Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 28. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein. In der Folge beantragte er die Gewährung von Asyl, was er - auf das Wesentliche zusammengefasst - damit begründete, dass er befürchte, einer "Blutrache" zum Opfer zu fallen. Vor ca. 50 bis 60 Jahren sei sein Onkel "von der Gegenseite" erschossen worden. Dann habe sein Vater "einen von ihnen" erschossen. Seit sechs oder sieben Jahren werde er (Beschwerdeführer) bedroht. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei würde er getötet werden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus.
Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur Türkei, in deren Rahmen es insbesondere die Bemühungen der türkischen Regierung zur Verhütung von Folter und Misshandlung durch Polizei und Sicherheitskräfte darstellte; ungeachtet dieser Bemühungen komme es immer noch zu zahlreichen Folterfällen und insbesondere Misshandlungen und es bedürfe weiterer Anstrengungen, um dies zu unterbinden. Unter der Überschrift "Probleme mit Dritten-Blutrache" hielt das Bundesasylamt fest:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 8.6.2000, Zl. 2000/20/0141, zur Türkei ausgeführt, dass aus dem Umstand, dass der türkische Staat bereits die Androhung einer schweren und rechtswidrigen Schadenszufügung strafgerichtlich verpöne, jedenfalls aber eine mit dem Motiv der Blutrache begangene Tötung mit der Todesstrafe bedrohe, abgeleitet werden könne, dass der türkische Staat gewillt sei, den erforderlichen Schutz zu gewähren. Der türkische Staat hat sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, vor den Gefahren einer befürchteten Blutrache ausreichend zu schützen.
Es bestehen somit keine Anhaltspunkte, dass der türkische Staat die behauptete Bedrohung durch rechtswidrige Handlungen von Seiten der Streitparteien billigen würde."
Das Vorbringen des Beschwerdeführers werde - so das Bundesasylamt weiter - als zu beurteilender Sachverhalt zu Grunde gelegt. Diesem Vorbringen (Morddrohungen durch die "gegnerische Familie") habe allerdings nun einerseits nicht entnommen werden können, dass dem Beschwerdeführer von Seiten Privater Verfolgung aus einem vom Schutzzweck der FlKonv umfassten Grund drohe; andererseits habe der Beschwerdeführer auch nicht dartun können, dass ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit - im gesamten Staatsgebiet der Türkei - eine Schutzgewährung vor solchen Übergriffen nunmehr seitens der Sicherheitsbehörden aus asylrelevantem Grund verwehrt werden würde. Es könne von den Behörden aber generell nicht verlangt werden, präventiv vor allen nur erdenklichen Unglücksfällen auch tatsächlich zu schützen. Somit komme weder die Gewährung von Asyl noch die Einräumung von Abschiebeschutz in Betracht. Außerdem sei - aus hier nicht näher dargestellten Erwägungen - eine Ausweisung auszusprechen gewesen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei schon öfters bei der Polizei gewesen, diese habe ihm aber nicht helfen können. Es sei eine allgemein bekannte Tatsache, dass die "Blutrache", trotz strenger Ahndung, in der Türkei ein eklatantes Problem darstelle, das die Behörden nicht in den Griff bekämen.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG ab. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer den erstinstanzlichen "sehr detaillierten Feststellungen zur Situation in der Türkei" in seiner Berufung nichts entgegengesetzt und sogar ausgeführt habe, die "Blutrache" werde streng geahndet, und die vom Bundesasylamt getroffenen Feststellungen im Wesentlichen vollinhaltlich mit dem bei der belangten Behörde aufliegenden Dokumentationsmaterial zur Türkei übereinstimmten, gäbe es keinerlei Grund, von der zutreffenden Beurteilung des Falles durch die erstinstanzliche Behörde abzuweichen. Der erstinstanzliche Bescheid werde daher vollinhaltlich zum Inhalt des Berufungsbescheides erhoben.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Infolge der von der belangten Behörde gewählten "Verweistechnik" ist das Schicksal der Beschwerde maßgeblich von der Tragfähigkeit der im erstinstanzlichen Bescheid angestellten Erwägungen abhängig. Diese Erwägungen gehen von der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers aus und lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die von privater Seite ausgehenden Verfolgungshandlungen ("Blutrache") nicht auf einem Konventionsgrund beruhten und dass der türkische Staat gegen diese Verfolgungshandlungen ausreichenden Schutz bieten könne.
Was zunächst den zweitgenannten Gesichtspunkt anlangt, dem sowohl für die Entscheidung nach § 7 AsylG als auch für jene nach § 8 Abs. 1 leg. cit. Bedeutung zukommt, so lässt sich dem erstinstanzlichen Bescheid allerdings keine taugliche Sachverhaltsgrundlage entnehmen, die eine derartige Einschätzung rechtfertigen könnte. Zum Thema "Blutrache" hat sich das Bundesasylamt nämlich ausschließlich auf das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 2000/20/0141, berufen und - ohne dies durch Darstellung der Verhältnisse im Einzelnen näher zu belegen - ausgeführt, der türkische Staat habe sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, vor den Gefahren einer befürchteten "Blutrache" ausreichend zu schützen. Das genannte verwaltungsgerichtliche Erkenntnis kann für diese Annahme keine Basis bieten, und zwar schon deshalb nicht, weil es zwar auf Grundlage eines - vom Bundesasylamt nicht wiedergegebenen - festgestellten Sachverhaltes (§ 41 Abs. 1 VwGG) erging, hinsichtlich dieses Sachverhaltes jedoch keine Bindungswirkung zu entfalten vermag, die nunmehr behördliche Feststellungen obsolet machen würde. Im Übrigen hatte es die Verhältnisse vor rd. sechs Jahren zum Gegenstand und beurteilte es einen spezifischen Einzelfall, der zum einen dadurch gekennzeichnet war, dass der damalige Beschwerdeführer seine ihn im Verwaltungsverfahren treffende Mitwirkungspflicht verletzt hatte, und zum anderen dadurch, dass er von einer Anzeigenerstattung bei den türkischen Sicherheitsbehörden abgesehen hatte. Gerade letzteres trifft auf den nunmehrigen Beschwerdeführer nicht zu, hat er doch - bereits vor dem Bundesasylamt - angegeben, erfolglos die Polizei eingeschaltet zu haben. Dazu kommt die vom Bundesasylamt gleichfalls nicht in Abrede gestellte Behauptung des Beschwerdeführers, sein versteckt gewesener Bruder sei 1998 in Bodrum angeschossen worden und er (Beschwerdeführer) sei überzeugt, dass die "gegnerische Familie" Leute bei der Polizei kennen würde, weil es sonst nicht möglich wäre, dass "sie unsere Spur entdecken konnten". Davon, dass der dem genannten Erkenntnis vom 8. Juni 2000 zu Grunde liegende Fall dem vorliegenden gleiche, kann daher keine Rede sein. Es hätte daher jedenfalls eingehender Feststellungen zur Frage bedurft, wie bzw. mit welcher Effizienz die türkischen Behörden gegen private Verfolgungen im Zusammenhang mit "Blutrache" vorgehen. Wie schon erwähnt, fehlen derartige Feststellungen gänzlich. Der Hinweis im bekämpften Berufungsbescheid der belangten Behörde, das Bundesasylamt habe sehr detaillierte Feststellungen zur Situation in der Türkei getroffen, ist daher unrichtig. Derartige erstinstanzliche Feststellungen existieren - auch das wurde schon erwähnt - zum Thema Verhütung von Folter und Misshandlungen seitens der türkischen Sicherheitskräfte. Dass entsprechende Bemühungen der türkischen Regierung nach den Feststellungen des Bundesasylamtes nur bedingt Früchte getragen haben, könnte im Übrigen im Sinne der Beschwerdeausführungen zu Zweifeln an der Effizienz staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung von "Blutrache" Anlass geben.
Schon nach dem bisher Gesagten hätte die belangte Behörde nicht bloß auf den erstinstanzlichen Bescheid verweisen dürfen. Daran vermag auch der nicht näher konkretisierte Hinweis auf bei ihr "aufliegendes Dokumentationsmaterial" nichts zu ändern. Es trifft aber - um nunmehr das erste Argument des Bundesasylamtes gegen eine Asylgewährung an den Beschwerdeführer zu behandeln - auch nicht zu, dass die geltend gemachte Bedrohungslage wegen "Blutrache" keinen Zusammenhang mit einem Konventionsgrund erkennen lasse. Vielmehr wäre insoweit - auch diesbezüglich anders als im genannten Erkenntnis vom 8. Juni 2000; der dortige Beschwerdeführer hatte selbst die zur "Blutrache" Anlass gebende Tötung begangen - eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" in Betracht zu ziehen gewesen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0137, und vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0517). Da dies das Bundesasylamt - und mit ihm die belangte Behörde - verkannt hat, war der bekämpfte Bescheid zur Gänze wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. August 2006
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