1994 (Anschlag in der Gemeinde und Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern, soweit nicht eine persönliche Verständigung in Betracht kommt) entsprach.

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass der Beschwerdeführer Pächter der dem Betriebsgrundstück benachbarten O-Tankstelle ist, die das nächstgelegene Nachbargebäude zur Betriebsanlage darstellt. Er wurde nicht persönlich zur Verhandlung geladen. Die Verwaltungsakten enthalten auch keinen Hinweis darauf, dass ein Anschlag der Kundmachung im Tankstellengebäude erfolgt ist.

Der Beschwerdeführer bringt, wie bereits im Verwaltungsverfahren, vor, er halte sich als Pächter der Tankstelle mehrere Stunden täglich in dieser auf, weshalb er Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 sei. Demgegenüber vertritt die belangte Behörde die Ansicht, der Beschwerdeführer sei nicht als Nachbar anzusehen, weil er in der Tankstelle lediglich arbeite, aber nicht wohne.

Gemäß § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen.

Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes sind gemäß § 75 Abs. 2 GewO 1994 alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe der Betriebsanlage aufhalten und nicht im Sinne des vorherigen Satzes dinglich berechtigt sind. Als Nachbarn gelten jedoch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben, Krankenanstalten und Heimen, regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen und die Erhaltung von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 - nicht bloß vorübergehender Aufenthalt vorausgesetzt - jede Person anzusehen, die sich (rechtmäßig) in der Nähe der Betriebsanlage aufhält, und zwar ohne Rücksicht auf den ihrem Aufenthalt zu Grunde liegenden Rechtstitel (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/04/0016; siehe auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, Rz 7 zu §75).

Der Beschwerdeführer ist Pächter einer Tankstelle auf dem der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Grundstück, in der er regelmäßig arbeitet und hält sich daher nicht nur vorübergehend auf diesem Grundstück auf. Der Beschwerdeführer ist daher als Nachbar anzusehen und hat - im Hinblick auf die nicht erfolgte Verständigung von der mündlichen Verhandlung - seine Parteistellung nicht verloren.

Soweit die belangte Behörde in ihren weiteren Ausführungen zur Einschätzung des gewerbetechnischen Sachverständigen hinsichtlich der Immissionsbelastungen der Bäckerei und des Gastbetriebes Stellung nahm und eine Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch den Betriebslärm der Bäckerei und des Gastgewerbebetriebes verneinte, ist abschließend noch Folgendes zu bemerken:

Die gutachterliche Stellungnahme des gewerbetechnischen Sachverständigen anlässlich der mündlichen Verhandlung, wie sie auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid wiedergegeben wurde, erschöpfte sich darin, auf Grund der günstigen Situierung der Betriebsanlage zwischen der S 16 Arlberger Schnellstraße der Bahntrasse der ÖBB an der Nordseite sowie dem Betrieb der benachbarten O-Tankstelle sei davon auszugehen, dass sämtliche Emissionen, die von dieser Betriebsanlage ausgehen werden, insbesondere Staub, Lärm und Geruch, die örtlichen Verhältnisse nicht verändern werden. Die Heizungsanlage entspreche dem Stand der Technik, auf die Einhaltung der Bestimmungen der Feuerungsanlagenverordnung, der Heizungsanlagenverordnung 2001 werde hingewiesen. Die Ofengruppe, die Lüftungsanlagen, die Kälteanlagen und sonstigen technischen Anlagenteile entsprechen dem Stand der Technik.

In diesem Gutachten ist jedoch weder eine (konkrete) Auseinandersetzung mit den bestehenden örtlichen Verhältnissen noch mit den von der Betriebsanlage ausgehenden zu erwartenden Emissionen erfolgt, die eine Überprüfung des Gutachtens auf seine Schlüssigkeit ermöglichen würde.

Nach dem oben Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. September 2011

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