Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, reiste am 12. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Er werde auf Grund seiner politischen Tätigkeit für die "Unabhängige Studentenunion", deren Mitglied er sei, von sudanesischen Behörden verfolgt. Er sei deshalb bereits zweimal inhaftiert und während der Haft misshandelt worden. Im April 2000 sei er unter der Bedingung freigelassen worden, mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten und Informationen über seine Organisation und deren Mitglieder weiterzugeben. Dies habe er nicht getan, sondern sich rund einen Monat in Khartoum versteckt gehalten. Sodann sei er im Juni 2000 aus dem Sudan ausgereist.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 28. November 2000 diesen Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine dagegen erhobene Berufung nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 27. August 2003 und 24. Mai 2006 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 für zulässig (Spruchpunkt II.).
In ihrer Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer "im Sudan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt" (gewesen) sei. Diese Annahme stützte die belangte Behörde auf folgende - hier vollständig wiedergegebene - beweiswürdigende Überlegungen:
"Die Feststellungen zum Fehlen einer individuellen Bedrohungssituation des Berufungswerbers gründen sich auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens aufgrund der Beurteilung der Aussagen des Berufungswerbers im erstinstanzlichen Verfahren und in den mündlichen Berufungsverhandlungen aufgrund der zu Tage getretenen Widersprüche.
Der Berufungswerber hat zu seinen Fluchtgründen angegeben, Mitglied einer näher bezeichneten Studentenvereinigung zu sein. Während des Verteilens von Flugblättern nach einer Studentendemonstration sei er im Juli 1999 erstmals und in weiterer Folge im April 2000 in seinem Haus abermals festgenommen worden.
Hinsichtlich des Ortes der Anhaltungen gab der Berufungswerber sowohl in der Vernehmung vor dem Bundesasylamt als auch in den einzelnen Berufungsverhandlungen jeweils andere Orte bzw. Bezeichnungen der Polizeistationen an. Nach Aussage des den Berufungsverhandlungen beigezogenen Sachverständigen ist eine Verwechslung der verschiedenen Gefängnisse bzw. Polizeistationen, für jemanden der tatsächlich inhaftiert war, nicht möglich.
Befragt nach den Zielen der Studentenvereinigung, deren Mitglied der Berufungswerber vorgab, gewesen zu sein, konnte er in der ersten Berufungsverhandlung im Gegensatz zur zweiten Berufungsverhandlung keine korrekten Angaben machen.
Bezüglich des Aussehens des von ihm verteilten Flugblattes konnte der Berufungswerber vor dem Bundesasylamt keine Angaben machen und gab vor, dieses nicht einmal gelesen zu haben. In der ersten Berufungsverhandlung konnte er das Flugblatt relativ detailliert beschreiben. In der zweiten Berufungsverhandlung erfolgte wiederum eine relativ detaillierte Beschreibung, diese wich allerdings eklatant in wesentlichen Punkten von der in der ersten Berufungsverhandlung ausgeführten Beschreibung ab, dies auch hinsichtlich des Aussehens des Siegels der genannten Studentenvereinigung.
In Hinblick auf die Beschreibung des Druckverfahrens der Flugblätter, die der Berufungswerber in beiden Berufungsverhandlungen zu beschreiben wusste, muss angemerkt werden, dass es sich nach Aussage des Sachverständigen um eine im Sudan allgemein gebräuchliche Vervielfältigungsmethode handelt.
Die dargestellten Abweichungen zeigen deutlich, dass offenkundig die dargestellten Bedrohungssituationen nicht stattgefunden haben. Es entspricht nämlich den Erfahrungen bei Asyleinvernahmen, dass einem tatsächlich Bedrohten die näheren Umstände der geschilderten Verfolgungshandlungen sehr genau erinnerlich sind, so beispielsweise betreffend den Ort seiner Anhaltung. Ein Irrtum darüber bzw. - nicht erklärbare - diesbezügliche Erinnerungslücken sind nach Auffassung der Berufungsbehörde genauso wenig plausibel, wie das Austauschen von Fluchtgründen sowie eine Steigerung im Vorbringen.
Insgesamt erweist sich das Vorbringen des Berufungswerbers zu einer Bedrohungssituation schon aus diesen Gründen als vollkommen unglaubwürdig."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
1. Die Beschwerde macht zunächst geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, einen vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen zu vernehmen. In der Bescheidbegründung werde auf diesen Beweisantrag nicht eingegangen. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat der Beschwerdeführer in einer am 9. April 2001 bei der belangten Behörde eingelangten Berufungsergänzung beantragt, einen in Österreich anerkannten Konventionsflüchtling, der mit Namen und Anschrift genannt wurde, als Zeugen anzuhören. Dieser sei als Mitglied der "Unabhängigen Studentenbewegung" im Sudan für längere Zeit aktiv gewesen, er könne bestätigen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers plausibel und glaubwürdig sei.
Die belangte Behörde hat diesem Beweisantrag weder entsprochen noch in der Begründung ihres Bescheides dargelegt, aus welchen Gründen der Aufnahme des Beweises keine Bedeutung für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zugekommen wäre. Ist aber nicht ersichtlich, dass die Aussage eines Zeugen von vornherein nicht geeignet ist, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, so stellt die begründungslose Unterlassung der Vernehmung dieses Zeugen nach ständiger hg. Rechtsprechung einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0342, vom 13. November 2007, Zl. 2007/18/0488, vom 26. September 2007, Zl. 2006/21/0158, vom 21. November 2006, Zl. 2003/21/0065, und vom 5. September 2006, Zl. 2005/18/0567).
2. Die Beschwerde macht weiters geltend, die belangte Behörde habe bei der Beweiswürdigung weder ein vom Beschwerdeführer vorgelegtes ärztliches Gutachten über seine Verletzungsfolgen infolge der erlittenen Misshandlungen noch ein psychologisches Gutachten über das Vorliegen einer schweren Depression und eines posttraumatischen Belastungssyndroms berücksichtigt. Auch dieser Einwand trifft im Ergebnis zu.
Der Beschwerdeführer hatte bereits in der Berufung vorgebracht, er sei während der Inhaftierungen misshandelt worden, die Spuren dieser Misshandlungen müssten noch nachweisbar sein. Er beantrage die Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. die Einräumung einer Frist, um selbst ein Gutachten vorlegen zu können. In weiterer Folge wurde mit der genannten Berufungsergänzung eine ärztliche Stellungnahme vom 27. Februar 2001 vorgelegt. Diese erachtete die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der erlittenen Misshandlungen (Schläge am ganzen Körper mit einem elektrischen Kabel; Verletzung mit einem Bajonett; Verbrennungen; sexueller Missbrauch) als "in guter Korrelation zum klinischen Befund" stehend, wobei "eine andere Ursache für die festgestellten Veränderungen, insbesondere in Zusammenhang mit dem Muskelriss am linken Oberschenkel" als ausgeschlossen erachtet werde. Auch eine "Selbsthinzufügung dieser Verletzung" sei unwahrscheinlich.
Weiters hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. April 2002 ein "Klinisch-Psychologisches Gutachten" vom 21. Mai 2001 vorgelegt. Dieses kommt zur Einschätzung, der psychische Zustand des Beschwerdeführers sei krankheitswertig, es liege eine schwere Depression ("Major Depression") sowie ein posttraumatisches Belastungssyndrom vor. Die Erkrankung stehe eindeutig in Zusammenhang mit den (vorgebrachten) traumatischen Ereignissen.
Im angefochtenen Bescheid finden diese Stellungnahmen nur insofern Erwähnung, als ausgeführt wird, aus den "der erkennenden Behörde vorgelegten ärztlichen Gutachten" gehe eine lebensbedrohende Erkrankung, die eine Abschiebung im Sinne von Art. 3 EMRK unzulässig machen könnte, nicht hervor. Nach den oben zur Gänze wiedergegebenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Stellungnahmen hingegen in ihre beweiswürdigende Beurteilung nicht einfließen lassen. Dem vorgelegten Verwaltungsakt lassen sich auch keine Hinweise darauf entnehmen, dass die belangte Behörde die genannten Stellungnahmen etwa in ihren Aussagen bezweifelt (und daher deren sachverständige Überprüfung veranlasst) hat.
Davon ausgehend ist die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid aber mangelhaft geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2009, Zl. 2007/19/1193, vom 20. Februar 2009, Zlen. 2007/19/0827 bis 0829, und vom 28. Juni 2005, Zl. 2005/01/0080, mwH), weiters auch darauf, dass es einer eingehenderen Begründung bedarf, um den Kausalitätszusammenhang zwischen der behaupteten Folter und den sichtbaren Narben schlüssig verneinen zu können, wenn durch ein Sachverständigengutachten die Möglichkeit eingeräumt wird, dass sichtbare Verletzungsfolgen auf Folter zurückzuführen seien (vgl. dazu das zum Asylgesetz 1991 ergangene hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, Zl. 95/01/0434).
3. Der angefochtene Bescheid kann schon aus diesen Gründen keinen Bestand haben und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 15. März 2010
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