VwGH 2004/01/0289

VwGH2004/01/02898.6.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. Mai 2004, Zl. 245.558/0-XI/34/04, betreffend ersatzlose Behebung eines Bescheides in einer Asylsache (mitbeteiligte Partei: GN in W, geboren 1975), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §11 Abs2;
AsylG 1997 §23 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §31 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 1997 §8 idF 2003/I/101;
AVG §13a;
B-VG Art11 Abs2;
B-VG Art132;
VwGG §27;
AsylG 1997 §11 Abs2;
AsylG 1997 §23 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §31 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 1997 §8 idF 2003/I/101;
AVG §13a;
B-VG Art11 Abs2;
B-VG Art132;
VwGG §27;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein der Volksgruppe der Roma angehörender Staatsbürger von Serbien und Montenegro, reiste im Februar 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. Dezember 2003 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Serbien und Montenegro, ausgenommen Kosovo, gemäß § 8 AsylG für zulässig. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2004, bei der belangten Behörde am selben Tag überreicht, erklärte der Mitbeteiligte, er ziehe seinen Asylantrag zurück. Eine Belehrung des Mitbeteiligten über Rechtsfolgen dieser Erklärung ist nicht aktenkundig.

Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos. Sie begründete dies damit, dass die Zurückziehung von Anträgen "nach Lehre und Rechtsprechung in jeder Lage des Verfahrens bis zur Erlassung des Berufungsbescheides" zulässig sei. Ab der Zurückziehung des Asylantrages liege kein Asylantrag mehr vor, weshalb es ab diesem Zeitpunkt die einzige Aufgabe der Berufungsbehörde sei, den erstinstanzlichen Bescheid wegen fehlenden Antrages zu beheben.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Vorgangsweise der belangten Behörde entspräche - bezogen auf die Rechtslage vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003 - der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in Asylsachen (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 30. März 2006, Zl. 2003/20/0345).

Im Zuge der Umgestaltungen des Asylrechtes in der XXII. Gesetzgebungsperiode (hier: durch die schon erwähnte Novelle) hat der Gesetzgeber jedoch eine Regelung eingeführt, die im Asylverfahren die Zurückziehung von Berufungen gegen erstinstanzliche Bescheide fingiert.

Die Zurückziehung eines Asylantrages ist nach dieser Rechtslage unzulässig und - im erstinstanzlichen Verfahren - wirkungslos (vgl. § 23 Abs. 3 erster Satz i.V.m. § 31 Abs. 2 AsylG in der Fassung der erwähnten Novelle). In diesem Teil der Neuregelung hat der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 15. Oktober 2004, G 237/03 u.a., mit dem andere Teile der Novelle als verfassungswidrig aufgehoben wurden, keinen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 2 B-VG oder gegen das Rechtsstaatsgebot oder Art. 13 EMRK gesehen (vgl. Punkt III.6. der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses).

Erfolgt die Antragszurückziehung im Berufungsverfahren, so bleibt sie hingegen nicht folgenlos. Die Zurückziehung des Antrages im Stadium der Berufung "gilt als" Zurückziehung der Berufung (§ 23 Abs. 3 letzter Satz AsylG in der Fassung der Novelle). Die Partei wird behandelt, als ob sie statt des verfahrenseinleitenden Antrages die Berufung zurückgezogen hätte, und eine - selbst offenkundige - Rechtswidrigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung kann von der Berufungsbehörde nicht mehr wahrgenommen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in dem schon zitierten Erkenntnis vom 30. März 2006, Zl. 2003/20/0345, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, mit dem zuletzt erwähnten (im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht geprüften) Teil der Neuregelung auseinandergesetzt und ausgeführt, die darin angeordnete Rechtsfolge gelte auch in Verfahren über Asylanträge, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Mai 2004 gestellt wurden, sofern die Zurückziehung des Asylantrages im Berufungsstadium - wie im vorliegenden Fall - nach dem 30. April 2004 erfolgt sei.

Mit dem hg. Beschluss vom 27. April 2006, Zl. 2006/20/0050, hat der Verwaltungsgerichtshof eine Säumnisbeschwerde gegen die Nichterledigung einer Berufung gegen einen erstinstanzlichen Bescheid vom März 2005, mit dem ein Asylantrag vom Dezember 2003 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (in der Fassung der AsylG-Novelle 2003) die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Partei in den Herkunftsstaat festgestellt worden war, zurückgewiesen. Zur Begründung wurde in Anknüpfung an das Erkenntnis vom 30. März 2006 ausgeführt, auf Grund der Zurückziehung des Asylantrages im Oktober 2005 sei "keine Berufung" mehr anhängig (vgl. ähnlich schon den hg. Beschluss vom 21. März 2006, Zl. 2005/01/0328).

Der Verwaltungsgerichtshof hat damit die Regelung, wonach die Zurückziehung des Asylantrages im Berufungsstadium als Zurückziehung "der Berufung" gilt, nicht nur auf die Bekämpfung der erstinstanzlichen Abweisung des Asylantrages, sondern auf die Berufung insgesamt bezogen. Das bedeutet, dass in einem solchen Fall nicht nur die Abweisung des Asylantrages, sondern gegebenenfalls auch die mit der Berufung bekämpfte Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat (und allenfalls die damit noch verbundene Ausweisung) durch die Zurückziehung des Asylantrages rechtskräftig wird.

Im Schrifttum sind Zweifel geäußert worden, ob die gesetzliche Umdeutung der Antragszurückziehung in eine Berufungszurückziehung "rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht und in Art. 11 Abs. 2 B-VG Deckung findet". Es sei - aus näher dargestellten Gründen - "fraglich, ob einem Berufungswerber, der erklärt, den Asylantrag zurückziehen zu wollen, ohne weitere Prüfung unwiderleglich unterstellt werden kann, dass er mit den Rechtsfolgen der Berufungsrückziehung, nämlich mit der Rechtskraft der erstinstanzlichen negativen Entscheidung samt den damit verbundenen Aussprüchen (Zulässigkeit der Rückschiebung, Ausweisung) einverstanden ist. Es ist auch kein zwingendes Bedürfnis im Sinne von Art. 11 Abs. 2 B-VG für die vom Gesetzgeber angeordnete Umdeutung ersichtlich" (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, 3. Ergänzung, Juni 2004, Seite 304b).

Diese Kritik greift insofern zu kurz, als nicht anzunehmen ist, der Gesetzgeber habe in typisierender Weise auf ein unterstellbares Einverständnis des Betroffenen mit den Rechtsfolgen abgestellt. Die Regelung beruht vielmehr - wie aus den Materialien hervorgeht - auf einem Missbrauchsverdacht gegenüber Personen, die ihren Asylantrag zurückziehen (vgl. dazu im Einzelnen die Wiedergaben und Erörterungen in dem erwähnten Abschnitt der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004).

Den dargestellten Bedenken ist - vor allem unter dem Gesichtspunkt des fingierten, mit der Sperrwirkung der Rechtskraft verbundenen Verzichtes auch auf die Geltendmachung von Rechten aus der EMRK - nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber insofern Rechnung zu tragen, als die Wirkung der Antragszurückziehung als fingierte Berufungszurückziehung nicht eintreten kann, wenn die Partei nicht nachweislich darüber belehrt wurde. Die Absicht, Parteien mit der dargestellten Rechtsfolge zu überraschen, kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Er hat im Gegenteil in Bezug auf die viel weniger weitreichende Anordnung der Wirkungslosigkeit von Antragszurückziehungen während des erstinstanzlichen Verfahrens in § 31 Abs. 2 AsylG vorgesehen, solche Antragszurückziehungen seien erst "nach entsprechender Belehrung des Asylwerbers über die Rechtsfolgen" als gegenstandslos abzulegen (vgl. dazu die Argumentation der Bundesregierung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof mit "Intentionen des Gesetzgebers, über diese für den Asylwerber im Hinblick auf das rechtsstaatliche Prinzip wesentliche Frage umfassend zu informieren"). Für die hier in Rede stehende Umdeutung der Zurückziehung eines Asylantrages in die mit konträren Rechtsfolgen verbundene Zurückziehung einer - gar nicht notwendigerweise auf die Bekämpfung der Abweisung des zurückgezogenen Antrages beschränkten - Berufung ergibt sich daraus ein zwingender Größenschluss, der im Kontext nicht der Wirkungslosigkeit, sondern der Umdeutung der Prozesshandlung auch das Verständnis der Belehrung als Wirksamkeitsvoraussetzung erfordert (vgl. etwa § 11 Abs. 2 AsylG in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003 zu den damaligen Voraussetzungen einer nicht bloß fingierten, sondern ausdrücklichen Verzichtserklärung, deren Sperrwirkung mit 30 Tagen befristet war und Rechte aus der EMRK nicht berührte).

Dies hat zur Folge, dass die Fiktion einer Berufungszurückziehung im vorliegenden Fall - mangels aktenkundiger Belehrung des Mitbeteiligten über eine solche Wirkung seiner Erklärung - entgegen der in der Amtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht eingetreten ist. Der belangten Behörde war es durch die dargestellte und von ihr offenbar übersehene Neuregelung allerdings auch verwehrt, der Antragszurückziehung die allgemein und bis zur AsylG-Novelle 2003 auch im Asylverfahren gültige Rechtswirkung beizumessen. Sie hätte dem Mitbeteiligten über die gesetzliche Umdeutung der Antragszurückziehung in eine (umfassende) Berufungszurückziehung Rechtsbelehrung erteilen müssen. Hätte der Mitbeteiligte danach an der Antragszurückziehung festgehalten, so wäre die in § 23 Abs. 3 letzter Satz AsylG angeordnete Rechtsfolge eingetreten.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Eines Vorgehens gemäß § 13 Abs. 1 Z 1 VwGG im Hinblick darauf, dass die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde in den Fällen der oben erwähnten Beschlüsse vom 21. März 2006 und vom 27. April 2006 jeweils ohne Ausführungen über das Erfordernis (und fallbezogen das Vorliegen) einer Rechtsbelehrung erfolgte, bedurfte es im Hinblick darauf, dass hierüber in den zitierten Beschlüssen auch keine ausdrücklich gegenteilige Aussage getroffen wurde, nicht.

Wien, am 8. Juni 2006

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